Nahezu täglich sind die Geschlechterverhältnisse Thema in den Nachrichten. Ob es nun um das gender pay gap, das gender care gap oder das gender pension gap geht – also die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit und die daraus folgende schlechtere Bezahlung und Altersversorgung, die aktuell immer noch überwiegend Frauen betrifft. Aber auch die Infragestellung der Rechte von queer gelesenen Personen bleibt ein Thema.
Bis zum 6. Juni 2025 sind nun Kirchenkreise und Einrichtungen aufgerufen, zu einer Neufassung des Gleichberechtigungsgesetztes (GlbG) der Landeskirche Hannovers Stellung zu nehmen. Im Interview erklärt Cornelia Dassler, Gleichstellungsbeauftragte der Landeskirche Hannovers, die Hintergründe.
Frau Dassler, was ist das Ziel der Neufassung des Gleichberechtigungsgesetzes?
Cornelia Dassler: Bereits seit 2012 gibt es ein besonderes Gesetz zur Gleichberechtigung in unserer Kirche. Dieses soll den auch in der Kirche bestehenden faktischen Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern eine klare Handhabe gegenüberstellen. Das Gesetz bildet die Grundlage für die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten in allen Bereichen unserer Kirche.
Wie alle Gesetze enthält dieses Gesetz bisher auch – wo irgend möglich – weibliche und männliche Formen. Damit spiegelt die Sprache aber eine Problematik wider, die längst auch juristisch erkannt ist: Es zeigt sich, dass eine zunehmende Zahl von Menschen in der Bevölkerung – auch unter den Kirchenmitgliedern – sich nicht im vorherrschenden Bild von Geschlecht und damit einhergehenden Festlegungen auf entweder Frau oder Mann wiederfindet. Sie werden bisher im Gleichberechtigungsgesetz nicht angesprochen und es ist nicht immer klar genug, dass und wie ihre Rechte durch dieses Gesetz geschützt sind.
Sie sind aber von den Ungerechtigkeiten, die eine traditionell männlich geprägte Kultur und Überrepräsentanz von Männern in den meisten gesellschaftlichen Bereichen hervorbringt, ebenso betroffen wie Frauen. Zudem steigt die Gewalt gegen Menschen aufgrund ihres Geschlechts, sowohl gegen Frauen, als auch gegenüber Queers. Demgegenüber braucht es safer spaces, also sicherere Räume. Die Frage ist: Sind wir in der Kirche ein sicherer Ort?
Es ist daher folgerichtig, mit einer von der Synode beschlossenen sprachlichen Anpassung beim Gleichberechtigungsgesetz zu beginnen und neben Aussagen zum Verhältnis von Frauen und Männern auch hier deutlich sichtbar zu machen, dass es eine Vielzahl von geschlechtlichen Identitäten gibt.
Oft werden diese Personen mit der Abkürzung LGBTIQ+ zusammengefasst genannt. Die Herausforderung ist jetzt, der weiterhin bestehenden Benachteiligung von Frauen entgegenzuwirken und den Rechten queerer Personen Rechnung zu tragen. Das sind zwei ähnliche, aber nicht immer identische Themenfelder.
Könnte man dann nicht einfach „alle Menschen“ schreiben? Was ist der Mehrwert einer differenzierten Sprache?
Dassler: Die Kirchenverfassung sagt: „Wie alle Menschen sind die Mitglieder der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers als Ebenbilder Gottes geschaffen und von gleicher Würde. (Art 1 Abs1).“ Diese Würde ist unteilbar. Sie gilt für alle gleich und das bedeutet: Alle haben grundsätzlich gleiche Rechte. Da das für uns nicht nur ein juristisches Anliegen ist, sondern unserem Glauben entspricht, muss es aktiv unser Handeln bestimmen. Deshalb ist ein Eintreten für die Rechte von diskriminierten Personengruppen untrennbar mit unserem Glauben verbunden. Das können wir nur, wenn wir die vorhandenen Ungerechtigkeiten klar ansprechen. Und wenn wir die Personengruppen sprachlich klar benennen, deren Rechte besonders geschützt werden müssen.
Trotz Grundgesetz, das die Gleichberechtigung von Anfang an festgehalten hat, ist die Umsetzung bis heute nicht erreicht. Das Grundgesetz musste deshalb in der Weise nachgeschärft werden, dass dieses gleiche Recht durch Fördermaßnahmen hergestellt werden muss (Art 3 Abs 2).
Das gilt auch für uns in der Kirche. Machtverhältnisse lassen sich nur bearbeiten, wenn sie angesprochen werden. So gesehen sind wir als Kirche noch viel mehr aufgerufen, explizit für diejenigen einzutreten, die trotz einem Recht und Gesetz, das „für alle“ gilt, weiter benachteiligt und diskriminiert werden. Das hat auch Jesus Christus getan, auf den wir uns berufen. Das geht nur, indem wir Klartext sprechen und schreiben.
Wie geht es mit der Neufassung nach der Beendigung des Stellungnahmeverfahrens weiter?
Dassler: Die eingegangenen Stellungnahmen werden gesichtet und in einer von der Landessynode eingesetzten Arbeitsgruppe daraufhin betrachtet, ob an der vorgelegten Fassung noch weitere Veränderungen vorgenommen werden sollen, oder nicht. Über einen entsprechenden Vorschlag entscheidet das Kolleg des Landeskirchenamts, das dann seine Fassung in die Beratung der synodalen Ausschüsse gibt. Im November dieses Jahres wird die Neufassung hoffentlich verabschiedet werden.
Ist die Kirche mit der Verabschiedung dieses Gesetzes dann an ihrem Ziel angekommen? Dem Zusammenleben von Menschen jeden Geschlechts, wie es die Verfassung sagt?
Dassler: Darauf kann ich nur biblisch antworten: Noch ist nicht erfunden, wer wir sein werden. Ein Vers, den mir vor vielen Jahren Dorothee Sölle im Blick auf das Verhältnis von Schuld und Macht zwischen den Geschlechtern einmal nahegebracht hat, ist: Wir sind noch nicht am Ziel – aber auf dem Weg. Zu diesem Weg gehören Herausforderungen und Auseinandersetzungen, das ist anstrengend.
Um eine geschlechtersensible kirchliche Arbeit und eine Willkommenskultur für queere Menschen zu befördern, hat die Landessynode nun eine Arbeitshilfe beauftragt, an der eine kleine Gruppe von Expertinnen gerade arbeitet. Sie wird ebenso wie das hoffentlich überarbeitete Gesetz in der Novembersynode vorliegen und den Weg zu einem offenen, vielfältigen Miteinander befördern.
Was wünschen Sie sich bei diesem Prozess?
Dassler: Ich wünsche mir viele Stellungnahmen. Denn es bedeutet, dass sich viele mit der Gendervielfalt auseinandersetzen und noch einmal neu wahrnehmen, dass es in der Landeskirche überall Gleichstellungsbeauftragte gibt oder geben soll.
Es entsteht aber hoffentlich auch ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass die Auseinandersetzung mit Formen der Diskriminierung als einer Form des Machtmissbrauchs in den Geschlechterverhältnissen uns auch im christlichen Miteinander weiterbringt. Das betrifft jede Person und ist ein wichtiges Feld, in dem wir uns mit Macht und Machtmissbrauch auseinandersetzen.
Perspektivisch fände ich eine Stellungnahme der Landessynode gut, in der sie die gute Grundlage in der Kirchenverfassung zum Anlass nimmt, offensiv auf queere Menschen zuzugehen, so wie das andere Kirchen auch in diesem Jahr wieder getan haben.
Schließlich hoffe ich sehr, dass wir als Kirche bei unserer Verfassung bleiben und allen Tendenzen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Homophobie, trans- und inter*- Feindlichkeit aktiv entgegentreten.