Kirche der Stille erfüllt Sehnsucht nach Ruhe

Eine Gruppe von Menschen sitzt im Kreis, jeder Person legt der rechts von ihr sitzenden die Hand auf die Schulter.
Bild: Carolin George

„Was wäre, wenn wir uns bislang zu klein gedacht haben? Wenn wir uns stattdessen das Große zutrauen?“ Wenn Bernd Skowron Fragen stellt wie diese, erwartet er keine Antwort. Dann reicht es, wenn er einen einzigen Gedanken äußert – und es danach sehr lange still im Raum ist. Es ist Donnerstag, und donnerstags lädt der Pastor zur Meditation am Abend ein. 

An diesen Abenden geht es in der Lüneburger Kreuzkirche eher ums Schweigen als ums Reden. Dann teilen sich rund 25 Frauen und Männer anderthalb Stunden Ruhe in Gemeinschaft. Die offene Meditation mit Körperarbeit unter der Leitung von Pastor Bernd Skowron und Bewegungstherapeutin Kornelia Tillack zählt zu den Angeboten der Gemeinde, die sich um Achtsamkeit und Kontemplation drehen. Aufgrund der großen Nachfrage will der Kirchenvorstand das Angebot jetzt ausweiten und ähnlich wie im Stadtkloster Hannover eine „Kirche der Stille“ etablieren.

Die Wohltat der Stille entdeckte Bernd Skowron nach einer Schweigewoche in einem Kloster für sich und gibt sie seit Jahrzehnten weiter. „Wir überlesen in der Bibel, wie häufig dort steht: Und er zog sich auf einen Berg zurück und betete.“ Seit 2008 bietet der Pastor Meditationsarbeit in der Kreuzkirche an, und schon bald zeigte sich: Einmal gar nichts zu tun, sondern Ruhe auf sich wirken zu lassen und dabei vielleicht sogar Gott näher zu kommen, erfüllt bei vielen Menschen eine Sehnsucht. 

Das sagen die Teilnehmenden

„Die Energie der Gemeinschaft trägt“, erklärt Skowron das Geheimnis des Abends, der stets mit einem Gedankenimpuls beginnt und mit einem Segen endet. „Jeder merkt für sich: Ich werde getragen. Wer in der Meditation vor Gott kommt, hat mehr Kraft und ist achtsamer gegenüber der Umwelt. Gruppen wie diese wenden sich damit auch gegen den gesellschaftlichen Trend von Spaltung und Hass.“

Das Angebot trifft ganz offensichtlich einen Nerv. Die Meditationsabende in der Kirche besuchen mehr Menschen als die Gottesdienste, sie kommen aus der ganzen Stadt und der Umgebung. Viele sind gar nicht Mitglied der Kirche, manche werden es nach einer Weile. 

„Ich gehe zwar auch in den Gottesdienst, aber hier ist die Sprache anders. Die Kombination mit Bewegung ist für mich ideal. “
Ingrid, 70 Jahre, Teilnehmerin

Der Kirchenvorstand sieht in dem Angebot eine gesellschaftliche Bedeutung und will es daher deutlich ausweiten. „Der zentrale Nerv unserer Zeit ist: Wie kann ich mich finden und Kraft und Orientierung gewinnen?“, sagt Marlis Otte, Mitglied des Kirchenvorstands. „Wenn das nicht Aufgabe von Kirche ist, was dann?“ Die Gemeinde will daher „Kirche der Stille“ für den Nordostbereich der Landeskirche werden und hat für ihr Konzept eine zusätzliche Stelle beantragt. 

„Die christliche Kirche hat eine lange Meditationstradition, allerdings ist sie etwas verborgen.“
Christine Tergau-Harms

Klappt alles wie erhofft, hätte Lüneburg nach Hannover und Osnabrück als dritte Stadt innerhalb der Landeskirche Hannovers eine „Kirche der Stille“. In Osnabrück bietet die „Kapelle der Stille“ Raum für Kontemplation, in Hannover tut dies seit mehr als zehn Jahren das Stadtkloster. Leiterin ist die Pastorin Christine Tergau-Harms, auch sie erlebt ein zunehmendes Interesse vieler Menschen an Stille. „Die christliche Kirche hat eine lange Meditationstradition, allerdings ist sie etwas verborgen. Spiritualität und Stille als heilsame Kraft erfahrbar zu machen, ist eine der wichtigsten Aufgaben von Kirche – und fördert außerdem die Gesundheit.“ Das Angebot ist religiös offen und richtet sich an alle Menschen, vor allem auch diejenigen, die den Kontakt zur Kirche verloren haben. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt auf Meditation in der Natur: ob Sonnenaufgangsmeditation oder „Atempause am Annateich“.

Vorreiter in Norddeutschland ist die „Kirche der Stille“ in Hamburg-Altona. Angebote kontemplativer Spiritualität machen rund um Hannover zum Beispiel auch das Projekt „Spiritualität im Alltag“ in Gifhorn sowie die niedersächsischen Klöster und die Akademie Loccum.

Carolin George/EMA