„Boah, das sind sehr viele Menschen!“
Immer mehr Ehrenamtliche gestalten in ihren Gemeinden Gottesdienste – viele von ihnen als ausgebildete Lektorinnen oder Prädikanten. Doch nur wenige können zu zehntausenden Menschen live und im Fernsehen sprechen. Wie fühlt sich das an?
Laura Brand (22) ist Lehrerin in Hameln, Jens Krieger-Juhnke (19) leistet einen Freiwilligendienst am Institut für Festkörperphysik Hannover. Beide gestalten ehrenamtlich Gottesdienste. Gemeinsam mit Landesbischof Ralf Meister predigten sie beim Eröffnungsgottesdienst des Evangelischen Kirchentages im Mai in Hannover.
Laura, Sie sind erst seit zwei Jahren Lektorin und haben jetzt beim Eröffnungsgottesdienst des Evangelischen Kirchentags auf großer Bühne vor zehntausenden Menschen auf dem Platz der Menschenrechte in Hannover und vor den Fernsehbildschirmen gepredigt. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie dafür angefragt wurden?
Laura Brand: Ich habe mich schon total gefreut – das ist ja eine Mega-Ehre, überhaupt dort mitmachen zu können. Aber mir war bei der Anfrage noch nicht bewusst, wie groß die ganze Sache eigentlich ist und was da alles auf mich zukommt.
Waren Sie vorher schon mal bei einem Kirchentag?
Brand: Nein, das war mein allererster Kirchentag. Ich kannte die Veranstaltung bisher nur von Social Media.
Jens, Sie haben im August 2024 den Jugendandachtspreis gewonnen und sind Mitglied in der Landesjugendkammer. In welchen Größenordnungen sind Sie sonst unterwegs, wenn Sie Gottesdienste gestalten?
Jens Krieger-Juhnke: Normalerweise sind das Jugendgottesdienste, das größte ist vielleicht mal die Kirchenkreis-Ebene.
Wie ging es Ihnen mit der Anfrage?
Krieger-Juhnke: Michael Grimmsmann von der landeskirchlichen Nachwuchsförderung hat mich angerufen. Meine erste Reaktion war: Boah, das ist richtig cool, ich brauche aber erstmal einen Tag Zeit, bitte. Ich habe dann eine befreundete Pastorin angerufen und sie gefragt: Meinst Du, ich kann das? Und sie sagte: Natürlich kannst Du das. Guck einfach nicht auf die vielen Menschen.
Hat das geklappt?
Krieger-Juhnke: Das hat so mäßig geklappt. Irgendwann habe ich dann doch auf den vollen Platz geschaut und dachte so: Ah ja, eigentlich wusstest Du, dass es viele Menschen werden. Aber boah, das sind sehr viele Menschen!
Nun haben Sie beide beim Kirchentag nicht allein gepredigt, sondern im Trio mit Landesbischof Ralf Meister. Wie war das für Sie? Kannten Sie sich vorher?
Brand: Ich kannte den Landesbischof vorher persönlich nicht. Wir haben uns zuerst in einem Online-Meeting kennengelernt. Das war total unproblematisch, wir haben uns alle super verstanden. Es war nie irgendwie unangenehm, man hatte auch nie das Gefühl, man ist jetzt in einer Prüfungssituation mit so einem Landesbischof. Ich habe diese Vorbereitungen sehr genossen.
Krieger-Junke: Ich hatte Ralf schon einmal am Rande einer Veranstaltung getroffen, ich glaube, das war bei einer Ideensammlung für den Kirchentag im Sachsenhain in Verden.
Er ist jetzt also der Ralf für Sie?
Brand: Ja.
Krieger-Juhnke: Er hat sich uns einfach so vorgestellt, oder? Ich würde mal schätzen, allgemeines Kirchentags-Du oder so.
Wie haben Sie die Predigt vorbereitet?
Krieger-Juhnke: Wir haben im ersten Zoom-Meeting erstmal gesponnen. Was fällt uns überhaupt so ein, in welche Richtung soll es gehen? Und dann hatten wir ein gemeinsames Seafile-Dokument, in dem wir als Hausaufgabe weitergearbeitet haben.
Brand: Wir haben auch den organisatorischen Rahmen geklärt: Was kommt vor der Predigt, was kommt nach der Predigt, wieviel Zeit haben wir eigentlich? Und dann ging es los damit, was uns zum Thema Stärke einfällt, das stand im Mittelpunkt des Gottesdienstes. Jens hat das Thema „Stark gegen Rechts“ gebracht, das ist ja gerade so aktuell. Und dann kamen wir gleich ins Gespräch und haben gesagt, man will ja nicht immer nur stark gegen, sondern auch stark für etwas sein. Mir fiel dann sehr schnell meine persönliche Geschichte mit einer schweren Erkrankung in der engsten Familie während der Corona-Zeit ein – da mussten wir stark sein, obwohl wir schwach waren. Ralf hat sofort gesagt, damit können sich sehr viele Menschen identifizieren. Ich habe dann meine Familie gefragt, ob es okay ist, wenn ich das auf der Bühne erzähle. Und sie haben gesagt, das ist in Ordnung. Als nächstes haben wir unsere teils noch sehr ungeordneten Gedanken ausformuliert. Die Kernaussagen sind erst kurz vor dem Kirchentag entstanden. Irgendwann war es geschafft und wir haben uns alle über das Ergebnis gefreut. Dann wurde nochmal Korrektur gelesen und der Feinschliff gemacht.
Und dann haben Sie zu dritt geprobt?
Brand: Wir haben uns in der Bischofskanzlei getroffen und das, was wir schon verschriftlicht hatten, vorgelesen. Da haben wir dann schon gemerkt, wenn etwas nicht passt. Später haben wir versucht, es frei zu üben – und schließlich sehr intensiv bei der achtstündigen Generalprobe einen Tag vor dem Kirchentag. Und dann gab es Stellproben, Sprechproben, Kameratraining. Und mit einer Stimmtrainerin haben wir es auch nochmal geübt.
Krieger-Juhnke: An einer Stelle im Text habe ich ursprünglich gesagt: Alter, Ralf, hörst Du Dir überhaupt zu? Da haben Ralf und ich uns jedes Mal weggeschmissen, haben es dann aber doch abgeschwächt. So geht man nicht miteinander um und das ist nicht die Message, die wir von der Bühne senden wollten. Für mich war das Problem außerdem, dass man die Chance ja nutzen und möglichst viele Themen unterbringen will. Der Umgang mit Rechtsaußen war schon ein großes Ding beim Landesjugendcamp, aber ich hätte auch gern noch viel intensiver das Thema Klimaschutz beleuchtet. Der Kirchentag muss für mich politisch sein und es gibt so viele Themen, die gerade brennen. Aber irgendwann verzettelt man sich und denkt sich: So viel wäre zu sagen, aber der Raum ist gar nicht da für alles.
Es ging in der Predigt auch um Macht und Machtmissbrauch der Kirche. Haben Sie da eigene Erfahrungen?
Brand: Mit dem Machtmissbrauch der Kirche habe ich – zum Glück – keine eigenen Erfahrungen gemacht. Dennoch finde ich es wichtig und richtig, für dieses Thema sensibel zu sein und darauf aufmerksam zu machen. Deshalb hat bei uns in der Gemeinde auch schon eine Schulung zum Thema sexualisierte Gewalt stattgefunden.
Krieger-Juhnke: Ich erlebe in letzter Zeit öfter, dass insbesondere manche Hauptamtliche sich gegen Jugendbeteiligung stellen. Das ist für mich schon eine Form des Machtmissbrauches.
Mal eine eher äußerliche Frage: Der Landesbischof hatte keinen Talar an, sein kleines Bischofskreuz war von ferne nicht zu erkennen. War das vorher ein Thema? Hat es für Sie einen Unterschied gemacht?
Krieger-Juhnke: Das war am Rande mal ein Thema. Ralf hat von sich aus gesagt, dass er keinen Talar tragen möchte. Der Talar wirkt dann doch so, als wenn der Bischof am Ende die theologische Spitze der Predigt rüberbringen will. Das wollten wir vermeiden. Wir wollten gemeinsam zu dritt auf Augenhöhe miteinander sprechen. Außerdem hatten wir mit dem NDR eine Outfitberatung.
Und gab es da etwas, bei dem Sie nicht mitgehen wollten?
Brand: Nee, eigentlich nicht. Beim Kameratraining hieß es schon, wir sollten unser finales Bühnenoutfit mitbringen. Da bin ich ein bisschen ins Schwitzen geraten, weil ich noch gar nicht richtig wusste, was ich anziehen will. Ich hatte dann einfach eine schwarze Hose und eine schwarze kurze Jacke an und da hat der NDR zu Recht gesagt, dass das relativ dunkel ist. Also bin ich mit meiner Mama noch mal kurz shoppen gegangen und habe diese rosa Jacke gefunden, mit der ich mich wohlgefühlt habe.
Krieger-Juhnke: Bei mir war es so, dass ich eigentlich nicht so super formell rumlaufe. Ich trage sonst immer Sandalen und T-Shirts und hätte gern einen Anstecker der Evangelischen Jugend mit dem Kreuz auf der Weltkugel getragen. Da hieß es, das lenkt im Fernsehen ab und sendet eine Doppelbotschaft. Ich wurde tatsächlich vom NDR komplett neu eingekleidet.
Brand: Ach, echt?
Krieger-Juhnke: Ja, aber was am Ende rauskam, war okay. Ein Anzug wäre eine Verkleidung gewesen.
Durften Sie die Sachen hinterher behalten?
Krieger-Juhnke: Die konnte ich behalten, ja.
Wie ging es Ihnen hinterher – nach Ihrem großen Auftritt?
Krieger-Juhnke: Ich war total beseelt. Es gab eine Stelle, wo ich im Sprechen Applaus bekommen habe, das war, als ich gesagt habe, zuletzt waren hier so viele Menschen bei einer Demo gegen Rechts. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass das passieren könnte und habe einfach weitergeredet. Da habe ich im Nachhinein gedacht, es wäre auch cool gewesen, das abzuwarten. Aber ich war super beseelt danach, und das zog sich dann noch durch den ganzen Kirchentag. Es war ein bisschen surreal, ich wurde zweimal von Menschen angesprochen: Kann ich ein Foto mit dir machen?
Laura, wie ging es Ihnen?
Brand: Ich teile Jens’ Einschätzung. Ich war total beseelt, total glücklich, dass alles geklappt hat, nichts schiefgegangen ist und ich muss sagen, es hat auch wirklich richtig Spaß gemacht. Vorher war da diese nervöse Anspannung: Habe ich an alles gedacht? Sind die Karteikarten in der richtigen Reihenfolge? Aber als ich gesprochen habe, merkte ich schon, dass ich mich wirklich fokussieren kann. Das Stimmtraining hat da sehr geholfen, ich hatte zwischenzeitlich, weil ich so nervös war, ein bisschen Angst, dass meine Stimme irgendwie hochrutscht, aber das ist alles gar nicht passiert. Wir waren toll vorbereitet, ich habe mich sicher gefühlt und konnte diesen Moment wirklich genießen. Es war für mich eine Ehre, dass ich auf der Bühne nicht einfach irgendwas erzählt habe, sondern meine Geschichte.
Krieger-Juhnke: Es ist einfach richtig cool, den Kirchentag mitzugestalten. Ich habe hinter der Bühne – ich glaube, Du warst da gerade in der Maske – noch mit den Pfadfindern Karten gespielt. Ich habe ein Helfenden-Tuch, weil ich auch im Quartierdienst war. Ich habe gelernt, wie man Freundschaftsknoten macht. Jeder Tag war die volle Dröhnung. Und jetzt denke ich, beim nächsten Kirchentag in Düsseldorf will ich auch in irgendeiner Form helfen.
Gab es viele Reaktionen?
Brand: Ich habe mich ganz, ganz doll gefreut, als ich auf mein Handy geschaut habe. Schon vorher haben ganz viele an mich gedacht und mir Glück gewünscht. Auf dem Abend der Begegnung kamen Einzelne auf mich zu und meinten, es ist so schön, dass Sie die Perspektive der jungen Leute in den Blick genommen haben. Und es war ganz süß, als ich in meine Schule kam. Da sind die Sechstklässler ganz aufgeregt auf mich zugekommen und haben gesagt: Frau Brand, wir haben sie im Fernsehen gesehen, Sie haben das so super gemacht! Und alle haben mich gedrückt und geklatscht und haben es zu Hause ihren Eltern erzählt. Die waren ganz stolz, dass sie Frau Brand im Fernsehen gesehen haben – und ich natürlich auch. Ich habe mir den ganzen Gottesdienst dann nochmal angeguckt und dachte: Ja, es ist doch gut gelungen.
Krieger-Juhnke: Ich habe auch ganz viele positive Rückmeldungen bekommen und, wie bei Laura, schon vorher viele gute Wünsche. Ein Kumpel hat mir hinterher ein Foto geschickt, was ihm jemand anders geschickt hatte, bei dem ich auf dem Fernsehbildschirm zu sehen war. Er schrieb nur: Keine Sandalen!