Hartmut Giesecke von Bergh ist 2020 in Pension gegangen – hatte seitdem aber fast keinen Tag dienstfrei, denn er sucht sich immer neue Gastdienste. Bei diesen übernehmen Pfarrpersonen für einen bestimmten Zeitraum, zunächst drei oder sechs Monate, bestimmte Aufgaben in einer Gemeinde. Welche, stimmen die Beteiligten individuell ab. Oft geht es um eine Überbrückung unbesetzter Pfarrstellen.
„Ich war schon in Neuenhaus, Nordhorn, Bad Essen und Lingen“, zählt von Bergh auf. „Der Gastdienst in Bad Essen war ursprünglich für sechs Monate gedacht – er ist dann letztlich auf 24 Monate verlängert worden. Währenddessen habe ich schon die Anfrage für eine Vertretung in Lingen bekommen – so habe ich derzeit rechnerisch sogar eineinhalb Dienste, weil sie sich ein wenig überschneiden“, sagt er und lacht heiter.
Gastdienstler und Gastdienstlerinnen wie Giesecke von Bergh unterstützen die Kolleginnen und Kollegen freiwillig. Neben Vertretungsdiensten gibt es auch projektbezogene Dienste, erklärt Volkmar Keil, früherer Superintendent aus Osterode, der selbst eine Beauftragung hat: für die Koordination der Gastdienste. „Wenn ein Kirchenkreis jemanden für eine bestimmte Aufgabe sucht, ist das auch in Form eines Gastdienstes möglich. Das kann zum Beispiel der Einsatz für die Gestaltung eines Segensbüros für Taufen, Trauungen und neue Gottesdienstformate, die Erarbeitung von Schutzkonzepten, für einen regionalen Kirchentag, die Telefonseelsorge, oder vieles andere. Es ist alles eine Frage der Absprache.“
So einen projektbezogenen Gastdienst nimmt Hartmut Giesecke von Bergh gegenwärtig beim Kirchenkreis Emsland-Bentheim wahr. Er wird verschiedene Gemeinden und Regionen beim Gebäudemanagement und der Baukoordination begleiten – ein selbst gewähltes Thema. „Ich habe da Fachkenntnisse und bringe das gern ein.“ Ein Anliegen ist beispielsweise die Einrichtung eines gemeinsamen Pfarrbüros von vier Gemeinden in einer Stadt. „Das spart Geld, ermöglicht Arbeitsverträge mit ,normalen‘ Stundenkontingenten, gesicherte Vertretungsregelungen und so weiter – aber es geht nicht von heute auf morgen“, erklärt der Pensionär. „Dafür muss ein Kirchengemeinde-Verband gegründet werden. Zwei andere Gemeinden im Kirchenkreis haben das vor zwei Jahren gemacht und nun hole ich von dort das Wissen ein, damit die Lingener es ebenso machen können. Der Bedarf an helfenden Händen ist auf jeden Fall in vielen Gemeinden da. Darum finde ich den Ausbau der Gastdienste wichtig. Andere Landeskirchen versuchen da bei uns abzukupfern, weil es einfach gut funktioniert.“
Bald mehr Pfarrpersonen im Ruhestand als im Dienst
Neben Volkmar Keil ist auch Ralf Tyra landeskirchlicher Beauftragter für Ruhestandarbeit. Auch er ist Pastor im Ruhestand und hat viele Jahre eine große kirchliche Einrichtung geleitet. Sein Arbeitsfeld sind die konzeptionellen Fragen zum Ruhestand, die Organisation von Tagungen und die Beratung und Begleitung von Pastorinnen und Pastoren vor und im Ruhestand. Er formuliert die Situation drastischer: „Wenn man alle Pfarrpersonen nimmt – also die im Ruhestand und die im Dienst – sind rund 50 Prozent davon bereits im Ruhestand. Tendenz steigend.“ Viele von ihnen blieben ohnehin gesellschaftlich aktiv, in Vereinen, als Chorleitung oder anderweitig. Warum nicht auch als Gastdienst? 780 Euro gibt es als Aufwandsentschädigung für den als halbe Stelle angesetzten Dienst, bei weiter entfernten Gemeinden wird auch eine Wohnung vor Ort gestellt. „Aber wer mitmacht, macht es nicht wegen des Geldes, sondern, um zu helfen. Die Gastdienstler und Gastdienstlerinnen haben Lust, weiterzumachen, und machen es aus Überzeugung“, so Tyra.
Dass es auch einmal zu Konflikten kommen kann, ist klar. „Es gibt die Sorge, etwas falsch machen zu können, wenn die Abläufe in einer neuen Gemeinde noch nicht bekannt sind. Und es besteht die Gefahr, dass man zu viel übernimmt oder Dinge anders strukturiert – da versuchen wir dann einfach, gut ins Gespräch zu kommen und Zuständigkeiten klar zu regeln. Es hängt im Grunde immer an den Absprachen“, sagt Volkmar Keil. Und Hartmut Giesecke von Bergh ergänzt: „Wenn die stimmen, schlägt einem eine Welle der Dankbarkeit entgegen.“
Und Diakoninnen und Diakone?
Wird es in Zukunft noch mehr Pastorinnen und Pastoren Ruhestand geben, die Gastdienste übernehmen? „Ich denke, die Möglichkeit ist an vielen Stellen noch recht unbekannt“, sagt Giesecke von Bergh, „unsere Regionalbischöfin Sabine Schiermeyer hat neulich eine Tagung für Personen im Ruhestand veranstaltet, wo sich auch die Gastdienstarbeit vorstellen konnte, das war gut. Manche Pastorinnen und Pastoren mögen nicht mehr arbeiten oder sind gesundheitlich nicht mehr fit. Manche zögern aber einfach und wollen ihre Freiheit genießen – aber da muss ich sagen: Es gibt kaum eine freiere Veranstaltung als die Gastdienste. Man kann es ja auch wieder sein lassen – und tut ohnehin nur das, wozu man Lust hat.“
Volkmar Keil und Ralf Tyra denken indes schon weiter – und hoffen, dass sich auch Diakone und Diakoninnen künftig in der Rente engagieren können. „Weil sie nicht in einem beamtenähnlichen Verhältnis zur Landeskirche stehen, ist es bei ihnen komplizierter. Der Weg, wie ihnen die Aufwandsentschädigung ausgezahlt werden kann, ist noch nicht rechtssicher geklärt. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir einen Weg finden werden.“