
Hannover. Dr. Ralph Charbonnier ist Theologischer Vizepräsident im Landeskirchenamt. In dieser Funktion saß er in vielen Leitungsgremien, die für die Vorbereitung und Durchführung des Kirchentags mitverantwortlich gewesen sind.
Herr Charbonnier, Sexualisierte Gewalt in der Kirche war auch beim Kirchentag in Hannover ein wichtiges Thema. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Ralph Charbonnier: Als gastgebende Landeskirche haben wir sehr darauf gedrungen, dass das Thema in zwei Bereichen deutlicher stärker vorkommt als vor zwei Jahren. Das hat Landesbischof Meister schon kurz nach dem Kirchentag in Nürnberg klar benannt: Es braucht umfassende Maßnahmen im Rahmen eines Schutzkonzeptes für den Kirchentag und das Thema muss im Programmbereich deutlich wahrnehmbar vorkommen. Mein Eindruck ist, dass der Kirchentag in Hannover in beiden Bereichen Wichtiges realisieren konnte.
Woran machen Sie das fest?
Charbonnier: Bei diesem Kirchentag gab es zum ersten Mal ein umfassendes Schutzkonzept mit Awareness-Teams bei einer Reihe von Veranstaltungen. Und es gab eine Hotline, die Menschen rund um die Uhr anrufen konnten. Nach Informationen des Kirchentages ist dieses Angebot auch genutzt worden. Betroffene haben Ansprechpersonen gefunden, adäquate Konsequenzen wurden gezogen. Und es gab 18 Veranstaltungen von Podien über einen Gottesdienst bis zu Workshops, die sich direkt mit dem Themenbereich sexualisierte Gewalt in der Kirche befasst haben. So weit ich das wahrgenommen habe, waren das sehr gut besuchte Veranstaltungen, die auch inhaltlich stark gewesen sind. Das ist ein Verdienst des Kirchentags. Aber auch als Landeskirche haben wir dazu unseren Teil beigetragen und immer wieder eingefordert, dass das Thema in der beschriebenen doppelten Ausprägung höchste Priorität für den Kirchentag haben muss. Mit dieser Position waren wir eins mit dem Kirchentag. In unserer Berichterstattung vom Kirchentag haben wir bei diesem Thema einen Schwerpunkt gesetzt und etwa Live-Streams von zwei Podien beauftragt, die auch im Nachhinein noch angeschaut werden können.
Wie muss es weitergehen?
Charbonnier: Wir müssen uns jetzt gemeinsam mit dem Kirchentag und mit betroffenen Personen anschauen, was gut gelaufen, was noch entwickelt werden muss und was vielleicht auch gar nicht geklappt hat. Die Erfahrungen aus dieser Großveranstaltung tragen wir ein in die laufenden Beratungen und Umsetzung von Maßnahmen: Wie können wir das Thema noch mehr in der Öffentlichkeit platzieren? Wie gelingt es uns, die Frage nach dem Umgang mit Macht in der Kirche noch stärker in unsere alltägliche kirchliche Arbeit zu integrieren? Erst wenn diese und ähnliche Fragen beantwortet sind sowie in Maßnahmen der Aus-, Fort-, Weiterbildung und die Planungen kirchlicher Arbeit im Alltag integriert, können wir wirklich von Kulturwandel sprechen.