Lara stolpert in diese Stadt wie in ein Leben, das ihr noch fremd ist.
Neuer Job, neue Wege, neue Gesichter. In ihr zieht sich ein dünner, dunkler Faden durch die Tage. Im Advent spürt sie ihn wie ein Stechen.
Alles leuchtet – außer sie.
An diesem Abend peitscht Schneeregen durch die Straßen. Sie zieht den Mantel enger, läuft schneller, weiß selbst nicht wohin.
Dann steht sie vor einer Kirchentür, halb offen, warmes Licht dahinter.
Sie will nur kurz hinein. Nur warm werden.
Drinnen duftet es nach Kerzen, nach Wachs, nach Stille. Früher ein vertrauter Geruch. Eine älterer Mann lächelt sie an, freundlich und schlicht, als wäre es das Natürlichste der Welt, dass Lara genau jetzt hier ist.
Die Lesung beginnt.
„Bereitet dem HERRN den Weg; denn siehe, der HERR kommt gewaltig.“
Der Satz trifft sie seltsam tief. Kein sanftes Wort, eher wie ein Ruf aus weiter Ferne.
Und doch spürt sie darin etwas Uraltes, Vertrautes –
als würde jemand wissen, wie müde ihr Herz geworden ist. Und sie beim Namen rufen.
In der Predigt Worte von neuen Anfängen, liebevollem Leben, Geborgenheit bei Gott.
Etwas in ihr spannt sich, etwas anderes lässt los.
Sie denkt an Wege, die sich verbogen haben.
An Entscheidungen, die zu schwer waren.
An das lange Schweigen, in dem sie Gott irgendwo verloren hat.
Nach dem Gottesdienst schiebt sie sich Richtung Ausgang.
Beim Kirchenkaffee stößt eine junge Frau fast mit ihr zusammen.
„Oh! Sorry! Heuschrecken mit Honig oder Kaffee mit Zucker?“
Sie grinst breit.
Lara blinzelt. „Wie bitte?“
„Johannes der Täufer. Kleiner Adventsscherz. Ich bin Daniela.“
Sie lachen. Und plötzlich reden sie – überraschend offen, fast vertraut.
Über Neuanfänge. Über Verlorenheit. Über das Gefühl, irgendwo zwischen zwei Leben zu stehen.
Daniela hört zu, mit einer Wärme, die nicht aufdringlich ist, sondern still trägt.
„Weißt du“, sagt sie schließlich, „Jesus findet oft Wege zu uns, bevor wir überhaupt wissen, wie wir zu ihm zurückfinden.“
Als Lara später wieder hinausgeht, fällt der Schnee sanft.
Die Flocken glitzern, wenn sie das Licht der Weihnachtsbäume auffangen.
Sie bleibt stehen, hebt das Gesicht in die kühle Luft.
Und da ist er – ein kleiner, heller Moment, der sich anfühlt, als würde Jesus ihr still entgegenkommen.
Zart. Vorsichtig. Aber spürbar und wirklich.
Lara schließt die Augen.
Ein kurzer Atemzug.
Ein Gebet in ihrem Herzen:
„Danke, Gott. Diesen Weg will ich weitergehen.“
Amen.
Jesaja 40,1–11