Einer von zehn...

Andacht zum 14. Sonntag nach Trinitatis
Eine Person sitzt an einem Tisch vor einem gesunden veganen Essen, einem Gemüse-Smoothie und einem Kaffee.
Bild: Canva
Ein Mann mit kurzen Haaren, Vollbart und Brille blickt in die Kamera.
Ralf Drewes ist Pastor in der Nordstädter Kirchengemeinde in Hannover.

Die Eltern von Nils sind leicht genervt. Und zwar von Nils. Nicht, weil er was falsch gemacht hat. Nein, im Gegenteil. Was er macht, finden seine Eltern ja gut. Nils hat sich nämlich vorgenommen, alles richtig zu machen. Und: Nils meint es ernst damit. Sehr ernst. Das ist das Problem: Er tut es auch. Wie anstrengend! Immer diese Diskussionen. Seine Eltern sind genervt, aber auch amüsiert und fragen sich, wie das zu einem 14-Jährigen passt: Es darf jetzt kein Fleisch mehr auf den Teller. Die Einkäufe bitte ohne jede Plastikverpackung. Lebensmittel müssen phosphatfrei sein. Auch die Alufolie hat er weggeworfen. Vor kurzem turnte er durch die Abstellkammer im Elternhaus und sortierte aggressive chemische Reinigungsmittel raus. „So viele Putzmittel braucht kein Mensch“, sagte er, „und diese schon gar nicht.“ Da war Mama nicht mehr so amüsiert.

Nils ist auch leicht genervt. Und zwar von seinen Eltern. Nicht, weil sie was falsch gemacht haben. Nein, im Gegenteil. Was sie sagen, findet Nils ja gut. Seine Eltern haben sich nämlich vorgenommen, alles richtig zu machen. Und: Sie schaffen es nicht. Das ist das Problem. Und wenn sie es doch versuchen, dann geben sie schnell auf. Wie anstrengend! Immer diese Diskussionen. Nils fragt sich, wie das zu seinen Eltern passt: Das Gute wollen sie, aber dann sind sie gefangen in Bequemlichkeit. Oder im Jammer-Nörgel-Kontinuum. „Naja, ob ich das jetzt mache oder nicht...“ Ein bisschen mehr Konsequenz erwartet er schon von Erwachsenen. „So viel Moral braucht kein Mensch“, sagen die Eltern, „wir jedenfalls nicht.“ Das will Nils nicht hinnehmen.

Allerdings, Nils findet nicht, dass er ein Moralist ist. Nur konsequent. Gut, für viele Jugendliche ist vegan grade hip und aktuell und bewusstes Leben ist in Mode. Ein privater Lifestyle, ganz ichbezogen. Als so ichbezogen will Nils sich aber nicht bezeichnen lassen. Denn er weiß sehr gut: Die Statistik spricht gegen ihn. So wie er ist ungefähr einer von zehn. Nur einer von zehn Leuten verzichtet auf ein Handy. Sagt die Statistik. Zehn Kranke werden von Jesus geheilt. Nur einer kehrt dankbar zurück. Sagt die Bibel. Gerade mal einer von zehn Hektar Land wird bei uns ökologisch bestellt. Sagt das Landwirtschaftsministerium. Neun zu eins gegen das Gute. Ziemlich mieser Schnitt, jedes Mal. Nur: Nils fühlt sich nicht allein und vereinzelt, sagt er. Dank Internet. Da bekommt er ein anderen Eindruck von der Sache und von seinen Mitmenschen. Nils weiß durchs Netz eben auch: Neunzigtausend Menschen in seiner Gegend kehren der Welt vielleicht den Rücken zu und sagen: „Schön, dass es mir privat gut geht.“ Neunzigtausend. Zehntausend Menschen sagen: „Was können wir jetzt tun?“ Zehntausend sind es – nicht einer allein namens Nils. Das ist auch Statistik. Und das hört sich schon ganz anders an. Nils ist in der Minderzahl, okay. Aber er fühlt sich nicht schwach und auf verlorenem Posten. Ganz im Gegenteil. Zehntausend können ganz schön was bewirken.

Ach, übrigens: Auf sein Handy verzichtet Nils doch nicht. Noch nicht.

Amen.

Biblischer Text,
Lukasevangelium 17,11–19
Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, dass er durch das Gebiet zwischen Samarien und Galiläa zog. Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! Und da er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde? Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.
Ralf Drewes