Die Welt so fade und dunkel – wirklich?

Andacht zum 8. Sonntag nach Trinitatis
Gelbe, orangene und rote Blumen an einem Gartenzaun
Bild: tc397 von Getty Images

Der Autor

Ein Mann mit kurzen Haaren, Vollbart und Brille blickt in die Kamera.
Ralf Drewes

Salz der Erde, Licht der Welt. Mehr nicht... und die Welt so groß und fade und dunkel. Ja, wirklich?

Mit einem vertrauten Geräusch fällt die Haustür ins Schloss. Nur mal eben zum Supermarkt. Der Weg ist nicht weit. Der Nachbar winkt herzlich herüber. Er ist dabei, am Spielplatzzaun frische Pflanzen einzusetzen. Ganz freiwillig. Und auf eigene Kosten, sagt er. "Bienenfreundlich," ruft der Nachbar noch, "für Sie auch alles Gute, bleiben Sie gesund!" und wendet sich wieder seiner kreativen Arbeit zu. Jemand hat den Müll vom Gehweg weggeräumt. Nun ist alles sauber. Da hat sich also ein anderer erbarmt und Müll aufgesammelt, der ihm nicht gehört.

Der Weg zum Supermarkt führt an der Kirche vorbei. Da steht ein grüner Baum. Ein Eichhörnchen klettert elegant hinauf. Man könnte neidisch werden und freut sich. Der Blick folgt dem Tier. Oben am Kirchturm hängt noch eine orangefarbene Schwimmweste. Nur ein Zeichen von früher, aber eines das sagt: Wir denken an E uch. An der Ecke gibt es Kunst, Musik und talentierte Menschen. Die Zeit zum Stehenbleiben muss sein. Die Straßenmusik vermischt sich mit den Alltagsgeräuschen dieser Ecke. Es macht Spaß, zuzuhören. Tja, Künstler brauchen Geld. Dem Betrag in der Zigarrenkiste nach zu urteilen, denken das viele Leute. Eine Frau mit Hut legt einen Schein hinein.

Vorm Laden angekommen. Ein einziger Einkaufswagen ist noch da. Warum löst der eingesteckte Chip die Kette nicht? „Versuchen Sie mal, am Chip zu drehen,“ ruft die Frau mit Hut im Vorbeigehen. Richtig, jetzt löst sich die Kette vom Wagen. Mit Schwung in den Laden hinein. Ein junger Mann macht an der Tür Platz. Kleine Geste, große Wirkung. Vor der Kasse hängt ein Kasten für Flaschenpfand-Bons. Er quillt fast über von den vielen Papierabschnitten, die die Leute dort für Bedürftige eingeworfen haben. Am Pinnbrett daneben steckt ein Hilferuf von letzter Woche: "Kinderbetreuung gesucht! Wer passt auf meine Minis auf?" Der Zettel hatte mal zehn Abrisse. Alle sind mitgenommen worden. Jetzt aber bezahlen. Was die Leute alles kaufen wollen, ist unglaublich. "Sie haben ja nur drei Sachen," sagt da ein Mann mit vollem Einkaufswagen, "wollen Sie vor?" Die Kassiererin nuschelt automatisch: "Hallo." Es piepst dreimal in ihrer Kasse. Dann schaut sie auf, wie aus einer Trance erwacht, und lächelt die Kunden und Kundinnen an der Kasse an. "Tschüss, und schönen Rest von heute!"

Vor dem Laden, am Fahrradständer, steht ein Vater mit seinem kleinen Sohn. Beide tragen einen Fahrradhelm. Der Junge kämpft mit dem Kinderrad. "Ich kann das nicht ohne Stützräder!" mault der Kleine. "Du kannst das NOCH nicht," antwortet der Vater ruhig. Sie üben ein bisschen. Dann klappt es natürlich doch. Beide fahren in Schlangenlinien davon, ihr fröhliches Geplauder wird immer leiser. Jetzt aber nach Hause. An der Kreuzung parken Autos, das ist unüberschaubar. Jemand hält an und zeigt mit der Hand: Bitte, Sie haben hier Vorfahrt! Das macht der sogar für Fahrradfahrer und Fußgänger. Der Weg nach Hause ist frei. Dort hat der Nachbar inzwischen seine Pflanzarbeit beendet. Zufrieden sitzt er auf der Spielplatzbank und betrachtet sein Werk. Beim Gießen wird jemand ihm wohl helfen müssen. Mit dem vertrauten Geräusch springt die Haustür auf. Salz der Erde, Licht der Welt. Mehr nicht... und die Welt so groß und fade und dunkel. Ja, wirklich?

Amen.

Ralf Drewes