Wie oft bin ich selbst schon über das Wasser gelaufen?

Andacht zum 4. Sonntag vor der Passionszeit
Blaues Wasser kräuselt sich leicht.
Bild: Leung Cho Pan/canva
Ein Mann mit kurzen Haaren, Vollbart und Brille blickt in die Kamera.
Ralf Drewes

Manche Kinder können nicht schlafen, weil sie unter dem Bett oder in den Gardinen ein Gespenst vermuten. Ich war selbst so ein Kind. In meiner Kinderbibel war die Geschichte von der nächtlichen Sturmstillung eine der allergruseligsten, die ich kannte. Dieser Sturm! Diese Gottverlassenheit! Und dann das Gespenst in Wind und Regen. 

Na gut. Seitdem habe ich ja dazu gelernt. Erstens: Wenn Du Gottes Nähe nicht erwartest, sieht selbst Jesus aus wie ein Gespenst. Zweitens: Wenn Du etwas findest, an dem Du Dich ausrichten kannst, hört Dein Durcheinander auf. Petrus schafft es. Er klettert aus dem Boot und steht auf dem Wasser wie Jesus. Nun ist leider das Sehen dem Hören immer im Wege. Solange Petrus das Wörtlein „komm!“ hört und nicht darauf schaut, ob das Meer ihn tragen könne, geht er sicher auf dem Wasser. Aber als er anfängt, den Wind und die Wellen zu sehen, da versteht er jenes Wörtlein „komm!“ nicht mehr. Jesus ist da, ihm die Hand zu reichen. Er rettet Petrus nicht aus totaler Blödheit, Idiotie und Maulheldentum. Petrus weiß, was er sich zutraut - und versinkt nicht gleich bei der ersten Wasserberührung. Im Sturm und Wogenschlag geschieht etwas Selbstverständliches und gleichzeitig Ungeheures. Mitten im Durcheinander richtet Petrus sich aus.

Das könnte ich nicht, schießt einem durch den Kopf, hinaustreten auf die Wellen dieses verrückten empörten Lebens. Und wenn ich nun so nachdenke kommt gleich: Im Gegenteil! Hab ich es nicht schon oft gekonnt? Erging es mir nicht bereits oft so? Seit langem? Ich bin vielleicht übel mit dem Kinderfahrrad umgefallen. Aber doch erst nach 20 Metern. Dann hab ich es wieder versucht. Ich habe mehr als einmal im Leben nicht gewusst, wohin. Dann hab ich nach dem Weg gefragt. Ich habe vielleicht nicht so ein tolles Examen gemacht. Und sitze ich nicht hier und schreibe diese Andacht? Ich habe geliebte Menschen gehen lassen müssen und bin doch heute nicht leer, sondern voller Erinnerung und Erfahrung. Ich war krank, ich war sterbenselend - Du vielleicht auch - und siehe, wir beide leben. Wenn ich so nachdenke: Wie oft bin ich selbst schon über das Wasser gelaufen auf das Wörtlein "komm" hin. Im Sturm, aber voller Vertrauen. Könnte ich es wieder tun? Tue ich es nicht ... jetzt gerade, hier?

Amen.

Ralf Drewes