Wenn der Turm singt, ist Weihnachten spürbar

Blick von oben in einen Turm, in dem Menschen stehen und Kaffee auf Tischen ausgeschenkt wird.
Bild: Anne-Katrin Schwanitz

Unten im Turmeingang bleiben Menschen stehen, hören zu, schauen nach oben. Manche lächeln, manche sind sichtlich gerührt. Das Turmsingen der Singschule St. Johannis Lüneburg ist kein Konzert im klassischen Sinne, vielmehr sorgt es für einen Moment des Innehaltens mitten im Advent. Jedes Jahr vom 1. Advent bis 23. Dezember findet in St. Johannis Lüneburg das traditionelle Turmsingen statt.

„Im Turm zu singen macht wahnsinnig viel Spaß, weil die Akustik so toll ist“, sagt Frauke Heinze, Kantorin an St. Johannis und Leiterin der Singschule. „Der Raum verstärkt den Klang – man hört sich selbst ganz anders.“ Die Stimmen verbinden sich, werden getragen und kommen unten gebündelt an – klar, warm und eindringlich.

Seit 2017 leitet Frauke Heinze die Singschule St. Johannis. Sie hat die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen stetig weiterentwickelt und geprägt – mit hoher musikalischer Qualität, pädagogischem Feingefühl und einer Haltung, die Kinder ernst nimmt. „Wir machen Musik nicht von oben herab“, sagt sie. „Wir wachsen musikalisch gemeinsam.“

Drei Kinder, zwei Jungs und zwei Mädchen in Portraits.
Bild: Anne-Katrin Schwanitz
Ansgar, Bente und Theodor singen gern mit.

Beim Turmsingen am 17. Dezember sind es die klaren Stimmen der Knabenkantorei, die von der Empore herab erklingen. Ansgar und Theodor gehören zu den Jungen, die hoch oben singen. „Mir gefällt einfach das Singen. Darum geht es ja auch“, sagt Ansgar schlicht. „Mit anderen aufzutreten und dann zu singen – das mag ich einfach.“

Rund 150 Kinder und junge Menschen singen in der Singschule St. Johannis regelmäßig in verschiedenen, aufeinander aufbauenden Chorgruppen – von der Minikantorei über Kinder- und Jugendchöre bis zur Knaben- und Mädchenkantorei. Sie arbeitet in den jüngeren Jahrgängen ganz bewusst mit getrennten Knaben- und Mädchenchören. Knabenstimmen hätten einen ganz eigenen, besonderen Klang, erklärt Frauke Heinze. Die Knabenkantorei von St. Johannis ist dabei eine Besonderheit: Sie ist der einzige Knabenchor im gesamten Landkreis Lüneburg.

Auch die Mädchenkantorei ist fester Bestandteil der Singschule. Bente, die dort singt, beschreibt das Erlebnis im Turm so: „Der Klang ist atemberaubend, mega cool.“ Für sie sei vor allem wichtig, mit anderen zusammen zu singen – und dass viele ihrer Freunde dabei sind.

Mehr als Musik: Gemeinschaft, Mut und Vertrauen

Was die Kinder in der Singschule lernen, geht weit über das Singen hinaus. Sie erleben Gemeinschaft, finden Freunde, lernen, sich zu konzentrieren und vor anderen aufzutreten. „Mit anderen zusammen zu singen – das ist eigentlich das Tollste“, sagt Bente.

Eltern beobachten, wie ihre Kinder an Selbstbewusstsein gewinnen. Julia Weitzel, Mutter eines Singschülers, beschreibt es so: „Weihnachten mit Kindern ist ohnehin etwas Besonderes. Aber durch diese Kirchenmusik, durch die Proben, Konzerte und Momente wie das Turmsingen bekommt die Weihnachtszeit noch einmal eine ganz eigene Magie.“ Die Musik, gesungen von Kindern, gehe zu Herzen – und trage ihre Botschaft weiter.

Eine weiblich gelesene Person in blauem Pulli vor einem Kirchenfenster.
Bild: Anne-Katrin Schwanitz
Seit 2017 leitet Frauke Heinze die Singschule St. Johannis.

Wenn Musik Glauben ins Gespräch bringt

Für Annka Scherf-Klein, Mutter von drei Singschulkindern, hilft das Singen auch in den Anfängen des Glaubens. „Ich bin selbst durch geistliche Chormusik zum Glauben gekommen“, erzählt sie. Wenn ihre Kinder für das Krippenspiel oder für Auftritte proben, entstünden zu Hause Gespräche über Bibeltexte, über die Weihnachtsgeschichte und über das, was die Evangelisten erzählen. „Das trägt reiche Früchte“, sagt sie. „Der Glaube wird dadurch greifbar.“

Gerade in der Adventszeit zeige sich, wie stark Musik verbinden könne – Familie, Generationen und Glaubensfragen. Die Singschule St. Johannis begleitet Kinder ab vier Jahren bis ins junge Erwachsenenalter. Stimmbildung, Gesangsunterricht und altersgerechte Chorliteratur gehören ebenso dazu wie Auftritte in Gottesdiensten, Konzerten und beim traditionellen Krippenspiel. „Singen ist etwas, das man nur gemeinsam tun kann“, resümiert Frauke Heinze. „Es schafft Gemeinschaft – unabhängig von Herkunft, Alter oder Persönlichkeit.“

Das Turmsingen ist dabei einer der Höhepunkte im Jahr. Wenn die letzten Töne verklingen und unten im Turmeingang Menschen noch einen Moment stehen bleiben, wird spürbar, was diese Tradition ausmacht: Musik öffnet Räume – im Turm und im Herzen.

Anne-Katrin Schwanitz