In der Mitte des Lebens fragen sich viele Berufstätige: „Soll es das schon gewesen sein?“ oder „Habe ich damals den passenden Beruf gewählt“? Aber soll man jetzt noch einmal die Arbeitsstelle wechseln, wo man sich bereits gut etabliert hat? Michael Grabbe aus Klein Schneen und Julia Sohn aus Gleichen haben es getan und noch einmal von vorne begonnen. Ein Quereinstieg: Aus der Verwaltung in den Pfarrberuf. Pfarrverwalterin bzw. -verwalter – so heißt der Beruf, den die beiden erlernen. Seit dem 1. März befinden sie sich in der Ausbildung bei der Ev.‐luth. Landeskirche Hannovers.
Julia Sohn hatte zuvor Sozialwissenschaften studiert und arbeitete viele Jahre in der kommunalen Verwaltung in Göttingen. Für die Kirche engagiert sie sich ehrenamtlich schon lange, hat eine Ausbildung zur Lektorin gemacht, in ihrer Gemeinde Apostel Gleichen Taizé‐Andachten organisiert und Keyboard bei Gottesdiensten gespielt. Was hat sie bewogen, mit knapp 45 Jahren noch einmal den beruflichen Neuanfang zu wagen? „Ich habe gemerkt, dass es mir wahnsinnig viel bedeutet, eine intensive Gottesbeziehung in meinem Leben zu haben. Ich denke, dass das sehr bereichernd für einen selbst ist, es hilft einem, mit schwierigen Situationen umzugehen, man bekommt einen sehr dankbaren, positiven und liebenden Blick auf das Leben und ich denke immer, wenn viele Menschen das so empfinden und so tun, dann trägt das vielleicht sogar zu einer friedlicheren Welt bei. Und das ist ein Ansporn für mich, warum ich gerne im Bereich Verkündigung arbeiten möchte. Das geht natürlich nebenberuflich nur sehr eingeschränkt.“
"Einfach nochmal etwas Neues kennenlernen"
Dass die Zeit oft knapp ist, hat auch Michael Grabbe erfahren. Als stellvertretender Leiter des Kirchenamtes Göttingen‐Münden leitete er die Haushalts‐ und Finanzabteilung und war nach dem Weggang von Pastorin Dagmar Henze zusätzlich als Mitarbeiter im Pfarramt Obernjesa tätig. Zudem engagierte er sich seit Jahren ehrenamtlich bei der Kirche. Er absolvierte eine Lektoren‐ und Prädikantenausbildung, war als Notfallseelsorger tätig und führte Beerdigungen durch. Auch als Musiker war er im Kirchenkreis Göttingen‐Münden unterwegs und spielte allein auf Beerdigungen 2.000‐mal die Orgel. Mit 52 Jahren wollte er endlich seine Berufung zum Beruf machen. Obwohl er einiges, was in der Pfarrverwalterausbildung gelehrt wird, bereits kennt, freut er sich auf die vor ihm liegende Zeit. „Ich glaube man lernt nie aus. Man nimmt immer irgendetwas mit. Natürlich habe ich jetzt schon eine gewisse Erfahrung über die ganze Zeit sammeln können, aber ich glaube, man ist nie fertig. Für mich ist es so, dass ich in den letzten zwei Jahren beides parallel gemacht habe: Kirchenamt und das Pfarramt und das war einfach sehr viel, hat viel Zeit gekostet. Ich war mit sehr viel Herzblut dabei, aber ich freue mich jetzt auch nochmal anderthalb Jahre auf Menschen in einer anderen Gemeinde, in einer anderen Stadt. Einfach nochmal etwas Neues kennenzulernen, einen anderen Blickwinkel zu bekommen und dann wieder zurück zu kommen und dann da eingesetzt zu werden, wo auch jetzt mein Herz schon schlägt.“
"Eine Herausforderung wird es auf alle Fälle"
Seine Ausbildungszeit verbringt Grabbe in der Stadtkirchengemeinde Münden, Sohn in der Weststadtkirchengemeinde in Göttingen. Im Gegensatz zu ihrem Kollegen, der nach der Ausbildung das Pfarramt Obernjesa übernimmt, weiß sie noch nicht, welche Gemeinde sie nach ihrer Ausbildung leiten wird. Aber bis dahin ist es ja noch über ein Jahr hin. In den ersten vier Monaten ihrer 18‐monatigen Ausbildung sind die beiden direkt in die Praxis eingestiegen. Predigen und Gottesdienst feiern, taufen und trauen, Menschen begleiten und beerdigen. Dazu kommt noch der theoretische Teil der Ausbildung mit den Themen „Kasualien“, „Predigtkunde“, „Seelsorge“ oder „Wie führe ich eine Pfarrstelle“. Im Unterschied zu ihrer früheren Tätigkeit in der Verwaltung sind die Beiden bereits jetzt immer im Dienst. Sonntägliche Gottesdienste, ein plötzliches Seelsorgegespräch am Abend oder eine Beerdigung – was für viele nach bedrückend wenig Privatleben klingt, sieht die vierfache Mutter Julia Sohn nicht als Problem an. „Eine Herausforderung wird es auf alle Fälle. Aber im normalen Arbeitsleben ist man ja auch weg und das muss man genauso zu Hause organisieren und hinkriegen, wenn die Kinder krank sind usw. Da denke ich, macht höchstens den Unterschied, dass Pastor:innen eben doch sehr eigenwillige Arbeitszeiten haben. Aber Privat‐ und Berufsleben unter einen Hut zu bekommen, schaffen meine zukünftigen Kolleg:innen ja auch.“
Kirche ist auf Quereinstieg angewiesen
Die Ausbildung zum Pfarrverwalter bzw. zur Pfarrverwalterin ist an verschiedene Voraussetzungen geknüpft. Bis zu acht Personen aus der Landeskirche Hannovers werden pro Jahr aus den Bewerbungen für den besonderen Zugang zum Pfarrdienst von einer Kommission des Landeskirchenamtes ausgewählt. Voraussetzung für die Aufnahme dieser Ausbildung ist u.a. die Mitgliedschaft in der Landeskirche Hannovers und eine mindestens zehnjährige aktive Mitarbeit in einer oder mehreren Kirchengemeinden, insbesondere Vertrautheit und Erfahrungen mit Gottesdienst‐ und Predigtpraxis (als Prädikantin oder Prädikant oder in vergleichbarer Tätigkeit).
In Zeiten von Nachwuchsmangel, die Zahl der Theologiestudierenden sinkt seit Jahren kontinuierlich, ist die Kirche neben den Ehrenamtlichen auch auf Quereinsteiger:innen angewiesen. Grabbe sieht in den unterschiedlichen Lebenserfahrungen mehrere Vorteile. „Ich glaube, dass es eine gute Ergänzung sein kann, wenn man in einem Team arbeitet, wo ein Volltheologe oder eine Volltheologin mit dabei ist und eine Pfarrverwaltung – ich bringe jetzt zum Beispiel viel Wissen mit, was die pfarramtliche Verwaltung angeht – und ich glaube, dass wir viel voneinander profitieren können.“
Mit der Ordination werden die Pfarrverwalter:innen dann in den Dienst berufen. Damit wird ihnen, wie auch den Pastor:innen, die vorher Theologie studiert und ein Vikariat absolviert haben, das lebenslange Recht verliehen, öffentlich zu predigen, zu taufen und das Abendmahl einzusetzen.