
In der christlichen Fastenzeit üben viele Gläubige bewusst Verzicht und überdenken ihre Privilegien. Die diesjährige Fastenaktion der evangelischen Kirche ruft zu sieben Wochen ohne Panik auf.
Nienburg, Hannover. Mit einem Appell, in einer von Kriegen und Krisen erschütterten Zeit auch das Gute zu sehen, hat der hannoversche Landesbischof Ralf Meister am Sonntag die evangelische Fastenaktion „7 Wochen ohne“ eröffnet. In einem ZDF-Fernsehgottesdienst aus der Nienburger Kirche St. Martin sagte Meister: „Jeden Tag können wir eine Geschichte des Weltuntergangs erzählen. Und jeden Tag können wir eine Geschichte der Weltrettung erzählen, auch dafür gibt es unzählige Möglichkeiten.“
Meister, der auch Botschafter der Fastenaktion ist, sagte, unsere Gesellschaft befinde sich angesichts einer sich überstürzenden Weltlage im Dauerstress. „So vibriert unsere ganze Gesellschaft in einer Unruhe. Kurzatmig hetzen wir durch diese Sphäre der Ungewissheit und Angst“.
Mit Bezug auf das diesjährige Motto der Aktion „Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik“ rief Meister dazu auf, durchzuatmen und sich aus der Überforderung zu befreien. Er selbst wolle an seiner Zuversicht festhalten, gerade jetzt in der Fastenzeit. Man müsse mit allem rechnen, „auch mit dem Schönen“, unterstrich der Landesbischof.
Sein persönlicher Bezug zu dem Thema gehe auf ein Zitat von Greta Thunberg zurück, sagte Meister, der im Gottesdienst die Predigt hielt. Sie hatte 2019 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos angesichts des Klimawandels unter anderem den Satz geäußert: „I want you to panic.“ Diese Aussage habe ihn ins Grübeln gebracht, wie Menschen auf Situationen reagieren könnten, verrät Meister.
Bei Panik gehe es darum, dass ein Mensch kein Bewusstsein mehr dafür habe, was um ihn herum geschieht, erläutert der Landesbischof. „Panik lässt kaum Handlungsoptionen.“ Jeder und jede könne das anhand eigener Erlebnisse nachvollziehen. „Panik hat auch mit Geschwindigkeit zu tun - einer Geschwindigkeit, bei der klar ist: Du hältst nicht mehr mit.“ Deswegen passe als Gegengewicht dazu sehr gut das Luft holen, sagt der Landesbischof. „Wer bewusst Luft holt, gibt seinen Gedanken Raum und Zeit, sich zu formen.“
Mit der Fastenaktion solle ein bewusstes Gegengewicht zu „atemlosen Zeiten“ gesetzt werden. Es solle Zeit sein, innezuhalten und den Blick auf den Alltag vielleicht sogar dauerhaft zu verändern. Für jede der sieben Wochen bis Ostern gibt es ein Untermotto mit zugeordneten Bibelstellen. So startet die Aktion in der ersten Woche mit dem Thema „Fenster auf“. In der der zweiten Woche folgt das Motto „Seufzen“. Danach reihen sich „Singen“, „Frischer Wind“, „Dicke Luft“, „Ruhe finden“ und „Osterwunderluft“ aneinander.
Schon früh in der Planung habe das Themen-Kuratorium den Eindruck gehabt, dass sich viele Menschen danach sehnten, angesichts vieler Krisen einmal durchatmen zu können und nicht panisch zu werden, erläutert die Theologische Direktorin des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP), Stefanie Schardien. Sie war für 2025 erstmals in dem Gremium an der Schwerpunktfindung beteiligt. „Dass 'Luft holen' nun kurz nach dem vorgezogenen harten Wahlkampf und nach den neuen weltpolitischen Entwicklungen so sehr das Gefühl treffen würde, hatten wir natürlich nicht geahnt.“
Im Begleitheft zur Fastenaktion schreibt die Pfarrerin der Nienburger Kirchengemeinde St. Martin, Cordula Schmid-Wassmuth, viele Menschen machten sich zu schnell zu viele Sorgen. „Damit tun wir uns und unserer Umgebung keinen Gefallen“, schreibt die Theologin, in deren Kirche der TV-Eröffnungsgottesdienst zu „7 Wochen Ohne“ gefeiert wurde. Die Menschen müssten sich Zeit nehmen und mehr auf das schauen, „was Gutes da ist, was uns hilft und hält, auf unsere Ressourcen“.
Genau dafür sei die Fastenzeit wertvoll, unterstreicht Bischof Meister. Sie sei keine spontane Erfahrung, sondern dauere 40 Tage. Positive Erfahrungen, die in einer solchen Zeitspanne gemacht würden, hätten eine gute Chance, die Menschen auch über die Fastenzeit hinaus zu begleiten. Wer lerne, zu sagen: „Atme erst mal durch“, mache das später selbstverständlich. „Vieles, was uns unzufrieden macht oder worüber wir uns ärgern, entsteht nach meiner Ansicht daraus, dass wir uns nicht mehr die Zeit nehmen, um durchzuatmen und nicht mehr die Zeit finden, um nachzudenken.“
Mit der Fasten- und Passionszeit vergegenwärtigen sich Christen traditionell das Leiden und Sterben von Jesus und bereiten sich auf Ostern vor. Seit 1983 initiiert die evangelische Kirche zwischen Aschermittwoch und Ostermontag jährlich ihre Fastenaktion mit mit den jährlich wechselnden Schwerpunkten. Koordiniert wird „7 Wochen Ohne“ von einem Projektbüro im GEP in Frankfurt am Main. Das GEP trägt unter anderem auch die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd).