Martinstag – gestern und heute

Andacht zum Martinstag
Drei Laternen leuchten.
Bild: Thomas Shanahan/Getty Images
Richard Gnügge
Richard Gnügge

Ich erinnere mich gerne an den Martinstag 2020 in unserer Gemeinde. Corona-Herbst. Der alljährliche Laternenumzug war abgesagt. Das Martinssingen im Grunde ausgeschlossen. Und dennoch zogen Kinder am Martinstag durch unser Dorf. Mit ihren Laternen und als sie unsere Kirche erreichten, bekamen sie einen Weckmann – zum Teilen – und die Geschichte von Martin von Tours zum Mitnehmen.

Verhalten kamen viele. Hielten Abstand. Und doch füllte sich der Kirchhof mit Lichtern. Mit Tuscheln und Schmatzen. Hier und da ein Kichern. Und dann zogen die Kinder mit ihren Lichtern weiter.

Ja, ich denke gerne an diesen Martinstag zurück. Es war nicht viel. Aber es war das, was möglich war. Und mehr. Gemeinschaft trotz Abstand durch ein gemeinsames Erlebnis. Brot – oder besser gesagt Weckmann-Brechen – in einer Zeit des Abstandhaltens. Kleine Gesten mit für mich großer Wirkung. „Ja, da ging mir das Herz auf.“

Und wenn wir uns dieses Jahr wieder an diesen Menschen Martin von Tours erinnern und an das, was er tat, dann erscheint es mir zunächst ähnlich. Es war keine große Heldentat. Er hat nicht ein Heer besiegt oder ein Reich gegründet. Er hat einfach geteilt. Doch in dieser kleinen Geste leuchtet etwas vom Reich Gottes auf. Jesus sagt: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Das heißt: Dort, wo wir Not sehen und nicht wegschauen, wo wir teilen und trösten, da begegnen wir Gott selbst.

Das Besondere an Martin ist: Er hat nicht gefragt, wer dieser Bettler war, ob er es verdient hätte oder was er vielleicht mit dem Mantel anfangen würde. Er hat einfach geholfen. Später erzählt die Legende, dass Martin in der Nacht träumte, er sähe Jesus selbst in genau diesem halben Mantel. Und er erkannte: In diesem Bettler war Christus ihm begegnet.

Der Martinstag kann uns Anstoß sein, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Auch heute gibt es Menschen, die frieren – nicht nur körperlich, sondern innerlich: Menschen, die sich allein fühlen, übersehen, abgewertet. Vielleicht können wir ihnen ein Stück Wärme schenken – durch ein gutes Wort, ein offenes Ohr, ein Zeichen der Nähe.

Teilen heißt nicht immer, etwas Materielles zu geben. Manchmal ist es Zeit, Aufmerksamkeit oder Geduld. So wie Martin können auch wir ein Stück unseres „Mantels“ weitergeben – und spüren, dass wir dabei selbst reich beschenkt werden.

Wenn wir teilen, verwandelt sich die Kälte der Welt in Wärme. Dann wird aus einem dunklen Novembertag ein Tag des Lichts – und aus einer einfachen Geste ein Zeichen der Liebe Gottes mitten unter uns. Ja, und dann gehen Herzen auf.

Amen.

Biblischer Text,
Mt 25,40
Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Richard Gnügge