Lehre uns Demut und Widerstand

Andacht zum 15. Sonntag nach Trinitatis
Kastanien, teils noch in grüner Hülle.
Bild: couleur von pixabay

Die Autorin

Eine jüngere Frau lächelt in die Kamera.
Bild: privat
Dorothee Beckermann

Dorothee Beckermann ist Diakonin für Konfi-Arbeit in der Region Linden-Limmer.

Jedes Jahr, wenn der Herbst beginnt, freue ich mich über die erste Kastanie. Braun glänzend liegt sie auf dem Weg vor mir. Ich gehe in die Knie, um sie aufzuheben. Ich betrachte sie staunend und spüre, wie sie sich klein und fest und dabei doch weich und fast zärtlich in meine Handfläche schmiegt. Wenn ich den Blick ein bisschen schweifen lasse, sehe ich, dass sie nicht allein ist: rund um den Stamm leuchten schon weitere Kastanien zwischen ihren aufgeplatzten Hüllen, die sie vor dem allzu harten Aufprall geschützt haben. Und oben in der Baumkrone warten noch viele weitere Früchte darauf, zur Erde zu fallen.

Ich betrachte den Kastanienbaum, der im Frühling über und über mit Blüten bedeckt war, die später im Wind leise herunter rieselten wie zauberhafter Blütenregen. Die Blätter, die dicht und grün an manchem heißen Sommertag erholsamen Schatten gespendet haben, färben sich an den gekräuselten Rändern schon gelblich-braun. Ach, Kastanienbaum, denke ich. Du tust, wozu Du erschaffen bist. Jahr für Jahr treibst Du Blüten und Blätter und wirfst im Herbst die ganze Fülle auf eine Erde, in der oft keine einzige Deiner Früchte weiterwachsen wird. Du stehst fest an Deinem Ort. Und mit dem, was Dir Sonne, Wind, Regen und Erde zutragen, erfüllst Du Deine Aufgabe.

Jedes Jahr aufs Neue. Du hältst Dich selbst dem Leben hin. Du lässt neues Leben aus Dir werden und bei Dir wohnen. Du bist einfach, was Du bist. Und Du hältst aus, dass Du vieles andere nicht bist. Du willst nicht verändern, was Du nicht verändern kannst. Du weißt, wo Dein Platz ist. Ich glaube, das ist Demut.

Aber da ist noch mehr. Du lässt Dich nicht entmutigen von der scheinbaren Sinnlosigkeit Deiner jährlichen Aussaat. Du hörst nicht auf zu wachsen. Du tust unermüdlich und unbeirrbar das, was Dein Auftrag an diesem Ort ist: Kraft sammeln, wachsen, werden lassen, loslassen. Hinnehmen, verwandeln, weitergeben. Wieder und wieder und wieder. Du folgst nicht dem Diktat von minimalem Aufwand und maximaler Wirkung. Du zählst nicht und führst keine Controlling-Listen. Du schöpfst aus der Fülle. Alles gibst Du her im Vertrauen darauf, dass es einen Sinn erfüllt, auch wenn Du ihn nicht vollkommen verstehst. Ich glaube, das ist Widerstand.

Mit der Kastanie in der Hosentasche bete ich: Gott, lehre mich die Demut und den Widerstand des Kastanienbaums. Denn Dir – und niemandem sonst: keinem Autokraten, keiner scheinbar alternativlosen Idee und keiner zerstörerischen Gewalt – gehört die Macht für immer und ewig. Amen.

Biblischer Text (Basisbibel),
1. Petrus 5,5b–11
Für euch alle gilt: Euer Umgang miteinander soll von Demut geprägt sein. Denn Gott stellt sich den Hochmütigen entgegen, aber den Bedürftigen schenkt er seine Gnade. Beugt euch also demütig unter Gottes starke Hand. Dann wird er euch groß machen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.
Bewahrt einen klaren Kopf, seid wachsam! Euer Feind, der Teufel, streift wie ein brüllender Löwe umher. Er sucht jemanden, den er verschlingen kann. Leistet ihm Widerstand, indem ihr am Glauben festhaltet! Ihr wisst, dass eure Brüder und Schwestern in dieser Welt die gleichen Leiden ertragen müssen.
Gott hat euch in seiner großen Gnade dazu berufen, an seiner ewigen Herrlichkeit teilzuhaben. In der Gemeinschaft mit Christus habt ihr Teil daran. Nur für eine kurze Zeit müsst ihr leiden. Dann wird er euch wieder aufrichten und stärken, euch Kraft verleihen und euch Halt geben.
Ihm gehört die Macht für immer und ewig. Amen.
Dorothee Beckermann