Rotenburger Diakonie stellt sich ihrer NS-Geschichte

Über die Verstrickungen der Rotenburger Diakonie in die NS-Verbrechen ist bereits vieles bekannt. Mit einem Preis und einer Dauerausstellung soll nun verhindert werden, dass dieses Wissen wieder in Vergessenheit gerät.
In einer Ausstellung informiert die Rotenburger Diakonie über ihre Rolle im Nationalsozialismus.

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Rotenburg/Wümme. Die Diakonie in Rotenburg stellt sich ihrer Geschichte während der NS-Zeit. Erstmals wollen in diesem Zusammenhang die diakonischen Rotenburger Werke, das Agaplesion-Diakoniekrankenhaus und das Diakonissenmutterhaus am 25. April einen „Rotenburger Preis für Erinnerung und Zukunft“ vergeben, sagte am Mittwoch der Vorstand des Diakonissenmutterhauses, Pastor Matthias Richter. Die mit insgesamt 10.000 Euro und einem Kunstwerk dotierte Ehrung geht an zwei Frauen und soll künftig alle zwei Jahre verliehen werden. Während der Preisverleihung soll außerdem die Dauerausstellung „Rotenburger Diakonie im Nationalsozialismus“ der Öffentlichkeit übergeben werden.

Die erste Preisträgerin ist die Erziehungswissenschaftlerin Inge Hansen-Schaberg (69) aus Rotenburg. Sie erhalte 6.000 Euro als Preisgeld für ihr unermüdliches Engagement zum Erhalt der Erinnerung an das jüdische Leben in Rotenburg. Sie stehe zudem stellvertretend für den Förderverein der Cohn-Scheune, die heute ein jüdisches Museum beherbergt, erläuterte Richter.

Beate Geicke (60) aus Thalau in der Rhön ist die zweite Preisträgerin und erhält 4.000 Euro, sagte die Geschäftsführerin der Rotenburger Werke, Sabine Ulrich. Geicke habe sich gegen massive Widerstände in ihrem Heimatdorf für die Erinnerung an den zeitweise in dem Ort lebenden Wilm Hosenfeld (1895-1952) eingesetzt. Der Wehrmachtsoffizier rettete neben anderen auch dem jüdischen Pianisten Wladyslaw Szpilman in den letzten Tagen des Warschauer Aufstandes im Jahr 1944 das Leben. Szpilmans Schicksal wurde in dem Polanski-Film „Der Pianist“ weltbekannt. Die Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem verlieh Hosenfeld im November 2008 postum den Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“.

Die neue Ausstellung im Mutterhaus setze sich detailliert mit der Geschichte der Diakonie und ihren Verstrickungen mit den NS-Verbrechen wie der Tötung behinderter Menschen und der Zwangssterilisation auseinander. Die Schau ist Richter zufolge auf Grundlage einer 2016 veröffentlichten Studie des Historikers Uwe Kaminsky erstellt worden und vollständig im Internet einzusehen. Eigentlich sollte die Ausstellung bereits vor zwei Jahren eröffnet werden. Aufgrund der Corona-Pandemie musste dies verschoben werden.

Laut Richter werden in der Ausstellung vor allem Dokumente und Fotos gezeigt. Ein wichtiges Kapitel nehme der damalige Vorsteher der Rotenburger Diakonie, Pastor Johann Buhrfeind (1872-1950), ein. Dieser sei zwar kein Anhänger der Nazis gewesen, habe aber seine Patienten nicht gegen die Zwangssterilisation verteidigt. Insgesamt zeichne die Ausstellung ein ambivalentes Bild des Theologen. Sie mache deutlich, dass die Geschichte nicht in Vergessenheit geraten dürfe.

Aus dieser Erkenntnis heraus leite sich auch die zweite Bestimmung des neuen „Rotenburger Preises“ ab. Er solle die Erinnerung wachhalten und die Demokratie fördernde und antirassistische Ideen und Projekte unterstützen, unterstrich Richter.

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epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen