Nordhorner Gymnasium erhält Gütesiegel gegen Antisemitismus

Kriterien sind etwa die eingehende Beschäftigung mit der Shoah und der politischen Lage im Nahen Osten sowie Gedenkveranstaltungen.
Vermutlich ein junger Mann sitzt in einer Stuhlreihe und trägt eine Kippah. Auf dieser steht in rot-rosa: Don't stop believing.

„Warum beten wir nicht für die Hamas?“ Die Frage zweier Schüler des Evangelischen Gymnasiums Nordhorn traf die Lehrkräfte wie ein Donnerschlag. „Ich dachte, das kann doch nicht wahr sein“, sagt Schulleiterin Gabriele Obst. Gerade zuvor hatte die gesamte Schulgemeinschaft während einer offiziellen Gedenkminute am 9. Oktober an die Opfer des Hamas-Terrors in Israel zwei Tage zuvor erinnert. 

Die Schule engagiert sich mehr als die meisten anderen in Niedersachsen gegen Antisemitismus. Für diese Arbeit erhielt das Gymnasium neben fünf weiteren kirchlichen Schulen am Mittwoch (22. November) das neue ökumenische Gütesiegel „Zusammen gegen Antisemitismus“. Und dann kam so eine Frage. 

Die für ihr Engagement geehrten Einrichtungen sind die Marienhausschule und das Gymnasium Marianum in Meppen, das Evangelische Gymnasium Nordhorn sowie die Ursulaschule, die Domschule und die Thomas-Morus-Schule in Osnabrück.

Gerade auf solche Vorfälle wie in Nordhorn sollen die ausgezeichneten Schulen reagieren können. Das ist eines der zu erfüllenden Kriterien für das Gütesiegel. Weitere sind etwa Fortbildungen für alle Mitarbeitenden und eine jährliche Gedenkveranstaltung an die Shoah. Zudem müssen die politische Lage im Nahen Osten und der israelbezogene Antisemitismus im Politik- und Geschichtsunterricht eingehend erörtert werden. 

Das in Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden entwickelte Siegel wird von der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Schulstiftung im Bistum Osnabrück erstmals verliehen. Der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, Gerhard Wegner fordert, ein solches Siegel für alle Schulen in Niedersachsen zu etablieren. „Wir brauchen Anreize für gute Antisemitismusprävention an den Schulen.“ 

Das Evangelische Gymnasium Nordhorn gehört zu den ausgezeichneten Schulen.

Obst hat nach dem Vorfall vom 9. Oktober mit den Lehrkräften ein neues Konzept für die Behandlung des Themas in den verschiedenen Jahrgängen und den betreffenden Fächern erarbeitet. „Wir müssen mit Blick auf den aktuellen Konflikt in Israel und Gaza noch mal aufklären, analysieren, Position beziehen und Solidarität zeigen.“

Vor allem Social-Media-Plattformen wie Tiktok stünden dabei im Fokus, erläutert die Schulleiterin. Sie verbreiteten Bilder vieler Gräueltaten ungefiltert. Die Kinder und Jugendlichen könnten sie nicht in einen Kontext einordnen. „Da hat die Schule ganz klar die Aufgabe, aufzuklären.“ Der Nahost-Konflikt wird am Gymnasium Nordhorn normalerweise ausführlich im Jahrgang 11 im Geschichtsunterricht thematisiert. Mit jüdischem Leben in Deutschland und Antisemitismus beschäftigen sich alle Sechstklässler im Religionsunterricht. In den Klassen 8 und 10 werden jetzt zusätzliche Unterrichtseinheiten, unter anderem zur Darstellung des Konflikts auf Tiktok in den Lehrplan aufgenommen. Nils Volling hat daran schon teilgenommen. „Die Beschäftigung mit diesen Themen gehört bei uns zum Alltag“, sagt der 18-jährige Abiturient. Auch in der seit 2015 bestehenden Partnerschaft mit einer Schule im israelischen Haifa hat er sich engagiert. „Nach dem Überfall der Hamas haben wir natürlich sofort daran gedacht, wie es unseren Freundinnen und Freunden in Haifa geht.“ Glücklicherweise liege die Stadt im Norden Israels und sei nicht unmittelbar betroffen gewesen. 

Mehrere dutzend Menschen sitzen in Stuhlreihen in einem großen Raum, viele tragen Anzüge und gute Kleidung.
Bild: Thomas Osterfeld/Bistum Osnabrück
Die Auszeichnung wurde in den Räumen der Jüdischen Gemeinde Osnabrück verliehen.


Eigentlich wären Volling und weitere Schüler aus Nordhorn in diesen Tagen dorthin gereist. „Aber wir versuchen, auf anderen Wegen den Kontakt zu halten und ihnen Zeichen zu senden, dass wir an ihrer Seite sind“, sagt Schulleiterin Obst. Nils Volling hält das Engagement der Schule auch deshalb für wichtig, weil dadurch auf eigene antijüdische Klischees und Denkmuster aufmerksam gemacht werde. „Das ist nicht immer gleich der krasse Antisemitismus.“ 

Und schon gar nicht sei Antisemitismus ein Thema nur in Bezug auf Muslime, ergänzt Obst. An ihrer Schule mit 724 Schülerinnen und Schülern sei der Anteil der Muslime mit 19 sehr gering. Auch die beiden Schüler, die nach den Gebeten für die Hamas gefragt hätten, seien keine Muslime gewesen. „Deshalb ist es wichtig, dass wir uns vor allem mit unseren eigenen Vorurteilen auseinandersetzen.“

Mehrere dutzend Menschen sitzen in Stuhlreihen in einem großen Raum, viele tragen Anzüge und gute Kleidung.
Bild: Thomas Osterfeld/Bistum Osnabrück
Die Auszeichnung wurde in den Räumen der Jüdischen Gemeinde Osnabrück verliehen.

Wegner fordert Gütesiegel auch für staatliche Schulen

Osnabrück, Hannover. Niedersachsens Antisemitismusbeauftragter Gerhard Wegner hat das neue ökumenische Gütesiegel „Zusammen gegen Antisemitismus“ für kirchliche Schulen begrüßt. Die Auszeichnung sei „eine großartige Sache“, sagte Wegner in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die strengen Kriterien seien gute Voraussetzungen, um gegen Antisemitismus an den Schulen effektiv vorgehen zu können. 

Zu den Kriterien für die Auszeichnung gehören etwa Fortbildungen für alle Mitarbeitenden, ein Regelkatalog zur Intervention bei antisemitischen Vorfällen und eine jährliche Gedenkveranstaltung an die Shoah. Zudem müssen die politische Lage im Nahen Osten und der israelbezogene Antisemitismus im Politik- und Geschichtsunterricht eingehend erörtert werden. Das in Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden entwickelte Siegel wird von der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Schulstiftung im Bistum Osnabrück verliehen. 

Wegner forderte, dieses oder ein ähnliches Gütesiegel auch für alle staatlichen Schulen zu etablieren. Erste Gespräche mit der Landesregierung gebe es dazu bereits. „Wir brauchen Anreize für gute Antisemitismusprävention an den Schulen.“ Durch den seit dem Überfall der Hamas und dem Krieg in Gaza zunehmenden Antisemitismus gewinne dieses Anliegen an Dringlichkeit. 

Ferner hält der evangelische Theologe es für dringend erforderlich, den Nahost-Konflikt und den Antisemitismus im Schulunterricht eingehender zu behandeln. „Das muss für alle Schulen verbindlich in den Lehrplänen festgelegt werden.“ Ebenso sollten diese Themen in der Ausbildung der Lehrkräfte einen größeren Stellenwert erhalten. Der evangelische Theologe regte zudem an, ein Zusatz-Studium der antisemitismuskritischen Bildung für Lehrkräfte an einer norddeutschen Hochschule anzubieten. Derzeit sei die Universität Würzburg bundesweit die einzige, die einen solchen Studiengang im Programm habe.

Martina Schwager / epd Niedersachsen-Bremen