„Wir müssen unseren Glauben nach außen tragen“
Die Landessynode leitet als eines von fünf kirchenleitenden Gremien der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers die Geschicke unserer Landeskirche. Bevor sich im Februar die neue Synode bildet, stellen wir einige ausscheidende Mitglieder vor.
Zwei Wahlperioden gehörte Matthias Kannengießer der Landessynode der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers an. Als Präsident leitete der 57-Jährige seit 2014 die Tagungen der Synode kenntnisreich, unaufgeregt und mit feinem Humor. Nun scheidet der Richter am Landgericht Hannover aus seinem Ehrenamt aus, bei der November-Tagung wurde er mit lang anhaltendem Applaus verabschiedet. In loser Folge stellen wir bis zur konstituierenden Sitzung der neuen Landessynode im Februar weitere ehemalige Mitglieder und ihre Arbeitsschwerpunkte vor.
Herr Kannengießer, was ist leichter zu leiten – eine Gerichtsverhandlung oder eine Sitzung der Landessynode?
Matthias Kannengießer: Ganz eindeutig die Landessynode. Der Unterschied ist, dass in der Landessynode alle darum bemüht sind, konstruktiv auf eine Lösung zuzuarbeiten und ja auch alle eine gleiche Grundüberzeugung teilen – unseren christlichen Glauben. Das trägt durch gewisse Meinungsunterschiede hindurch. Man geht sehr höflich miteinander um, und das gibt es außerhalb der Kirche eben nicht so und im Gerichtssaal auch nicht immer.
Außerhalb der Kirche ist ein gutes Stichwort. Manche wünschen sich eindeutige Orientierung durch die Kirche, beispielsweise in ethischen Fragen. Aus der Synode kennen Sie hingegen die ganze Vielstimmigkeit evangelischer Christinnen und Christen. Wie schwierig ist es, zu gemeinsamen Positionen zu kommen?
Kannengießer: Unsere evangelische Kirche zeichnet sich dadurch aus, dass sie sehr vielfältige Mitglieder hat und damit auch sehr vielfältige Positionen dieser Mitglieder. Insoweit ist es nicht ohne weiteres möglich, dass man eine Position findet, die für alle unterstützenswert oder richtig erscheint. Um so etwas muss gerungen werden. Das kann manchmal gelingen, aber manchmal muss man eben auch anerkennen, dass es nicht eine einheitliche Meinung gibt. Ich finde es sogar gut, unterschiedliche Meinungen zu hören – als Anregung, in welche Richtung man weiterdenken kann.
Wie erleben Sie das in Ihrem Umfeld? Die einen werfen der Kirche zu viel politische Einmischung vor, andere beklagen ihre geringe Relevanz, wenn sie sich zu Wort meldet.
Kannengießer: Das ist auf jeden Fall ein Spagat oder vielleicht sogar ein unauflösbarer Widerspruch. Beides lässt sich nicht gleichzeitig verwirklichen, so dass es immer wieder um den Einzelfall gehen muss. Ist das ein Thema, zu dem die evangelische Kirche einen substanziellen Beitrag zu leisten hat? Wo das gelingt, kann die Kirche überzeugend in politischen Fragen ihre Stimme erheben.
Mit welchen Zielen und welcher Motivation sind sie vor zwölf Jahren angetreten? Und wie bewerten Sie dies rückblickend?
Kannengießer: Meine Motivation war eine, die wohl für alle Ehrenamtlichen in der Kirche gilt. Ich wollte meine Arbeitskraft, mein Mitdenken, meine Erfahrungen einbringen und mithelfen, dass die Landeskirche die ihr gestellten Fragen gut beantworten kann. Dazu gehören Fragen wie: Wie ist die Kirche zu strukturieren? Wie können die Finanzmittel klug eingesetzt werden, um möglichst gute Ergebnisse zu erzielen? Oder Personalentscheidungen: Welche Personen können vielleicht in herausgehobenen Positionen das Gesicht der Kirche sein? Diese Hoffnung, dass ich an der einen oder anderen Stelle etwas hilfreich mit in die Wege leiten kann, hat sich manches Mal realisieren lassen.
Auf welche Entscheidung, an der Sie mitgewirkt haben, sind Sie stolz?
Kannengießer: Ich hatte die Gelegenheit, an unserer neuen Verfassung mitwirken zu können. Das war eine Aufgabe, die man nicht jedes Jahr gestellt bekommt, und bei der man hoffen darf, dass die Arbeit daran vielleicht Jahrzehnte oder jedenfalls eine längere Zeit wirken kann. Darin sind auch Aussagen enthalten, die zum Beispiel das Verhältnis zu anderen Kirchen betreffen, zu unseren jüdischen Geschwistern und auch die Stellung der Kirche zum Staat. Das hat große Bedeutung und dokumentiert eine grundsätzliche Haltung unserer Landeskirche. Ich glaube, wir haben mit der Verfassung insgesamt einen guten Rahmen für die Zukunft geschaffen. Damit sind wir noch nicht auf alles vorbereitet, was da kommen wird. Wir brauchen Menschen, die das umsetzen, sonst bleibt eine Verfassung natürlich nur Papier. Aber diese Arbeit hat mir besondere Freude gemacht.
Welche Entscheidung mussten Sie gegen Ihre Überzeugung mittragen?
Kannengießer: Das werde ich natürlich nicht sagen, weil man damit ja auch Entscheidungen irgendwie relativiert. Es gehört dazu, den Beschluss einer Mehrheit zu akzeptieren. Ich nenne mal ein anderes Beispiel, das nicht die Landessynode betrifft, da kann ich vielleicht ein bisschen freier sprechen. Ich bin ja auch Mitglied der EKD-Synode und finde es wenig hilfreich, wenn dort Vorschläge zu irgendeinem Tempolimit gemacht werden. Ich glaube, damit hat sich die Kirche keinen klugen Dienst erwiesen. Das heißt nicht, dass das Thema Umwelt nicht ein wichtiges Thema wäre, bei dem die Kirche vernünftige Überlegungen beisteuern kann. Nur ist hier der Eindruck entstanden, dass man sich etwas übergriffig zu Themen äußert, auf die man letztlich nicht so viel Einfluss hat.
In Ihrer Amtszeit mussten Sie ein paar Mal unter Corona-Bedingungen tagen. Wie war das? Und ist vielleicht auch etwas Positives aus dieser Zeit geblieben?
Kannengießer: Wir haben die Tagung in dieser Zeit in allen Varianten durchgeführt, mit Masken und Abstand, aber auch rein digital. Das war am Anfang sehr ungewohnt, am Ende aber schon gar nicht mehr so. Wir konnten uns erst kaum vorstellen, dass es – wenn auch notdürftig, aber immerhin doch brauchbar – funktioniert mit Alternativen zum persönlichen Zusammentreffen. Die Technik hat sich weiterentwickelt und wir sind immer klüger in der Anwendung geworden. Aber wir haben natürlich auch erkannt, was Defizite sind. Jedenfalls haben wir in den Corona-Synoden, wenn ich die mal so nennen darf, auch ordentliche Arbeit gemacht. Dass sich dabei das Zwischenmenschliche nicht so entwickeln konnte, ist klar. Insoweit haben wir auch gespürt, dass es einen eigenen Wert hat, persönlich beim Abendessen oder anderswo zusammenzusitzen.
Sie haben gesagt, in der Synode wird eher höflich diskutiert. In Landtagen oder im Bundestag erleben wir das immer häufiger anders – mussten Sie als Präsident auch mal jemanden zur Ordnung rufen?
Kannengießer: Kein einziges Mal.
Die Landessynode ist eines von fünf sogenannten kirchenleitenden Organen, neben dem Landessynodalausschuss, dem Landesbischof, dem Bischofsrat und dem Landeskirchenamt. Muss das so kompliziert sein?
Kannengießer: Das war eine große Diskussion bei der Neugestaltung unserer Verfassung. Die Frage war immer: Sind diese kirchenleitenden Organe so strukturiert, dass sie eine gute Arbeit oder Entscheidungsfindung in der Landeskirche behindern? Diesen Eindruck habe ich nicht. Es gibt ganz unterschiedliche Modelle in den verschiedenen Landeskirchen und ich habe da auch einigermaßen einen Überblick. Da gibt es sogenannte Kirchenregierungen oder eine noch stärkere Position des Landesbischofs bis hin zu solchen auf den ersten Blick etwas komplex erscheinenden Strukturen, wie wir sie haben. Wenn man sich aber die praktischen Ergebnisse anguckt, dann funktioniert es bei uns in der Landeskirche gut. Es mag Einzelfälle geben, wo das schwierig ist, ich sehe aber nicht, dass es ein strukturelles Problem wäre, das man lösen könnte, wenn man Strukturen verschlankt.
Nun verschlankt sich die Struktur ja quasi automatisch. Die Kirche verliert nicht nur Mitglieder, sondern es gibt auch immer weniger Menschen, die für Kirchenvorstände, Kirchenkreissynoden und auch die Landessynode kandidieren. Wann ist aus Ihrer Sicht der Kipppunkt für die bisherige Struktur der Kirche erreicht?
Kannengießer: Ich glaube, das lässt sich nicht an irgendwelchen konkreten Zahlen festmachen. Die Beobachtung, die Sie beschreiben, ist natürlich nicht falsch. Gleichzeitig nehme ich aber bei denjenigen, die sich für eine Mitarbeit entscheiden, eine große Motivation wahr. Solange man das noch spürt, ist das auch etwas, auf das man aufbauen kann.
Die Synode hat der Landeskirche gerade ein Schwerpunktthema vorgegeben und möchte „Anfänge im Glauben“ ermöglichen. Ist es schon so schlimm, dass Sie bei Null anfangen müssen?
Kannengießer: Der Begriff ist ja anders gemeint. Bei denen, die noch keinen Zugang zum Glauben haben, soll er tatsächlich, wie Sie sagen, bei Null anfangen. Wobei, wer fängt schon bei Null an? Dass ein zumindest etwas reflektierter Mensch sich noch nie über Grundfragen des Glaubens und den Sinn des Lebens Gedanken gemacht hat, ist unwahrscheinlich. Aber auch Menschen, die von sich selbst sagen, sie seien bereits im Glauben, haben es nötig, sich immer wieder neu auf diese Fragen einzulassen. Wir wollen auch Menschen ansprechen, die bisher noch nicht zur Kerngemeinde einer Kirche gehören. Ich finde, das bringt dieses Stichwort gut zum Ausdruck. Denn es muss natürlich zu unserer Überzeugung gehören, dass wir unseren Glauben auch nach außen tragen und nicht damit zufrieden sind, dass wir uns in unserem abgeschlossenen Zirkel nur gegenseitig bestärken. Das wäre zu wenig.
Das Thema sexualisierte Gewalt hat breiten Raum in Ihrer Amtszeit eingenommen. Wie bewerten Sie den Umgang der Synode mit dem Thema?
Kannengießer: Ich glaube, die Synode hat sich erkennbar bemüht, sich in ganz verschiedenen Formaten und Arbeitsweisen auf dieses Thema einzulassen. Dazu gehört einerseits natürlich die Begleitung der Arbeit des Landeskirchenamtes und der Fachstelle dort, nicht zuletzt durch Entscheidungen über Finanzen, die dafür zur Verfügung gestellt werden. Dazu gehört aber auch das Arbeiten in Kleingruppen, wie wir es zum Beispiel bei der Tagung in Loccum erlebt haben. Und, ganz aktuell, dass betroffene Personen direkt zur Landessynode gesprochen haben in einer vertraulichen Sitzung, was dann in einer öffentlichen Sitzung weiterbearbeitet worden ist. Auf diesem Weg kann die nächste Landessynode hoffentlich weitergehen.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Warum hören Sie auf?
Kannengießer: Es gibt keine Enttäuschung oder die Erkenntnis: Ach nee, hat mir doch nicht gefallen. Im Gegenteil, ich höre auf in einem Moment, wo ich das Gefühl habe, ich habe einiges in die Landessynode eingebracht. Und nun gebe ich anderen gern die Gelegenheit, das zu tun. Ich habe in den vergangenen zwölf Jahren viel Zeit investiert und damit auch ein paar private Aufgaben zurückgestellt, denen ich mich jetzt gerne widmen möchte. Ich möchte natürlich gerne ausreichend Zeit haben für meine Familie. Sie wissen, wir haben zwei kleine Söhne. Ich glaube, die freuen sich, wenn ich jetzt nicht mehr so oft sagen muss: Papa hat heute einen Kirchentermin.
Der Landesbischof beendet seinen Bericht vor der Synode immer mit drei „Hallelujas“, drei besonders erfreulichen Entwicklungen, Gruppen oder Personen, für die er Danke sagen möchte. Eines der Hallelujas in der November-Sitzung galt Ihnen. Welches wären Ihre drei Hallelujas?
Kannengießer: Ich möchte dem Landesbischof nicht seine Idee mit den drei Hallelujas wegnehmen, aber wenn Sie mich fragen, was besonders positiv war oder wofür ich besonders dankbar bin, versuche ich mal zu überlegen. Erstens freue ich mich, dass es gelungen ist, in der Landessynode die Beteiligung junger Menschen deutlich zu verstärken. Das ist heute ein großer Unterschied zu dem Zeitpunkt vor zwölf Jahren, als ich angefangen habe. Weiter freue ich mich über die aus meiner Sicht an vielen Stellen äußerst vertrauensvolle und im Ergebnis sehr oft gut gelungene Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen kirchenleitenden Organen. Die wenigen Einzelfälle, bei denen es nicht so lief, ändern nichts am Gesamteindruck, dass da Hand in Hand gearbeitet wird. Und dann vielleicht noch als Drittes: Ich finde es gut, dass in der Landessynode auch das Geistliche immer seinen Raum hat. Es ist eben nicht ein Parlament, das irgendwie Gesetze möglichst schnell und effizient zu entscheiden hat, sondern da geht es um mehr. Das ist in Eröffnungsgottesdiensten, in Andachten und in Bibelarbeiten immer deutlich geworden.