„Mithelfen, dass die Soldaten menschlich bleiben“

Militärdekanin spricht beim Jahresempfang des Kirchenkreises Hameln-Pyrmont
Ein Soldat auf einem Truppenübungsplatz.
Bild: epd-bild/Detlef Heese

Hameln. „Einen Krieg vorbereiten, um einen Krieg zu verhindern? Innenansichten zur Ethik des Friedens“ – das war das Thema von Militärdekanin Dr. Alexandra Dierks beim Jahresempfang des Kirchenkreises Hameln-Pyrmont. Rund 250 Menschen waren der Einladung des Kirchenkreises zum zweiten Jahresempfang nach 2024 mit dem ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Prof. Dr. Wolfgang Huber zum Thema Digitalisierung gefolgt.

Superintendent Dr. Stephan Vasel skizzierte in seiner Begrüßung die Entwicklung Deutschlands vom Land im kalten Krieg mit der weltweit höchsten Militärdichte und allein 750.000 aktiven deutschen Soldaten in den Armeen Ost- und Westdeutschlands – bis zur Wiedervereinigung und der damit verbundenen drastischen Abrüstung, bei dem die Höhe des Sozialetats schon bald über der des Wehretats lag.

„In Deutschland gewöhnte man sich an die Vorstellung, in einem Frieden mit immer weniger Waffen zu leben – und das als dauerhafter Zustand politischer Stabilität“, zitierte der Superintendent den Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Diese Stabilität sei heute nicht mehr gegeben. „Wir sind noch nicht im Krieg, aber wir befinden uns auch nicht im Frieden“ – so habe es der NATO-Generalsekretär Mark Rutte formuliert. Christen sei das Thema Frieden tief ins Stammbuch geschrieben durch Jesus und seine Bergpredigt. „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder sein“, zitierte Vasel aus Matthäus 5,9.

Noch nicht im Krieg, aber auch nicht im Frieden

Eine als Frau lesbare Person im Collarhemd steht an einem Redepult und spricht.
Bild: Gerda Schmalkuche
Militärdekanin Dr. Alexandra Dierks spricht beim Jahresempfang in Hameln.

In ihrem Vortrag stellte Dr. Alexandra Dierks eines gleich zu Beginn unmissverständlich klar: „Die Bundesrepublik Deutschland bereitet keinen Krieg vor. Die Mitgliedsstaaten der NATO bereiten keinen Krieg vor.“ Was derzeit geschehe, sei die Vorbereitung auf einen möglichen Angriff auf NATO-Gebiet. Das sei ein signifikanter Unterschied zu Russland, dass seit 2014 und verstärkt seit 2022 einen Krieg gegen die Ukraine führe, mit dem Ziel der Vernichtung dieses Staates: „Und Putins Taten sprechen für sich – er verfolgt seine Ziele sehr klar erkennbar, und offensichtlich mit kompletter Rücksichtslosigkeit.“

Es sei damit keine politisch verantwortbare Option, eine russische Eroberung eines baltischen Staates wie Litauen einfach geschehen zu lassen. „Niemand in Europa hat Lust, unter russischer Herrschaft zu leben.“ Das sei der Hintergrund für die massive Erhöhung der Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit in allen NATO-Ländern – verbunden mit der Hoffnung, Russland so abschrecken zu können.

Im November komme eine neue EKD-Friedensdenkschrift heraus, die sich mit dieser aktuellen Lage befasse. Unverändert gültig gegenüber der Friedendenkschrift von 2007 bleibe das Leitbild des Gerechten Friedens. Aber hinzu kämen Gedanken zur Pflicht des Staates, die eigenen Bürger zu schützen – eben auch vor militärischer Bedrohung. Und zum Umgang mit der Tatsache, dass es wieder Staaten gibt, die ihre geopolitischen Interessen mit militärischer Gewalt durchsetzen wollen. „Anders als früher kann es sein, dass es keine freie Wahl gibt, sich an einem Konflikt zu beteiligen“, gab die Militärdekanin zu bedenken.

Sie sei seit 2016 in der Militärseelsorge aktiv – einem der schönsten kirchlichen Arbeitsfelder: „Wir sind bei den Menschen im Dienst. Kirchlicher Dienst in einer besonderen Arbeitswelt. Das ist unsere Aufgabe, unsere Rolle. Da sein, wo Soldatinnen und Soldaten sind. Dabei zu sein, Zeit zu haben, zuhören, helfen. Es ist ein Dienst der Präsenz.“ Vor Ort sei die Militärseelsorge vernetzt mit dem Psychosozialen Netzwerk – bestehend aus Sanitätsdienst, Truppenpsychologie, Sozialdienst und mit den Lotsen für Einsatzgeschädigte. „Das hat den unschätzbaren Vorteil, dass wir alle zusammenarbeiten können, wenn jemand Probleme hat. In der Regel haben die Menschen multiple, miteinander verbundene, einander verstärkende Problemlagen“, berichtete Dr. Dierks. Dazu zählten auch Traumafolgestörungen, die nicht nur einzelne Soldaten, sondern auch ihre Familien und ihr näheres Umfeld beträfen. „Die Militärseelsorge spielt hier eine wichtige Rolle. Wir sind durch das Beichtgeheimnis absolut verschwiegen, melden nichts und sind auch nicht Teil der Hierarchie, sondern komplett zivil ohne militärischen Rang.“ Dadurch entstehe der Freiraum für Soldatinnen und Soldaten, Dinge zu erzählen, die man sonst niemanden erzählen könne.

„Wir sind durch das Beichtgeheimnis absolut verschwiegen, melden nichts und sind auch nicht Teil der Hierarchie, sondern komplett zivil ohne militärischen Rang.“
Militärdekanin Alexandra Dierks

Bei einem möglichen Kriegsgeschehen werde Deutschland voraussichtlich kein Frontstaat im geographischen Sinne sein, aber Ziel von Angriffen auf die Infrastruktur. „Und es wird der Ort sein, wo viele Menschen ankommen, die Hilfe brauchen. Irgendjemand wird sich um diese Menschen kümmern müssen.“ EKD und Deutsche Bischofskonferenz erarbeiteten dazu gerade ein Rahmenkonzept, damit klar sei, wer sich um Verwundete, Gefallene, deren Familien, Geflüchtete und Kriegsgefangene kümmere. In dieser Zeit werde die Militärseelsorge bei den Kampfverbänden sein. „Militärseelsorger werden vermutlich in den Feldlazaretten tätig sein. Wir werden uns um die Sterbenden und Gefallenen kümmern müssen – und um die, die Kameraden haben sterben sehen.“ Eine der Hauptaufgaben der Militärseelsorge im Kriegsfall sei es, mitzuhelfen, dass die Soldaten menschlich bleiben. Dass sie nicht vergessen, dass auch die Gegner Menschen sind.

„Wenn unsere Länder bereit sind, ihre freiheitlichen Demokratien entschlossen zu verteidigen, dann gibt es hoffentlich eine Chance, dass Russland von einem Angriff absieht. Denn darum geht es am Ende: Dass es gar nicht so weit kommt“, betonte die Militärdekanin. Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen. Sich verteidigen können, um sich nicht verteidigen zu müssen. Entschlossen defensiv, und defensiv entschlossen zu sein: „Wir als Militärseelsorger hoffen und beten inständig, dass das hilft.“ Mit diesen Worten schloss Dr. Alexandra Dierks ihren Vortrag. Nach einem Moment der Stille setzte ein sich verstärkender Beifall ein.

Superintendent Vasel zeigte sich zufrieden mit dem Abend: „Sehr viele Menschen sind heute miteinander ins Gespräch gekommen über die hier aufgeworfenen Fragen, die sehr schwer zu beantworten sind. Wir tragen zur demokratischen Meinungsbildung bei, indem wir uns in kirchlichen Räumen zu Themen treffen, die eine gesellschaftliche Relevanz haben: Heute war das Thema Frieden.“ Popkantor Marco Knichala und Band begleiteten den Abend mit passenden Stücken von „Schenk mir den Mut“ über „Frieden“ bis zum gemeinsam gesungenen Abschlusslied „Verleih uns Frieden“.

Harald Langguth / Kirchenkreis Hameln-Pyrmont