Startseite Archiv Nachricht vom 27. April 2023

Theologin: Wünsche mir Theologen mit „energischem Willen“

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Hildesheim. Die Hildesheimer Theologin Maren Bienert (40) wünscht sich auch in der heutigen Zeit angesichts der gegenwärtigen Krisen Theologen „mit energischem Willen“ zur Veränderung. Dafür sei die am 27. April vor 20 Jahren verstorbene bekannte feministische Theologin Dorothee Sölle ein Vorbild, sagte Bienert dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Theologinnen und Theologen, die so viele Bürger erreichen, wünsche ich mir auch für unsere Zeit“, sagte sie. Bienert ist Professorin für evangelische Ethik und Dogmatik an der Universität Hildesheim.

Sölle habe schon sehr früh Themen wie Frieden, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz miteinander vernetzt und ein politisches Bewusstsein für globale Zusammenhänge geschaffen, sagte Bienert. Politisch habe sie sich dabei weit links positioniert, woran sich viele Protestanten bis heute stören würden. „Doch diesen energischen Willen, die Mega-Probleme der Zeit zu verstehen und zu lösen, brauchen wir auch heute, zum Beispiel im Hinblick auf Klimagerechtigkeit.“

Man müsse Sölles politisch linke Positionierung nicht teilen, sagte Bienert weiter. Doch die Hartnäckigkeit, mit der sich Sölle der damals vorherrschenden Theologie widersetzt habe, verdiene Anerkennung. Ihr „Kampf gegen eine patriarchale und bevormundende Theologie“ sei längst überfällig gewesen. „Dabei hat sie Allianzen gebildet und viele andere Menschen zu ganz eigenen theologischen und persönlichen Befreiungskämpfen inspiriert.“

Das Frauen- und Männerbild der einflussreichen Feministin halte sie jedoch für überholt, sagte Bienert. Kritisch sei auch, dass die evangelische Denkerin dazu geneigt habe, Religion auf Politik und Moral zu reduzieren. „Zugespitzt gesagt, fallen bei Sölle alle Gehalte des christlichen Glaubens hinten herunter, die nicht politisierbar sind.“ Dass Menschen Trost und Erlösung auch unabhängig und jenseits von politischer Befreiung erleben oder erhoffen können, komme in Sölles Texten kaum vor. Überhaupt scheine Sölle alles verdächtig zu sein, was entlastet oder was leichtfällt.

Auch die Naturmystik in Sölles Spätwerk werfe Fragen auf. „Ich halte es für hochproblematisch, wie Sölle die Natur, den Tod und vermeintliche Natürlichkeiten romantisiert“, kritisierte Bienert. Sölle habe in der Schöpfung offenbar eine letztlich harmonische und lebensfreundliche Ganzheit gesehen. Dabei sei die Natur allzu oft auch lebensfeindlich.

Doch auch wenn das Denken der berühmten Protestantin Kritik verdiene, so bleibe Sölles Hauptverdienst, Theologie und Gesellschaft, Theorie und Praxis überhaupt in ein großes Wechselgespräch gebracht zu haben.

epd-Gespräch: Urs Mundt