Mitten in der Welt

Neue Generation von Äbtissinnen in Frauenklöstern in Niedersachsen
Eine Frau sitzt in einem Fenster im Kreuzgang eines Klosters.

Buch-Tipp

Eva Schlotheuber, Henrike Lähnemann, „Unerhörte Frauen – Die Netzwerke der Nonnen im Mittelalter“, Propyläen Verlag, 26 Euro.

Isenhagen. In der kleinen Seitenkapelle des Klosters Isenhagen sind fünf Frauen zusammengekommen. Sie schweigen, minutenlang. Nur das Zwitschern eines Vogels ist durch das gekippte Buntglasfenster zu hören. Dann gibt Cornelia Renders den Ton an und alle stimmen in den liturgischen Gesang des Mittags-Gebetes ein: „Herr, meine Zeit steht in Deinen Händen.“ Die 60-Jährige ist Äbtissin des evangelischen Frauenklosters in der südlichen Lüneburger Heide. Vor ein paar Monaten hat sie den Beruf angetreten, der selten ist und von dem manche falsche Vorstellungen haben.

In Niedersachsen hat sich eine deutschlandweit besondere Tradition erhalten: In 15 Frauenklöstern und Damenstiften blieben über die Jahrhunderte Gemeinschaften von Frauen bestehen, auch als die Klöster nach der Reformation evangelisch wurden.

Die Frauen, die heute dort leben, sind alleinstehend und müssen der evangelischen Kirche angehören, ein Gelübde aber legen sie nicht ab. An ihre Spitze wählen sie eine Äbtissin. „Gerade gibt es dabei vielerorts einen Generationswechsel“, sagt Cornelia Renders. Im Herbst 2021 wurde mit der damals 48-jährigen Ärztin Henrike Wahl in Barsinghausen die jüngste unter ihnen eingeführt. Renders ist die fünfte Äbtissin, die seitdem neu ins Amt gekommen ist.

Vorher war sie über viele Jahre Diakonin in der Frauenarbeit der evangelischen Kirche Hannovers. Sie ist geschieden und hat eine 21-jährige Tochter. „Was soll ich denn sagen, was Du jetzt von Beruf bist?“, habe die gefragt. „Ich bin Managerin einer Körperschaft öffentlichen Rechts, aber Äbtissin ist mir lieber“, sagt Renders. Es sei ein geistliches Amt – mitten in der Welt.

Buch-Tipp

Eva Schlotheuber, Henrike Lähnemann, „Unerhörte Frauen – Die Netzwerke der Nonnen im Mittelalter“, Propyläen Verlag, 26 Euro.

Anknüpfen an die Tradition

Im Gespräch beim Weg durch den Kreuzgang und den Klostergarten klingt an, wie facettenreich die Aufgaben sind. Da geht es um Nachhaltigkeit – die Hauswirtschafterin bereitet in der Küche das Essen über weite Teile im Jahr mit Obst und Gemüse aus dem Klostergarten zu. Es geht um eine Baumbegehung und den Feuerschutz und die Frage, ob künftig vielleicht auch jüngere, noch berufstätige Frauen aufgenommen werden können.

Bisher entscheiden sich Frauen zumeist mit Renteneintritt für ein Leben in den evangelischen Klöstern. Anders als die Äbtissin sind sie selbst für ihren Unterhalt verantwortlich. Sie wohnen mietfrei in Wohnungen im Kloster und übernehmen dafür Aufgaben in der Gemeinschaft, führen beispielsweise Besucher durch das Kloster. Gemeinsame Fixpunkte sind die tägliche Andacht an Wochentagen und der Gottesdienst am Sonntag. Es ist ein Anknüpfen an eine Tradition, jedoch mit deutlichen Veränderungen.

Im Mittelalter traten oft schon Mädchen in die Gemeinschaften ein. Ein Lebensmodell, das durchaus attraktiv und eine Alternative zur Ehe war, wie die Historikerin Eva Schlotheuber und die Germanistin Henrike Lähnemann in einem Buch über die niedersächsischen Klöster schreiben. Denn für die Frauen waren die Klöster der einzige Ort, an dem sie eine umfangreiche Bildung bekamen.

Äbtissin Cornelia Renders steht im Konventssaal des Klosters Isenhagen vor Portraits ihrer Vorgängerinnen.
Cornelia Renders nimmt eine Haube aus einem Schrank des Klosters Isenhagen bei Hankensbüttel.

Lebten die Nonnen in den ersten Jahrhunderten zur katholischen Zeit abgeschieden in Klausur hinter den Mauern, sieht das heute anders aus. Doch manche Klischee-Vorstellungen hielten sich, sagt die Äbtissin des evangelischen Klosters Wienhausen bei Celle, Simone Dannenfeld. „Zum Beispiel hat jemand gefragt, ob ich für den 50. Geburtstag meiner Schwester aus dem Kloster rausdarf“, sagt sie und lacht.

Die 51-jährige Äbtissin war Gymnasiallehrerin in einem Nachbarort, bevor sie sich entschied, im vergangenen Herbst die Aufgabe im Kloster anzunehmen. Dannenfeld geht über die breiten Dielen des ausgemalten Nonnenchores ihres Klosters – wie zuvor schon viele Generationen von Frauen, nichts scheint an den mächtigen Holzdielen eben zu sein. Hier, im Nonnenchor, waren auch die Brillen früherer Bewohnerinnen entdeckt worden, aus dem 14. Jahrhundert. Sie zeugen vom Status der Frauen im Kloster. Die Äbtissinnen waren angesehen und oft einflussreich. Umso mehr wehrten sie sich einst gegen die Reformation, die ihr Lebensmodell infrage stellte.

Äbtissin Simone Dannenfeld sitzt im Chorgestühl des Nonnenchores im Kloster Wienhausen bei Celle.

Als Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg (1497-1546) in seinem Fürstentum den lutherischen Glauben einführte, verleibte er sich auch den Besitz der Klöster ein. Zugleich verpflichtete er sich dazu, diese zu erhalten. Später übertrug das Land Niedersachsen diese Aufgabe an die Klosterkammer Hannover, eine Landesbehörde, die den einst kirchlichen Besitz über öffentlich-rechtliche Stiftungen verwaltet.

Ihre Ausstrahlung mit vielen religiösen Kunstschätzen mache die Klöster auch heute attraktiv, sagt Äbtissin Cornelia Renders. Die Diakonin und ausgebildete Spiritualin hat viele Jahre lang Gruppen von Pilgerinnen zu den Häusern begleitet. Im Kreuzgang des Klosters Isenhagen öffnet sie einen der Schränke, in denen die Nonnen einst ihre Aussteuer mitbrachten. Jetzt lagern dort Hauben, die die Bewohnerinnen zu Gottesdiensten aufsetzen: Mit Hauben, Chormantel und weißen Handschuhen sitzen sie dann auf einer Empore in der Klosterkirche.

Im Alltag hat sich die Äbtissin an diesem Sommertag für eine leichte Leinenhose entschieden. Die Haube darf sie ohnehin erst dann aufsetzen, wenn sie am 26. August offiziell in ihr Amt eingeführt wird.


Karen Miether / epd