Startseite Archiv Tagesthema vom 29. Dezember 2022

„Wer nicht vertraut, kann nur im Bett bleiben“

Philipp Sandermann ist Professor an der Leuphana Universität Lüneburg und erforscht, warum Vertrauen so wichtig ist.

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Herr Professor Sandermann, Sie forschen seit mehr als vier Jahren intensiv zum Thema Vertrauen. Was ist denn eigentlich Vertrauen?

Vertrauen ist der Versuch, mit ungewissen Situationen umgehen zu können, der Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen. Wenn ich vertraue, akzeptiere ich, dass ich verwundet werden kann. Ich bin bereit, ein Risiko einzugehen, ohne zu wissen, was passiert. Ganz oft geschieht das unbewusst. Erst, wenn es heikel oder unsicher wird oder wenn Vertrauen enttäuscht wird, merken wir, dass wir vertrauen oder vertraut haben.

Was wäre denn, wenn wir nicht vertrauten?

Dann könnten wir nur im Bett bleiben. Keine Beziehung eingehen, unsere Kinder nicht mehr aus dem Haus lassen. Es gibt keine echte Alternative zum Vertrauen, wenn ich handlungsfähig bleiben möchte. Manchmal muss ich einfach vertrauen, weil nichts anderes möglich ist. Denn Wissen und Wahrheit beziehen sich auf Vergangenheit und Gegenwart, Vertrauen aber richtet sich auf die Zukunft. Das ist wie eine Investition – in der Hoffnung, dass sie sich auszahlt.

Wem vertrauen wir?

Unser Vertrauen richtet sich an Personen, Organisationen und Institutionen. Also auch ganz grundsätzlich zum Beispiel an die Gesellschaft, die Demokratie, die Regierung oder die Währung, mit der wir einkaufen gehen. Dieses Vertrauen ist elementar für die Zukunft unserer Gesellschaft. Eine bestimmte Anzahl von Situationen, in denen Vertrauen enttäuscht wurde, wird dabei aber akzeptiert. Weil intuitiv Klarheit darüber herrscht, dass Vertrauen sich nicht immer auszahlen kann. Kritischer wird es, wenn Menschen den Eindruck erlangen, dass ihr Vertrauen systematisch gebrochen wird.

Wonach entscheiden wir, wem wir vertrauen und wem nicht?

Generell vertrauen wir Personen und Organisationen, von denen wir uns anerkannt, respektiert, wahrgenommen und wertgeschätzt, kurz: gesehen fühlen. Die uns bei ihren Entscheidungen einbeziehen, mitnehmen. In Beziehungen und Freundschaften vertrauen wir Menschen, die uns mit unseren Schwächen akzeptieren und damit möglichst umfassend ernst nehmen. Manchmal aber ist es natürlich besser, nicht zu vertrauen. Neben Wissen und Fakten kann dabei das Bauchgefühl helfen.

Laut der Jugendstudie der Vodafone Stiftung Deutschland machen sich 86 Prozent der Kinder und Jugendlichen Sorgen um ihre Zukunft. Worauf können sie vertrauen?

Diese jungen Leute rechnen mit vielen Unsicherheiten in der Zukunft. Das heißt aber nicht, dass sie nicht vertrauen. Denn die Zukunft ist kein Gegenüber, dem man vertraut oder nicht. Sich Sorgen zu machen, bedeutet auch, dass Vertrauen umso wichtiger wird.

Die Fragen stellte Carolin George.

Philipp Sandermann (45) ist Professor für Sozialpädagogik. Er forscht und lehrt am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik der Leuphana Universität Lüneburg. Zurzeit läuft eine öffentliche Podcast-Reihe, die Sandermann gemeinsam mit seiner Kollegin Vanessa Schwenker organisiert: „Trust Issues!? Vertrauen als Grundlage gesellschaftlicher Zukunft“.

Nächster Termin ist Dienstag, der 17. Januar 2023.

Unter dem Titel „Advertise my trust“ ist Vertrauen und Konsum das Thema des Abends. Die Sendung läuft live zwischen 18 und 20 Uhr auf Deutsch. Im Anschluss an Input und Dialog der Gäste ist ein Austausch mit dem Live-Publikum möglich.

Die Zugangsdaten finden sich auf www.leuphana.de/ifsp unter der Rubrik Termine des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik.

Bereits gesendete Folgen der Reihe sind in Kürze auch nachzuhören im Leuphana-Kanal bei Diensten wie Spotify, Apple Music, amazon Music und Deezer.

Drei Tipps für mehr Zuversicht

Haben Sie Tipps für mehr Vertrauen, für mehr Zuversicht?

1. Darüber nachdenken, wem ich (berechtigterweise?) nicht oder nicht mehr vertraue – und warum ich hier kein Vertrauen mehr schenken möchte. Den Vertrauensverlust und die getroffenen Entscheidungen also reflektieren und ein Stück weit rationalisieren, um nicht in eine Haltung zu kommen, nichts und niemandem mehr vertrauen zu wollen.

2. Akzeptieren, dass das Leben ohnehin unsicher ist und wir daran nichts ändern können.

3. Eigene konkrete Erwartungen herunterschrauben, wie etwas zu sein oder zu laufen hat. Einlassen auf Neues!