Startseite Archiv Tagesthema vom 30. März 2022

Anlaufpunkt für Probleme aller Art

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Auf der Terrasse eines evangelischen Pfarrhauses, inmitten von beschaulichem Grün, hört Svitlana Kryzhanivska (55) konzentriert zu, um zu dolmetschen. Neben ihr am Gartentisch sitzt ein Ehepaar, das rechtzeitig aus Cherson fliehen konnte, bevor die Russen die Stadt eroberten. Kryzhanivska verließ ihre westukrainische Heimatstadt Iwano-Frankiwsk ebenfalls. Schon am ersten Tag des Kriegs fielen dort Bomben auf einen nahen Militärflughafen. Noch im Februar hätte sich Kryzhanivska nicht träumen lassen, dass sie aufgrund ihrer Deutschkenntnisse aus der Schule in Niedersachsen einmal als Sprachmittlerin gefragt sein würde. Auch heute ist sie zum blau-gelben Treffpunkt gekommen, um zwischen Russisch, Ukrainisch und Deutsch zu vermitteln.

Die Westukrainerin ist eine von hunderten Geflüchteten, die sich derzeit in Neustadt aufhalten. 260 waren nach Auskunft der Kommune Ende März in der Stadt registriert. Für sie hat der Kirchenkreis in kurzer Zeit die blau-gelbe Begegnungsstätte in der leerstehenden Superintendentur von Neustadt eingerichtet. Der Treffpunkt in einer ruhigen Wohngegend wurde am 17. März eröffnet. „Es geht darum, sich nicht aus den Augen zu verlieren, gemeinsam auszuruhen und Zeit miteinander zu verbringen“, erläutert die Sozialarbeiterin des evangelischen Kirchenkreises, Janet Breier, die das Angebot leitet. In der zweiten Woche hätten rund hundert Menschen das Angebot genutzt.

Die Anlaufstelle in Neustadt ist nach Burgdorf der zweite Treffpunkt, den der Diakonieverband Hannover-Land gemeinsam mit den Kirchenkreisen auf ins Leben gerufen hat. Unterstützt werden sie von der evangelischen Landeskirche Hannovers. Am Mittwoch besuchte der hannoversche Landesbischof Ralf Meister den Treffpunkt in Neustadt und gab bekannt, dass die Landeskirche für solche und ähnliche kirchliche Flüchtlingshilfe-Projekte 2,5 Millionen Euro für 2022 bereitstelle.

Im Kern gehe es darum, den Flüchtlingen wieder etwas Normalität zu ermöglichen, sagt Breier. Zum Angebot in Neustadt gehören unter anderem Spielecken, Küche, Waschmaschine, Rückzugs-Raum, Laptops und ein großer Garten. Wer will, kann auch die Sozialberatung oder die Schwangerenberatung von Diakonie-Mitarbeitern in Anspruch nehmen. Pastoren stehen zudem als Seelsorger bereit. „Wichtig für die Gespräche ist auch die Möglichkeit der Kinderbetreuung“, betont Breier. Auch Sprachlern-Angebote sind geplant. Das große Team von Ehrenamtlichen sammelt und verteilt zudem Kleider- und andere Sachspenden.

Bei ihrer Arbeit können die Mitarbeiter auf den Erfahrungen der Flüchtlingskrise 2015 aufbauen. „Anders als 2015 möchten die meisten wieder so schnell wie möglich zurück nach Hause“, sagt Breier. Zudem sei die Hilfsbereitschaft unter den Deutschen diesmal noch größer. „Ich erkläre mir das so, dass die Ukraine dichter an uns dran ist.“

Kryzhanivska hatte das Glück, in Neustadt bei Bekannten von Freunden unterzukommen. Dort sei sie zufrieden, sagt sie. So gehe es jedoch nicht allen. „Teppiche, Möbel, Schuhe, solche elementaren Dinge fehlen oft“, erzählt Kryzhanivska. Auch solche Dinge versuchen Breier und ihr Team für die Besucher des Treffpunkts zu organisieren. „Ich habe von einer achtköpfigen Familie gehört, in der die Mutter immer zweimal kochen muss, weil der Topf zu klein ist“, sagt Kryzhanivska.

Trotz des Krieges wäre Kryzhanivska lieber in Iwano-Frankiwsk geblieben. Als sie abreiste, lebten ihre zwei Söhne, die Schwiegertöchter und die kleine Enkelin noch in Kiew, außerdem die krebskranke Schwester. Die Familie habe sich kurz nach Kriegsbeginn zusammengesetzt und das gemeinsame Vorgehen besprochen. Da Kryzhanivska fließend Deutsch spricht, sollte sie als erste nach Deutschland gehen. „Wenn sich die Lage verschlimmert, kommen meine Verwandten nach. Zum Glück sind sie jetzt erstmal in Iwano-Frankiwsk. Dort ist es ruhiger.“

Kryzhanivska ist froh, dass sie in Neustadt ihren Landsleuten als Übersetzerin helfen kann. „Wenn ich beschäftigt bin, ist mein Leben leichter. Unsere Frauen sind hochmotiviert und möchten alle arbeiten. Sie möchte nicht warten und rumsitzen bis der Krieg zu Ende ist“, betont sie und verabschiedet sich, um neue Besucher zu begrüßen.

Landesbischof Ralf Meister

Diakonie-Sprecher Hans-Joachim Lenke