Eine Gemeinde sagt "Nie wieder!"

Mehrere schwarz-weiß Bilder von jungen Männern hängen an einer Wand.
Ein schwarz-weiß Bild zeigt den Blick durch einen Fensterrahmen auf ein Gittertor, Stacheldraht und einen Wachturm.
In unmittelbarer Nähe der Dorfkirche St. Johannis der Täufer wurde 1942 eine Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme errichtet.

An kaum einem Ort lagen Hoffnung und Leid so nah beieinander wie in Engerhafe. In unmittelbarer Nähe der mittelalterlichen Dorfkirche St. Johannis der Täufer wurde 1942 auf vom Staat beschlagnahmtem Kirchenland eine Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme errichtet.

2.000 Männer waren dort vom 21. Oktober bis 22. Dezember 1944 – überwiegend aus politischen Gründen – inhaftiert. 188 von ihnen wurden während der zwei Monate zu Tode gequält oder waren beim Ausheben des Panzergrabens in Aurich gestorben. Die Leichen wurden auf dem Friedhof neben der Kirche von Häftlingen ohne Mitwirkung der Kirche oder ziviler Behörden in einem Massengrab verscharrt. „Totengräber aus unserer Gemeinde mussten damals beim Ausheben helfen“, erzählt Katharina Herresthal, Pastorin der Gemeinde St. Johannis der Täufer.

Über diese und weitere SS-Gräueltaten, die sich in der Zeit rund um Kirche, Pfarrhaus und Schule abgespielt haben, soll künftig die Ausstellung erzählen, die der Verein „Gedenkstätte KZ Engerhafe“ spätestens im November dieses Jahres neu eröffnen will.

Ein schwarz-weiß Bild zeigt den Blick durch einen Fensterrahmen auf ein Gittertor, Stacheldraht und einen Wachturm.
In unmittelbarer Nähe der Dorfkirche St. Johannis der Täufer wurde 1942 eine Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme errichtet.

„Es ist wichtig zu zeigen, wozu Menschen fähig sind“

Eine blonde Frau lächelt vor einem grauen Hintergrund.
Bild: privat
Hilke Osterwald, Pastorin im Ruhestand und Vorsitzende des Vereins der "Gedenkstätte KZ Engerhafe"

Dass die Gemeinde St. Johannis der Täufer 2009 zum Gründungsvorstand des Vereins zählte, macht bereits deutlich, dass sich die Kirche eben auch seit langer Zeit mit dem düsteren Abschnitt des 600-Seelen-Örtchens in der ostfriesischen Gemeinde Südbrookmerland beschäftigt. „Für uns ist es wichtig, einen Zugang zu dem zu bekommen, was hier passiert ist und um zu zeigen, wozu Menschen fähig sind“, sagt Hilke Osterwald, Vorsitzende des Vereins.

Damit kein Gras über das Grauen wächst, wurden 1952 – sieben Jahre nach Kriegsende – die eilig angelegten Gräber für die verstorbenen KZ-Häftlinge auf dem Engerhafer Friedhof wieder geöffnet, gleichzeitig wurden damit die Erinnerungen an das KZ-Außenlager mitten im Ort wieder wach. Nach der Identifizierung durch den französischen Suchdienst konnten einige Häftlingsleichen in ihre Heimat überführt werden, andere wurden auf Ehrenfriedhöfen in Deutschland oder aber erneut in Engerhafe beigesetzt.

Eine blonde Frau lächelt vor einem grauen Hintergrund.
Bild: privat
Hilke Osterwald, Pastorin im Ruhestand und Vorsitzende des Vereins der "Gedenkstätte KZ Engerhafe"
In einem lichten Wald steht neben einem kleinen Fluss oder einem Teich eine gelbe Metallform, die an ein eckiges "U" erinnert.
Bild: Gedenkstätte KZ Engerhafe
Mahnmal an den ehemaligen Panzerabwehrgräben um Aurich.

Bis zum KPD-Verbot 1956 hatte es in dem ostfriesischen Örtchen gemeinsame Gedenkveranstaltungen von der Kirchengemeinde und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gegeben. Knapp zehn Jahre später wurde die Bepflanzung der Begräbnisstätte in eine parkähnliche Anlage verändert, sodass nicht mehr erkennbar war, dass hier KZ-Opfer beerdigt waren. Auf Initiative von Herbert Müller, Künstler und Lehrer des Gymnasiums in Aurich, wurde 1990 auf dem Friedhof gemeinsam mit Schülern ein Mahnmal mit den Namen der KZ-Opfer installiert. Danach folgten wieder Veranstaltungen und Schweigemärsche, schließlich wurde die Ausstellung gegen das Vergessen im Gemeindehaus eröffnet. Zur Gedenkstätte gehört zudem das Gräberfeld auf dem Friedhof der Kirchengemeinde Engerhafe, seit 2016 gibt es für jeden Verstorbenen einen Grabstein, das ehemalige Lagergelände und das Panzergrabenmahnmal in Aurich Sandhorst.

In einem lichten Wald steht neben einem kleinen Fluss oder einem Teich eine gelbe Metallform, die an ein eckiges "U" erinnert.
Bild: Gedenkstätte KZ Engerhafe
Mahnmal an den ehemaligen Panzerabwehrgräben um Aurich.

"Als Kirchengemeinde tragen wir eine gewisse Verantwortung"

Eine blonde, ergrauende ältere Frau lächelt in die Kamera. Sie trägt einen grünen Blazer über einem blauen Shirt.
Pastorin Katharina Herresthal sagt: "Als Kirchengemeinde tragen wir eine gewisse Verantwortung."

„Die Geschichte von Engerhafe verbindet uns und als Kirchengemeinde tragen wir eine gewisse Verantwortung, schließlich wurde das Außenlager einst gerade einmal 20 Meter vom Pfarrhaus entfernt errichtet“, sagt Katharina Herresthal, die künftig vor allem die Bildungsarbeit für Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Blick hat. Allein in diesem Jahr sind mehr als 400 junge Menschen an den außerschulischen Lernort gekommen, um mehr über das zu erfahren, was sich vor mehr als 80 Jahren in Engerhafe abgespielt hat.

Wie eng das Band zwischen dem Verein und der Kirchengemeinde ist, zeigt die Situation vor Ort. Denn das Gemeindehaus wird derzeit um- und neugebaut und die Ausstellung ruht.

Der mittlere Teil des Altbaus ist jedoch stehen geblieben und bildet künftig das Foyer zwischen Gemeindehaus und der Gedenkstätte, die Ende des Jahres ins ehemalige Pfarrhaus zieht. „Das alte ostfriesische Steinhaus ist etwas ganz Besonderes, wird nach Denkmalschutzrichtlinien saniert und wird neben Geschichtsinteressierten auch Kulturbeflissene nach Engerhafe locken“, glaubt Hilke Osterwald, Vorsitzende des Vereins.

Eine blonde, ergrauende ältere Frau lächelt in die Kamera. Sie trägt einen grünen Blazer über einem blauen Shirt.
Pastorin Katharina Herresthal sagt: "Als Kirchengemeinde tragen wir eine gewisse Verantwortung."

Gemeinde sucht weitere Zeitzeugen

Die Pastorin im Ruhestand möchte mit der Ausstellung vor allem Erinnerungen wachhalten. Die Dokumente, Bilder und Aufzeichnungen stammen zum großen Teil von Angehörigen ehemaliger Häftlinge, aber auch aus Landesarchiven. „Fotos vom Lager selbst gibt es nicht, lediglich eine verschwommene Luftaufnahme der British Royal Airforce“, erzählt Hilke Osterwald, deren Vater Carl, 96 Jahre alt, selbst noch in Schulen geht und seine Geschichte erzählt. Zum Beispiel aus der Zeit in der Hitlerjugend und wie er als 17-Jähriger an die Ostfront gezogen ist. „Uns ist es wichtig, weitere Zeitzeugen zu finden, die damals vielleicht Schulkinder waren“, sagt die Vereinsvorsitzende. Zu den Besonderheiten des KZs Engerhafe zählte nämlich auch, dass Schulhof und KZ unmittelbar aneinandergrenzten.

Und wie gehen die Jugendlichen mit den grausamen Bildern, Daten und Fakten um? "Die Resonanz spiegelt große Betroffenheit wider, gleichzeitig sind sie froh, die Möglichkeit zu haben, etwas über die dunkle Vergangenheit von Engerhafe zu erfahren“, erzählt Hilke Osterwald. Pastorin Katharina Herresthal thematisiert das Lager auch regelmäßig im Konfirmandenunterricht und sieht es zudem als Chance, als Kirche einen geschützten Raum anbieten zu können, in dem sie mit Menschen über alles, auch über dieses schwierige Thema, ins Gespräch kommen kann. 

Tanja Niestroj