„Mein Herz ist in Aleppo“
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Es ist kein einfaches Terrain, auf das sich der Bischof der Hannoverschen Landeskirche, Ralf Meister, in der vergangenen Woche begeben hat. Seit Jahren erschüttern Gewalt und Terror den Nahen Osten und zwingen viele Menschen zur Flucht. Mehr denn je stellt sich die Frage, ob nach einer fast 2000-jährigen Geschichte das Christentum in dieser Region eventuell ganz verschwindet. Aus dieser Sorge heraus hatte der Supreme Council der Evangelischen Kirchen in Syrien und im Libanon, die Dachorganisation aller evangelischen Kirchen in beiden Ländern, im August 2014 einen Hilferuf an die Kirchen in aller Welt geschickt. Die Hannoversche Landeskirche hatte seinerzeit darauf geantwortet. Mit seiner jetzigen Reise wollte Bischof Meister allerdings selbst ein persönliches Zeichen der Solidarität setzen. „Ich möchte ein klares Zeichen der Verbundenheit mit den Menschen in dieser Kriegsregion geben. Ich will ihnen zuhören und sehen, welche Hilfen wir geben können“, sagte Meister zu Beginn seiner Reise.
Paul Haidostian, der Präsident der Evangelisch-Armenischen Haigazian-Universität in Beirut, war dafür ein guter Ansprechpartner. „Die Frage nach der Präsenz der Christen im Nahen Osten ist existenziell geworden“, sagte Haidostian. „Der Massenexodus von Christen aus dem Irak und Syrien ist irreversibel. Die einen verlassen ihre Heimat, weil sie keine Zukunft mehr für sich und ihre Kinder sehen, die anderen werden von Terrorgruppen oder von Bomben gezwungen zu gehen.“ Diejenigen, die aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen nicht gehen könnten, hätten zunehmend das Gefühl, auf der Verliererseite zu stehen. Der Landesbischof konnte diese Empfindung gut nachvollziehen. Es erinnere ihn ein wenig an die Zeit der Wiedervereinigung, als vor allem junge und qualifizierte Leute die ehemalige DDR verließen und nach Westdeutschland gingen.
In der Evangelischen Deutschsprachigen Gemeinde in Beirut spricht Landesbischof Ralf Meister mit Pfarrer Jonas Weiß-Lange und seiner Frau Chris Lange. Ganz links: Owe Boersma vom EMW und ganz rechts: Thomas Fender von der Evangelisch-Reformierten Kirche. Bild: Katja Buck
Auf diese Frage suchen Christen im Nahen Osten angesichts von Bomben und Terror jeden Tag eine Antwort. „Wir wollen nicht gehen“, sagte Hala Bitar, die aus der Arabisch-Evangelischen Gemeinde in Aleppo stammt, aufgrund ihrer Heirat mit einem Libanesen aber schon viele Jahre in Beirut lebt. „Mein Herz ist immer noch in Aleppo. Dort ist meine Kirche. Das ist für mich Heimat.“
Es sei für sie schlimm gewesen, als im November 2012 ihre Kirche von Mörsergranaten zerstört worden sei. Alles sei kaputtgegangen, kein einziges Schriftstück konnte mehr gerettet werden. Vor einem Jahr hätten die verbliebenen Gemeindeglieder sich die Frage gestellt, ob es nicht besser sei, dass die ganze christliche gemeinde Syrien verlasse. Doch anstatt die Koffer zu packen, habe die Gemeinde eine neue Kirche gebaut. Viele hätten das erst für eine verrückte Idee gehalten. „An Weihnachten konnte dort aber der erste Gottesdienst gefeiert werden“, erzählt Bitar. „Das ist für uns ein großartiges Hoffnungszeichen, dass es trotz allem weitergeht.“ Das Gleiche gelte für die Al Nash‘ Al Jadeed-Schule, die von der Ortskirche getragen wird, und auf deren Gelände lange Zeit gekämpft wurde. „Sie ist wieder in Betrieb“, berichtete Bitar.
Der Landesbischof zeigte sich beeindruckt, dass selbst unter den Gefahren des Krieges Menschen nach wie vor in Aleppo blieben und ihren Dienst verrichteten. „Das ist ein starker Ausdruck ihres Glaubens. Es bleibt ein Zeichen der Hoffnung, dass Christen in der Region, in der unser Glaube entstanden ist, ausharren und Zeugnis ablegen.“
Vom Ausharren berichtete auch Pfarrer Mofid Karajili aus Homs, das Anfang 2012 von Rebellen eingenommen wurde. Auch seine Kirche wurde damals zerstört. 70.000 Christen verließen damals die Stadt. Als 2014 die Rebellen wieder abrückten, kamen nur 3000 zurück. „Das Leben in Homs ist nicht einfach, aber es geht weiter“, sagte Karajili. „Wir können nicht sagen, ob wir eine Zukunft haben und können für nichts garantieren. Wir wissen aber, was unsere Aufgabe ist.“ Und die sehe die Gemeinde zum Beispiel in der Schule und in dem Altenheim, die beide von der Ortskirche getragen werden.
Pfarrer Joseph Kassab erklärt anhand einer Landkarte aktuell diskutierte Teilungspläne für Syrien. Einer möglichen Teilung ihres Landes sehen syrische Christen mit Sorge entgegen. Bild: Katja Buck
Auch habe er in der Jugendarbeit sogenannte „Space of hope – Teams“ gegründet, in denen Jugendliche aller Religionen immer wieder zusammenkommen und in gemischten Teams sportliche Wettkämpfe veranstalteten oder andere Spiele spielten. „In jeder Gruppe müssen Mädchen und Jungen, Muslime und Christen, Schiiten und Sunniten sein. Wenn sie gewinnen, gewinnen sie gemeinsam. Und wenn sie verlieren, verlieren sie gemeinsam“, sagte Karajili, der zum Abschluss noch Bilder von einer Jugendgruppe zeigte. Eine junge Frau lebe mittlerweile in Deutschland. „Ich hoffe, dass nicht alle gehen werden. Ich möchte sie nicht verlieren“, sagte Karajili.
Um die junge Generation zeigte sich auch Najla Kassab besorgt, die in der Nationalen Evangelischen Synode für Syrien und den Libanon für Jugendarbeit und Katechese zuständig ist. „Wir wollen nicht erleben müssen, dass es in Syrien irgendwann mal keine Christen mehr gibt“, sagte sie. „Es tut uns weh, dass wir alle unsere jungen Leute verlieren, weil sie hier keine Hoffnung mehr haben und sich nun bei Euch eine neue Zukunft aufbauen wollen.“ Sie frage sich, wie man es schaffen könne, dass diese jungen Leute den Gedanken an eine mögliche Rückkehr nicht ganz aufgeben und sich auch im Exil ihrer Heimatkirche weiterhin verbunden fühlen.
Katja Dorothea Buck hat Landesbischof Meister auf seiner Reise in den Libanon begleitet. Sie ist Religionswissenschaftlerin und Politologin und arbeitet seit vielen Jahren zum Thema Christen im Nahen Ost
Landesbischof Ralf Meister mit Rosangela Jarjour, Generalsekretärin der Gemeinschaft aller evangelischen Kirchen im Nahen Osten (FMEEC); Bild: Katja Buck
Bei der Nationalen Evangelischen Synode für Syrien und den Libanon (v.l.n.r.): Pfarrer Thomas Fender, Ökumenereferent der Evangelisch-Reformierten Kirche in Deutschland, Pfarrer Fadi Dagher, bis 2015 Leitender Geistlicher der Nationalen Evangelischen Synode für Syrien und den Libanon, Landesbischof Ralf Meister, Pfarrer Joseph Kassab, seit 2016 Leitender Geistlicher der Nationalen Evangelischen Synode für Syrien und den Libanon, Dr. Owe Boersma, Nahostreferent des Evangelischen Missionswerks Deutschland (EMW); Bild: Katja Buck
Dr. Paul Haidostian, Präsident der Armenisch-Evangelischen Haigazian-Universität, überreicht Landesbischof Ralf Meister eine Gedenkmünze zum 60-jährigen Bestehen der einzigen Evangelischen Hochschule im Nahen Osten. Bild: Katja Buck