Kurs auf Zukunft: Anfänge im Glauben

Eine Person am Rednerpult
Bild: Jens Schulze/Landeskirche Hannovers

Schwerpunkt „Anfänge im Glauben“ beschlossen und Weichen für tiefgreifende Reformen gestellt. 

Die Landeskirche Hannovers steht weiter vor erheblichen Herausforderungen: Die Mitgliederzahlen sinken jährlich um etwa drei Prozent, die Zahl der Gottesdienstbesucherinnen und -besucher sowie der Taufen, Konfirmationen und Trauungen nimmt ab. Bis zum Jahr 2035 müssen alle Ebenen mindestens 30 Prozent der Haushaltsmittel eingesparen. Trotz dieser Entwicklungen bleibe der kirchliche Auftrag, das Evangelium zu kommunizieren, unverändert bestehen, sagte Bernd Rossi (Sprengel Hildesheim-Göttingen) als Vorsitzender des Grundsätzeausschusses.

Damit dieser Auftrag trotz aller Hürden effektiv ausgeführt werden kann, haben die Mitglieder der Landessynode nun die Schwerpunktsetzung „Anfänge im Glauben“ für die kommenden Jahre bestätigt und damit erste Weichen für umfassende Strukturveränderungen gestellt.

In seiner Einbringungsrede ging Bernd Rossi (Sprengel Hildesheim-Göttingen) auch auf die Herausforderung des Veränderungsprozesses ein: „Es ist schwierig, aus einer Verlust-Erfahrung heraus neue Energie zu finden, um aufzubrechen in eine Zukunft, die gestaltet werden muss und viele Gewissheiten nicht mehr bietet. Aber die Botschaft, die wir haben, und die Gemeinschaft, die wir leben, kann Brücken bauen."
Rossi begründete die Notwendigkeit des Zukunftsprozesses mit gesellschaftlichen Veränderungen und finanziellen Herausforderungen. „Die massive gesellschaftliche Veränderung – Stichworte wie Säkularisierung, Traditionsabbruch, Individualisierung – treffen unsere Gesellschaft und unsere Kirche mit voller Wucht", erklärte er.

„Seele stärken“ und „Sozialraumorientierung“ treten in Gewichtung hinter „Anfänge im Glauben“ zurück

Im Zentrum der Beratungen am Mittwochabend stand der Vorschlag, künftig den Schwerpunkt „Anfänge im Glauben“ in allen kirchlichen Arbeitsfeldern und Strukturen zu verankern. Ziel ist es, Menschen aller Altersgruppen Zugänge zum christlichen Glauben zu ermöglichen. Der Grundsätzeausschuss betont, dass dies nicht nur der Selbsterhaltung diene, sondern dem biblischen Auftrag entspreche. Die bisherigen Schwerpunkte „Seele stärken“ und „Sozialraumorientierung“ bleiben wichtige Aspekte, fügen sich aber in ihrer Gewichtung in den neuen Hauptschwerpunkt ein.

Wichtig seien Zukunftserzählungen, so Rossi: Wie sieht eine Kirche 2035 aus, in der Menschen neu zum Glauben finden? Wer gestaltet und trägt sie – mit welchen Strukturen, Regeln, Kulturen und Berufen? Was verschwindet, was bleibt, und wie gelingt der Wandel?“

Der Ausschuss für Strategische Finanzplanung hat für die Tagung Szenarien vorgestellt, wie die Bereiche Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie Seelsorge und Beratung künftig organisiert werden können. Vorgeschlagen wird darin die Bildung von drei zentralen Zentren: ein Zentrum für Seelsorge und Beratung, ein Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik sowie ein Kompetenzzentrum kirchlicher Berufe. Diese sollen Synergien schaffen, die Verwaltung verschlanken und Einsparungen ermöglichen. Die Synode nahm am Mittwoch den Vorschlag auf, die künftigen Haushaltszuweisungen an der Entwicklung der Kirchensteuereinnahmen auszurichten.

Zehn-Punkte-Plan für Umsetzung des Zukunftsprozesses

Für die Jahre 2025 und 2026 beschloss die Synode einen Zehn-Punkte-Plan. Dieser sieht unter anderem vor, dass die Kirchenkreise und landeskirchlichen Einrichtungen ihre Konzepte und Arbeitsfelder konsequent am Schwerpunkt „Anfänge im Glauben“ ausrichten. Weitere Punkte betreffen die Entwicklung einer Personalstrategie für Haupt- und Ehrenamt, die Vereinfachung von Verwaltungsprozessen, die Unterstützung bei der Gebäudebedarfsplanung sowie die Weiterentwicklung der Kommunikations- und Medienarbeit.

Die Synodalen beauftragten den Grundsätzeausschuss, die Arbeit am Zehn-Punkte-Plan zu koordinieren und konkrete Vorschläge für die nächste Tagung zu erarbeiten. Ziel sei es, die Landeskirche zukunftsfähig aufzustellen und den Wandel aktiv zu gestalten.

Rossi betonte abschließend, dass die kommenden Jahre von tiefgreifenden Veränderungen geprägt sein werden, die nur gemeinsam und mit klarer Prioritätensetzung bewältigt werden können. „Unser Veränderungsprozess darf kein Rückzug ins Kirchliche sein, sondern muss eine Bewegung nach außen sein – hin zu den Menschen, die keine kirchliche Sozialisation mehr erfahren haben, und für die Glauben oft ein unbekanntes Terrain ist“, so der Vorsitzende des Grundsätzeausschusses.

Trotz finanzieller Einschnitte und Unsicherheiten sieht er die Chance, aus der Akzeptanz der Realität Kraft für Veränderungen zu schöpfen und die Botschaft der Kirche aktiv und gesellschaftlich relevant zu leben.

Lebhafte Debatte mit zahlreichen Wortmeldungen

Im Anschluss an den Bericht des Grundsätzeausschusses entwickelte sich eine lebhafte Debatte, in der zahlreiche Synodale zentrale Herausforderungen und Chancen für die Zukunft der Kirche herausarbeiteten.

Dr. Harm Cordes und Christine Rinne (Sprengel Hannover) aus dem Schwerpunkteausschuss warben dafür, dass finanzielle Überlegungen nicht die inhaltliche Ausrichtung dominieren dürften. Sie regten die Bildung eines weiteren Gremiums an. Besonders wichtig sei ihnen, dass der Schwerpunkt „Anfänge im Glauben“ nicht als reiner Sparplan missverstanden werde. Vielmehr biete er segensreiche Veränderungen und ermögliche es, die Bedeutung des christlichen Glaubens für das persönliche Leben neu zu entdecken. Insbesondere für Ehrenamtliche könne dieser Fokus neue Verantwortung und Motivation stiften. 

Auch Dr. Jörg Zimmermann (Sprengel Lüneburg) plädierte dafür, den Blick auf das Potenzial der Menschen an der Basis zu richten. Zwar wirke das Aktenstück auf den ersten Blick wenig spektakulär, doch gerade die Bereitschaft, sich von Überholtem zu trennen und positive Impulse weiterzugeben, sei entscheidend. Innovation, so Zimmermann, könne nicht am Reißbrett in Hannover geplant werden, sondern brauche Räume, in denen sich Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven begegnen und entfalten können. 

Sabine Rösner (Sprengel Hannover) griff diesen Gedanken auf und fragte, wie sich die verschiedenen Akteure im 10-Punkte-Plan wiederfinden könnten. Sie forderte, Leitungspersonen müssten sich in die Zukunftsvorstellungen einfühlen und Optimismus ausstrahlen. Zudem regte sie an, das Kompetenzzentrum kirchlicher Berufe auch für Ehrenamtliche zu öffnen, denn es sei essenziell, diese auf dem Weg ausreichend mitzunehmen.

Diakonie als großer Schatz der Kirche mitgedacht

Birgit Spörl (Sprengel Stade) vermisste jedoch die Diakonie als zentralen Bestandteil kirchlicher Arbeit. Sie fragte, wie der Schwerpunkt „Anfänge im Glauben“ in der diakonischen Praxis umgesetzt werden könne. Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher des Diakonischen Werks evangelischer Kirchen im Niedersachsen, unterstrich daraufhin, dass diakonische Arbeit essenziell für die Kirche sei und auch Anfänge im Glauben ermögliche. Die Diakonie sei im Papier mitgedacht und werde als großer Schatz der Kirche gesehen.

Dr. Bettina Siegmund (Sprengel Ostfriesland-Ems) unterstützt die Fokussierung auf Schwerpunkte, warnte in der Tagung aber davor, alle Handlungsfelder ausschließlich unter diesem Blickwinkel zu betrachten. Es gebe Bereiche, die für die Kirche unverzichtbar seien, auch wenn sie nicht direkt unter den neuen Schwerpunkt fielen.

Ann-Marie Reimann (Sprengel Hannover) betonte die Bedeutung echter Beteiligung und kritisierte, dass diese im Papier zu kurz komme. Vor allem Kinder und Jugendliche wünschten sich Räume, die sie selbst mitgestalten könnten, und müssten stärker bei der Gestaltung des Zukunftsprozesses einbezogen werden.
Maike Selmayr (Sprengel Stade) warnte indes, es könne der Eindruck entstehen, dass es vor allem um Sparen und Verlust gehe. Sie hob hervor, dass „Anfänge im Glauben“ für alle Altersgruppen wichtig seien und viele Menschen gerade an Kirchorten erstmals mit dem Glauben in Berührung kämen. Auch Erwachsene suchten Orte, um ihren Glauben zu entdecken und zu vertiefen.

Klarheit, Mut und Entscheidungsfreude

Jens Lehmann, Präsident des Landeskirchenamts, erinnerte daran, dass die Kirche in den kommenden Jahren mit deutlich weniger Einnahmen rechnen müsse. Deshalb brauche es Klarheit, Mut und Entscheidungsfreude. Die strategische Entscheidung für „Anfänge im Glauben“ sei zukunftsweisend, bedeute aber nicht, alles andere aufzugeben. Wichtig sei, die Umsetzung kontrolliert und geordnet zu gestalten.

Franziska Baden (Sprengel Lüneburg) äußerte allerdings Zweifel, ob der 10-Punkte-Plan wirklich transformative Kraft entfalte. Sie forderte mehr als bloße Optimierung und stellte die Frage, wie Pfarrstellen auch bei weniger Ressourcen attraktiv bleiben könnten, insbesondere im ländlichen Raum.

Auch Ulf Thiele (Ostfriesland-Ems) warnte davor, das Aktenstück ausschließlich unter dem Aspekt der Einsparungen zu betrachten, und plädierte für ein positives Narrativ. Die Kirche solle sich nicht als schrumpfende Randerscheinung begreifen, sondern selbstbewusst ihre prägende Rolle in der Gesellschaft betonen. Kerstin Gäfgen-Track, Leiterin der Bildungsabteilung im Landeskirchenamt, unterstrich die Rolle der Kirche als unverzichtbarere Partnerin bei der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen auch auf politischer Ebene und forderte, sie weiterhin in Zukunftsfragen einzubeziehen.

Dank des Landesbischofs für differenzierte Debatte

Landesbischof Ralf Meister dankte zu Beginn seiner Wortmeldung ausdrücklich für die engagierte und differenzierte Debatte innerhalb der Synode. Er rief dazu auf, das vorliegende Aktenstück „vom Ende her“ zu lesen – also mit Blick auf die angestrebten Ziele und die nächsten konkreten Schritte. Besonders hob er die Bedeutung des 10-Punkte-Plans hervor: Bis Mitte September, so sein Appell, müsse dieser so substanziell ausgearbeitet sein, dass die Ausschüsse damit weiterarbeiten und bei der kommenden Tagung der Landessynode bereits verbindliche Leitplanken gesetzt werden könnten. „Wenn uns das gelingt, ist schon viel erreicht“, so Meister.

Gleichzeitig mahnte der Landesbischof zu Realismus und Bescheidenheit im Umgang mit dem Papier. Es handele sich ausdrücklich noch nicht um ein fertiges Konzept, sondern um einen fragmentarischen Zwischenstand. „Es ist ein langer Weg“, betonte Meister und verwies darauf, dass der Prozess noch viele Etappen vor sich habe.

Im Schlusswort betonte Bernd Rossi (Sprengel Hildesheim-Göttingen), dass es auf viele Fragen nicht nur eine Antwort gebe. Ein positives Narrativ für die notwendigen Veränderungen könne nur gemeinsam entwickelt werden. Die angeregte inhaltliche Diskussion zeige, wie wichtig dieser gemeinsame Weg sei.

Abstimmung

Die Abstimmung der Anträge 1 bis 5 (zu AS 104B) erfolgte „en block“. Sie wurden mit 54 Ja-Stimmen angenommen. Die Landessynode nimmt den Bericht des Grundsätzeausschusses und die Schwerpunktsetzung im Zukunftsprozess zustimmend zur Kenntnis, beschließt eine an den Kirchensteuereinnahmen orientierte Einsparung von mindestens 30 Prozent bis 2035, beauftragt den Grundsätzeausschuss mit der Koordination und Weiterentwicklung des Zehn-Punkte-Plans sowie mit der Vorlage konkreter Vorschläge und Zwischenberichte zur zukünftigen Struktur und Zusammenarbeit im weiteren Prozess.

Antrag 6 (zu AS 104B Nr.1) nahmen die Mitglieder mit 53 Ja-Stimmen an. Die Landessynode bittet den Ausschuss für Theologie und Kirche, das Agendengesetz im Hinblick auf aktuelle Herausforderungen und die Schwerpunktsetzung des Zukunftsprozesses zu prüfen und zur XIII. Plenartagung zu berichten; die Ergebnisse sollen vom Landessynodalausschuss an die 27. Landessynode zur weiteren Überarbeitung weitergeleitet werden.

EMA