Startseite Archiv Nachricht vom 08. Mai 2023

Tagung: Wenn Kunst Antisemitismus transportiert

Treffpunkt Kirchenpädagogik des RPI Loccum zum Thema Kirche und Judentum

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Loccum. Die sogenannte „Wittenberger Judensau“ ist eines der prominentesten Beispiele dafür, dass noch heute antisemitische Darstellungen und Kunstwerke im Umfeld von christlichen Kirchen zu finden sind. Seit Jahren gibt es Streit um die besonders drastische judenfeindliche Schmähplastik aus dem Mittelalter an Martin Luthers Predigtkirche. Doch manche Bilder kommen subtiler daher und sind für Laien nicht auf Anhieb als antisemitisch zu erkennen.

Ein wichtiges Thema also für die Kirchenpädagogik. Beim jährlichen Treffpunkt der überwiegend ehrenamtlichen Kirchenpädagog*innen und -führer*innen ging es diesmal um „Kirche und Judentum. Von der Lehre der Verachtung zu einer Theologie des Respekts“. Das Religionspädagogische Institut Loccum hatte als Referentin Professorin Dr. Ursula Rudnick eingeladen, Beauftragte für den Bereich „Kirche und Judentum“ im Haus kirchlicher Dienste der Landeskirche.

Die wechselvolle Geschichte von Judentum und Christentum zeigt sich in vielen Kirchengebäuden und der gesamten christlichen Kultur. Dass ausgerechnet der Reformator Martin Luther mehrere judenfeindliche Schriften verfasst hat, ist ein schweres Erbe für die lutherischen Kirchen. Erst 2015 hat sich die Synode der EKD in aller Klarheit von Luthers Schmähungen gegen die Juden distanziert und erklärt, diese stünden „im Widerspruch zum Glauben an den einen Gott, der sich in dem Juden Jesus offenbart hat“. Auch beim Reformationsjubiläum 2017 nahm die kritische Auseinandersetzung mit Luther breiten Raum ein.

Dies ändert nichts an so manchen bildlichen Darstellungen in den Kirchen, wie Ursula Rudnick erläuterte. Vor allem auf Kreuzigungsszenen sind Juden oft hässlich dargestellt, während Jesus und Maria in Schönheit strahlen. Der Vorwurf, die Juden seien Gottesmörder, ist ein antisemitisches Klischee, das sich hartnäckig hält.

Weniger bekannt sind die Darstellungen von „Ecclesia“ und „Synagoga“, lateinisch für die Gemeinschaft der Christen (ecclesia) und die der Juden (synagoga). Schon hinter der Begrifflichkeit verbirgt sich eine christliche Definition, denn im Judentum bezeichnet „Synagoge“ den Ort der Zusammenkunft, nicht aber die Gemeinschaft. In der Kunstgeschichte werden beide als Frauenpaar dargestellt, „Synagoga“ oft mit verbundenen Augen und als von Gott Verworfene, „Ecclesia“ hingegen als überlegene Königin mit Krone.

Viele Teilnehmer*innen zeigten sich erschüttert von den Darstellungen, aber auch darüber, dass ihnen der Hintergrund nicht bekannt war. „Das müsste viel mehr in der Ausbildung vorkommen“, sagte eine Kirchenpädagogin. Die Referentin erzählte, dass auch sie erst in späten Jahren den Antijudaismus der christlichen Kunst erkannt habe – zum Beispiel bei Darstellungen von Jesus im Gespräch mit Schriftgelehrten. „Seitdem ich es einmal erkannt habe, fällt es mir auf und ich kann es nicht mehr nicht sehen.“

Mittlerweile gibt es auch in der Kunst Versuche, die jahrhundertealten Verwerfungen zwischen Christen und Juden zu überwinden. So ist neben dem Landeskirchenamt in Hannover im Jubiläumsjahr 2017 nach einem internationalen Wettbewerb die Skulptur „Twins“ (Zwillinge) aufgestellt worden. Der belgische Künstler Johan Tahon stellt Ecclesia und Synagoga abstrakt und ohne die üblichen Attribute dar – sie sind gleichwertig.

Ursula Rudnick wirbt für einen respektvollen Umgang mit dem Judentum, nicht nur als Deutungshilfe für das Christentum, sondern als eigenständige Glaubensgemeinschaft, deren Perspektiven den religiösen und gesellschaftlichen Diskurs bereichern. Dazu gehören ein kritisches Befragen der eigenen Theologie, die Offenheit für neue Einsichten und eine Sensibilität für antisemitische Tendenzen in Wort und Bild – auch im eigenen Kirchengebäude.

Lothar Veit / EMA