Startseite Archiv Nachricht vom 06. Februar 2023

Kirchenaustritte: „Viele warten auf eine passende Gelegenheit“

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Hannover. Die Soziologin Petra-Angela Ahrens vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sieht Skandale in der katholischen Kirche nicht als wesentlichen Grund für die erhöhte Austrittsrate unter Protestantinnen und Protestanten. Die aktuell besonders hohen Austrittszahlen in der Region Köln seien unter anderem „Mitnahmeeffekte“, erläuterte Ahrens dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Viele haben sich schon seit längerem für einen Austritt entschieden. Sie warten im Prinzip nur noch auf eine passende Gelegenheit.“

Die Entscheidung zum Austritt reife oft langsam heran, sie brauche Zeit. Skandale seien dann lediglich die Rechtfertigung für etwas, dessen Ursache ganz woanders liege. Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche oder das Gefühl, die Kirche sei irrelevant, seien die eigentlichen Gründe, sagt Ahrens: „Und das ist aus Sicht der Kirchen das Schlimmste überhaupt.“ Selbst mit einem eingefleischten Atheisten hätte man wenigstens noch eine Diskussionsgrundlage. Aber nicht mit Menschen, denen die Kirche komplett egal sei.

Die Austrittsbewegung könnte sich Ahrens zufolge noch beschleunigen – ganz unabhängig von schlechten Schlagzeilen. Das habe damit zu tun, dass die Mehrheit in Deutschland mittlerweile konfessionslos ist. Minderheiten haben es in der Gesellschaft alleine deshalb schwerer, weil sie Minderheiten sind. Denn Menschen sind grundsätzlich lieber Teil einer Mehrheit. Dieser sogenannte Majoritätseinfluss ist in der Sozialpsychologie schon lange bekannt und gut erforscht.

Seit Frühjahr 2022 machen konfessionelle Christinnen und Christen aber nur noch weniger als 50 Prozent der deutschen Bevölkerung aus. Alleine dieser Umstand könne eine Sogwirkung entfalten, sagt Ahrens. Ob es bereits ein Kipppunkt sei, wie es beispielsweise der Münsteraner Soziologe Detlef Pollack bezeichnete, wisse sie nicht. Klar sei aber: „Mittlerweile muss man einen Austritt nicht mehr in seinem sozialen Umfeld begründen. Im Gegenteil, wenn man in der Kirche bleibt und das auch sagt, erntet man mitunter hochgezogene Augenbrauen.“

Die sogenannte Freiburger Studie war vor vier Jahren noch zu dem Schluss gekommen, dass sowohl evangelische als auch katholische Kirchen bis 2060 jeweils die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren könnten. Im Licht der aktuellen Austrittszahlen scheint das mittlerweile reichlich optimistisch. „Um das zu schaffen, müssten wir dauerhaft unter eine Quote von einem Prozent Mitgliederverlust pro Jahr kommen“, rechnet Ahrens vor. Im Jahr 2021 nahm allerdings die Zahl der Protestantinnen und Protestanten um knapp 1,4 Prozent ab. „Die Freiburger Studie ist überholt“, sagt Ahrens.

epd-Gespräch: Nils Sandrisser