Startseite Archiv Nachricht vom 26. Januar 2023

„Keine Spekulationen zulassen“

Interview mit Bettina Wittmann-Stasch, Dozentin für Schulseelsorge am RPI

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Nach dem Fund des Leichnams eines mutmaßlich getöteten 14-jährigen Schülers herrscht Entsetzen an der Evangelischen Integrierten Gesamtschule Wunstorf. Der Jugendliche war Schüler an der IGS. Wie Lehrkräfte auf so eine Ausnahmesituation reagieren können, erläutert Bettina Wittmann-Stasch, Dozentin für Schulseelsorge und stellvertretende Rektorin des Religionspädagogischen Instituts Loccum (RPI).

Ein Schüler stirbt durch ein Gewaltverbrechen. Was kann man an der Schule jetzt tun?

Bettina Wittmann-Stasch: Offene Ohren haben und ein weites Herz. Es wird unterschiedliche Reaktionen geben – einerseits vollkommenes Entsetzen, aber auch Angst davor, ob mir so etwas auch passieren könnte. Vor allem Lehrkräfte werden sich die Frage stellen: Wie habe ich den Menschen wahrgenommen? Habe ich vielleicht was übersehen? Wie sehr steht ein Schüler unter Druck? Wie bei allen grausamen Geschichten, die passieren können im Leben, muss klar sein, dass die Reaktionen von Menschen sehr unterschiedlich sind. Auch albernes Verhalten kann als Reaktion auftreten. Das heißt nicht, dass es jemanden nicht tangiert, sondern eher, dass jemand gerade nicht anders reagieren kann.

Sollte man aktiv auf die Schülerinnen und Schüler zugehen?

Wittmann-Stasch: Aus meiner Sicht ja. Schülerinnen und Schülern ist manchmal nicht klar, dass man als Lehrkraft auch Ansprechpartner sein will. Viele werden eher mit Gleichaltrigen sprechen und nicht unbedingt mit Lehrkräften. Man muss daher sensibel sein, wer das offene Ohr braucht. Ich habe so eine Situation zum Glück selbst noch nicht erlebt, mir aber von anderen berichten lassen, wie überrascht sie waren, dass Schüler, mit denen sie noch nie ein privates Wort gewechselt haben, plötzlich Redebedarf hatten.

Ist unter solchen Eindrücken normaler Unterricht denkbar?

Wittmann-Stasch: Es kann vielleicht sogar sinnvoll sein. Ganz bestimmt nicht als Erstes, aber gerade in einer Situation, in der man noch nichts Konkretes weiß. Es ist wichtig, dass die Lehrkräfte keine Spekulationen zulassen und sagen: Wir können über das reden, was gesichert ist. Das ist allerdings ein Balance-Akt, den man nur eine gewisse Weile aushalten kann. Da kann es auch gut sein, sich etwas so Normalem wie dem Mathe-Unterricht zu widmen.

Was sollte man – neben Spekulationen – noch vermeiden?

Wittmann-Stasch: Schülerinnen und Schüler sollten nicht mit der Presse reden, sondern auf die Schulleitung verweisen. Sie sollten das als Selbstschutz begreifen und sich nicht unter Druck setzen lassen. Es gibt ja so eine Art Hype, dass man plötzlich für jemanden interessant ist als Schüler. Sie sollten so eine schreckliche Tat in der Klasse bereden, aber nicht mit der Presse.

Interview: Lothar Veit / EMA