Startseite Archiv Nachricht vom 28. April 2022

"Jedes gesparte Kilogramm CO2 zählt"

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Fritz Reusswig ist Forscher am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung undsprach beim Hanns-Lilje-Forum am 27. April 2022 über den Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Wohlstand. Im Interview erläutert er auch, welche Rolle die Kirche in Sachen Klimaschutz spielen sollten.

Herr Reusswig, wenn man den letzten IPCC-Bericht des Weltklimarats liest, wird einem Angst und Bange und manche Klimaforschenden sagen, es seit schon 5 nach 12 – wie ist Ihre Einschätzung?
Reusswig: „Klimaschutz ist absolut dringend, aber ich finde diese 12-Uhr-Metapher schon überstrapaziert. Wir haben zum Glück das Pariser Klimaschutz-Abkommen mit dem 1,5-Gradziel - der Nachteil ist allerdings, dass viele nun sagen: ,Entweder wir schaffen das 1,5-Gradziel oder die Welt geht unter‘. Die Gefahr ist, dass die Leute sagen: ,Wenn wir es eh nicht schaffen, dann muss ich auch nichts machen‘. Das ist Quatsch, so ist es nicht – denn vielleicht schaffen wir ja das 2-Gradziel, das ist auch gut, oder das 3-Gradziel. Wir hätten längst etwas tun müssen, aber alles, was wir tun, ist sinnvoll.“ 

Wie optimistisch sind Sie, dass wir das 1,5-Gradziel erreichen? Stehen die Chancen gut oder hilft nur noch beten?
Reusswig: „Beten hilft immer oder nie, also gern machen. Im Moment ist es so: Wenn wir so weitermachen wie jetzt, wird es 3 Grad wärmer. Das setzt aber voraus, dass die aktuelle Klimapolitik beibehalten wird – woher kommt dieser Optimismus? Der internationale Klimaschutz hängt an der internationalen Kooperation und sei es nur eine Kooperation der Willigen. Wir haben jetzt aber einen Krieg, wo der Westen und Russland das Tischtuch zerschnitten haben – woher die Hoffnung, dass man mit Putin noch über Klimaschutz sprechen kann, nachdem man seinen Gegnern Waffen liefert? Manche sagen, dass die Spannungen zwischen den USA und China in einigen Jahren in einen richtigen Wirtschaftskrieg führen können – woher die Hoffnung, dass sich China als größter CO2-Emittent noch an Vereinbarungen hält? Und wir hatten schon einen amerikanischen Präsidenten, der aus dem Klimaschutzabkommen ausgestiegen ist – wer sagt, dass er nicht noch einmal an die Macht kommt? Also, es ist total wichtig, dass wir alles tun, was geht.“

Das ist die große internationale Bühne – kann denn eine kleine Gemeinde da überhaupt etwas ausrichten, sagen wir, mit Photovoltaikanlagen auf dem Gemeindehaus?
Reusswig: „Ja, jedes Gramm zählt. Ein Kilogramm CO2, das eingespart wird, ist eins weniger. Für das Klima ist es gut, wenn man überhaupt etwas tut, auch wenn es nicht gerecht scheint, wenn die großen Player wenig tun und manch Einzelner in seinem Bereich sehr viel. Im Klimabereich akzeptieren wir gern so ein Argument ,Wenn nicht alle was machen, bringt es ja nichts - dann mache ich auch nichts.‘ – Stellen Sie sich das bei einer Betriebsversammlung vor in einem kleinen Unternehmen, das gefährdet ist und einer sagt dann: ,Naja, wenn ihr alle anpackt, dann kann ich ja Pause machen.‘ und alle sagen: ,Stimmt, auf den kommt es nicht an‘. Das ist doch skurril, in der Wirtschaft so ein Argument nicht zu akzeptieren, beim Klimaschutz aber schon.“ 

Welche Rolle spielt die Kirche? Die Mitgliederzahlen sinken, ebenso die Finanzkraft, aber sie hat viele Gebäude und Flächen.
Reusswig: „In der evangelischen Kirche ist das Durchgreifen auf ein einzelnes Gebäude von einer zentralen Stelle aus auf Grund der Organisationsstruktur schwierig, das heißt, hier sind die Diskussion, die Schaffung von Anreizen und die Vorbildfunktion wichtig - sogenanntes ,soft law‘, weiches Gesetz. Aber es gibt jetzt auch die Überlegungen, tatsächlich mehr feste Vorgaben und Regularien zu schaffen. Das, zusammen mit der Beibehaltung des Diskurses finde ich einen richtigen Schritt.“

Wichtig ist wohl, alle mitzunehmen – wie geht das? 
Reusswig: „Es ist schwierig, aber alternativlos. Die Frage ist, womit man die Menschen ansprechen kann, sodass sie mitgehen – jede soziale Gruppe hat einen Punkt, an dem man sie ansprechen kann. Manche kann man vielleicht überzeugen, dass ein Mobilitätswandel auch neue Wirtschaftszweige verspricht, die Chance auf Innovation. Das konservativ-gehobene Milieu kann man mit der gesellschaftlichen Verantwortung ansprechen, die sie nach ihrem Selbstverständnis tragen: auch für die Nachkommen zu sorgen. Kommunen könnte man unterstützen, indem man die Wirtschaftsförderung umgestaltet: aktuell spielen bei nur 25% der Fördermaßnahmen auch Klimaschutz-Aspekte eine Rolle. 75 Prozent sind reine, klassische Standortförderungen.“ 

Plötzlich wird über längere Laufzeiten für Kohle- und Atomkraftwerke gesprochen, in Wilhelmshaven werden Flüssiggas-Terminals gebaut, Niedersachsen sichert sich die Rechte an Erdgas aus dem Wattenmeer - alles, um unabhängig von Russland zu werden. Verdrängt der Krieg den Klimaschutz?
Reusswig: „Die Gefahr ist gegeben, ja. Ich fürchte, dass wir uns da auf einen Weg begeben, von dem wir nicht so leicht wieder runterkommen, denn wenn für Millionen so ein Terminal gebaut ist, dann wird das nicht morgen wieder stillgelegt. Abgesehen davon, dass der Krieg auch den erneuerbaren Energien einen gewissen Schub gibt, um Unabhängigkeit von Importen zu werden. Doch all die Schrecken über zerstörte Wohnhäuser, die getöteten Menschen, so schlimm sie sind – sind doch nichts verglichen mit dem, was ein massiver Klimawandel weltweit und bei uns auslösen würde. Da ist es gut zu sehen, dass Kirche auch auf Verbindlichkeit und Diskursangebot setzt und trotz sinkender Vorbildfunktion hat es auch die noch.“

Beim Stichwort Klimaschutz denken viele gleich an Fridays for future, dabei ist der Erhalt der Schöpfung eigentlich ein sehr kirchliches Thema. Warum wird Klimaschutz nicht so mit Kirche assoziiert?
Reusswig: „Gute Frage… vielleicht stellen wir uns den Schöpfer zu menschlich vor und denken, dass er alles auf uns eingerichtet hat, dass wir gar nicht so viel dafür tun müssen – vielleicht muss man sich nochmal klar machen, dass der Mensch auch verzichtbar ist, andersrum: dass er eine besondere Verantwortung hat, weil er vernunftbegabt ist und einen freien Willen hat. Die meisten interpretieren das so, dass wir machen können, was wir wollen. Ich denke, es steckt in der Verantwortung eigentlich auch eine gewisse Selbstbeschränkung auferlegt. Ich hoffe, der Krieg zeigt uns das Thema Suffizienz, also die Frage Was brauchen wir eigentlich wirklich, nochmal deutlich: Dass es auch mit weniger geht – diese Frage ist immer eine Spaßbremsen-Debatte, dabei ist das eine sinnvolle Option, die auch kostengünstig ist. Ich hoffe, dass die Krise und die Preissteigerungen die Leute dazu bringen, dauerhaft weniger zu verbrauchen. Wenn wir da eine Mischung hinbekommen aus Suffizienz und effizienter Nutzung erneuerbarer Energien wären wir gut unterwegs im Sinne der Schöpfung.“

Christine Warnecke/Themenraum