Startseite Archiv Nachricht vom 01. Dezember 2021

Marktkirche kann nach gerichtlichem Vergleich umstrittenes Reformationsfenster einbauen

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Hannover. Das Oberlandesgericht Celle hat heute über die Berufung im Streit um das Reformationsfenster in der Marktkirche Hannover verhandelt. Das Gericht machte klar, dass es der Argumentation der Marktkirchengemeinde folgen würde und schlug einen Vergleich vor, den beide Parteien angenommen haben. Demnach kann die Marktkirchengemeinde das Fenster jetzt einbauen. Sie verpflichtet sich allerdings, mit einem Schild auf die ursprüngliche Konzeption des Architekten Dieter Oesterlen hinzuweisen. Oesterlen wollte durch eine bewusste Gestaltung des Kirchenraumes „die großartige Einfachheit“ der spätgotischen Hallenkirche betonen, heißt es darauf. Weiter wird dort stehen, dass das Reformationsfenster nachträglich eingebaut wurde und in Kontrast zu der schlichten Architektur Oesterlens steht. Diese Vereinbarung ist Teil des Gesamtvergleichs, durch den der Rechtstreit jetzt beendet wurde.

In der Erörterung wog das Gericht erneut das kirchliche Selbstbestimmungsrecht sowie das Grundrecht auf Religionsfreiheit der Evangelisch-lutherischen Kirche gegen das Urheberrecht des Klägers Georg Bissen ab. Bissen hatte gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 14. Dezember 2020 Berufung eingelegt. Das Urteil hatte der Gemeinde den Einbau des umstrittenen Fensters in die Marktkirche erlaubt.

„Ich begrüße das Ergebnis der Verhandlung und bin erleichtert“, sagt Martin Germeroth, Vorsitzender des Kirchenvorstandes der Marktkirchengemeinde. Der Pastor der Marktkirche, Marc Blessing, würdigt das Ergebnis als ein salomonisches, weises Urteil. „Es ist gut, dass wir in der zentralen Kirche unserer Stadt ein Reformationsfenster bekommen“, ergänzt Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes. „Das ist für uns eine große Chance, die jahrhundertealte Botschaft neu weiterzusagen“.

Die Auseinandersetzung um das Reformationsfenster in der Marktkirche dauert bereits mehrere Jahre und wurde auf Seiten der Marktkirche von der auf Urheberrecht spezialisierten Kanzlei NORDEMANN begleitet, in personam den RechtsanwältInnen Professor Dr. Christian Czychowski und Viktoria Kraetzig. Im Jahr 2019 hatte Bissen, der Stiefsohn und Erbe des Marktkirchenarchitekten Dieter Oesterlen, gegen den Einbau des Fensters geklagt. Er sah den Eindruck des schlicht gehaltenen Innenraums der Kirche durch das modern gestaltete Fenster zerstört. Das Landgericht entschied in seinem Urteil vom Dezember 2020, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und die grundgesetzlich geschützte Religionsfreiheit Vorrang vor dem Urheberrecht des Architekten Oesterlen haben. Damit wäre der Einbau des Fensters, das bereits fertiggestellt ist, möglich gewesen. Das Buntglasfenster des Künstlers Markus Lüpertz ist ein Geschenk des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder an die Marktkirche. Der Anlass der Schenkung war das 500. Reformationsjubiläum im Jahr 2017.

„Für mich bildet das Fenster die Nöte unserer Zeit ab, es ist eine in Glas gesetzte Predigt“, sagt Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes. „Kirchen sind keine Museen, sondern auch Orte der Auseinandersetzung und des Dialogs. Das wird eine bleibende Aufgabe sein“. Martin Germeroth, Vorsitzender des Kirchenvorstandes der Marktkirche weist darauf hin, dass das Reformationsfenster aufgrund eines Beschlusses des Kirchenvorstandes aus dem Jahr 2018 erworben wurde. Von Anfang an habe es auch kritische Stimmen gegeben. „Wir wissen, dass die Aufgabe der Verständigung auch mit dem Einbau des Reformationsfensters in die Marktkirche nicht beendet sein wird“, sagt der Kirchenvorstandsvorsitzende. „Selbstverständlich werden wir uns auch weiter um Vermittlung bemühen und keine Auseinandersetzung um dieses Kunstwerk scheuen. Wir sind zuversichtlich, dass das Reformationsfenster eine Bereicherung für diesen Gottesdienstraum ist und von den Hannoveranerinnen und Hannoveranern schon bald als integraler Bestandteil der Marktkirche angenommen werden wird.“ Für Marc Blessing, Pastor an der Marktkirche, erzählt das Fenster „Glaubens-Geschichte auf modern-widerspenstige Weise“. „Das Reformationsfenster, wie immer man zu ihm stehen mag, löst ein, wozu Kirchenfenster dieses Formats da sind: zur kritischen Auseinandersetzung mit zentralen Inhalten des Glaubens“, sagt Blessing. „Kirchen sind Häuser aus lebendigen Steinen. Ihre Veränderungen sind notwendig, um den Blick auf das Wesentliche freizulegen und zur immer neuen Kontemplation der alten existentiellen Fragen einzuladen.“

Das rund 150 000 Euro teure und 13 Meter hohe Reformationsfenster soll im kommenden Jahr in die Fensterreihe an der Südwand der Kirche eingebaut werden. Es zeigt eine große weiße Figur, die auf Martin Luther verweisen soll. Neben Motiven mit Bezug zur Reformation sind noch fünf große schwarze Fliegen als Symbole des Bösen und der Vergänglichkeit dargestellt. Ihre Abbildung führte zu heftigen Kontroversen, anfänglich auch in der Kirchengemeinde. Der in Tokio lebende Rechtsanwalt Bissen hatte argumentiert, das moderne Fenster passe nicht in die gotisch geprägte Kirche. Sein Stiefvater, der Architekt Dieter Oesterlen, hatte zwischen 1946 und 1952 den Wiederaufbau der Marktkirche geleitet. Der aus dem 14. Jahrhundert stammende Bau gilt als ein Wahrzeichen Hannovers und war im Zweiten Weltkrieg stark zerstört worden.

Öffentlichkeitsarbeit im Stadtkirchenverband Hannover