Startseite Archiv Nachricht vom 16. Juli 2021

Nordstemmen: Keine Basis für weitere Zusammenarbeit

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Nordstemmen/ Kr. Hildesheim (epd). Der wegen eines Gemeindebrief-Artikels in die Kritik geratene Pastor Marcus Piehl und der Kirchenvorstand der evangelischen St.-Johannis-Gemeinde in Nordstemmen bei Hildesheim sehen keine Basis für eine weitere Zusammenarbeit. In einer rund dreistündigen Gemeindeversammlung erläuterte der Kirchenvorstand am Donnerstagabend vor rund 200 Gemeindemitgliedern einen Anfang Juli gefassten Beschluss, der Piehl den Wechsel auf eine andere Stelle nahelegt. Der Pastor, dessen Äußerungen über homosexuelle und geschlechtsdiverse Menschen für Irritationen gesorgt hatten, verteidigte die in dem Text formulierten Positionen: „Ich stehe auf biblischem Fundament, und das wird weiter mein Fundament sein.“ Piehl kündigte zudem an, die Gemeinde zu verlassen. Einen Zeitpunkt dafür nannte er nicht.

In der anschließenden, teils emotional geführten Aussprache auf der Gemeindewiese meldeten sich sowohl Anhänger als auch Kritiker des Pastors zu Wort. Die Befürworter würdigten unter anderem, dass Piehl „ein Hingucker, kein Weggucker“ sei. Er benenne gesellschaftliche Probleme klar, sei meinungsstark und fordere die Gemeinde zur kritischen Debatte heraus. Dass der Kirchenvorstand ihm einen Stellenwechsel nahegelegt habe, sei für viele Menschen in der Gemeinde ein Schock gewesen und habe sie „überfahren“.

Piehls Kritiker entgegneten, seine Äußerungen hätten die Gemeinde polarisiert oder gar gespalten. Zudem seien seine Ausführungen zu den Ursachen psychischer Probleme von Jugendlichen zu undifferenziert. Piehl hatte bei der Gemeindeversammlung erneut argumentiert, dass die nach seiner Auffassung zunehmenden seelischen Nöte junger Menschen unter anderem auf Ein-Eltern- und Patchwork-Familien sowie das Fehlen von Vätern zurückzuführen seien. Er warb für das klassische Familienmodell und betonte, dass ein Aufwachsen bei den leiblichen Eltern „der bessere Weg“ sei. Zugleich verwahrte sich der Pastor gegen den Vorwurf, andere Familienformen, sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten zu diskriminieren: „Nur weil man für das eine wirbt, kriminalisiert man nicht das andere.“

Auch zum Dritten Geschlecht äußerte sich Piehl abermals. Der Diskurs um das Thema sei größer als das Thema selbst. Da es nur eine kleine Minderheit betreffe, sei zu fragen, „ob wir darauf unsere Gesellschaft ausrichten und unsere Sprache ummodeln müssen“. Einige Gemeindemitglieder kritisierten, dass Piehls Positionen dazu beitrügen, dass sich Menschen anderer Meinung und Lebensweise in der St.-Johannis-Gemeinde nicht willkommen fühlten.

Trotz deutlicher Meinungsverschiedenheiten wurde in vielen Beiträgen Wunsch geäußert, dass sich „der Riss durch die Gemeinde“ nicht weiter vertiefe. Piehl habe gute Arbeit geleistet und vieles vorangebracht, betonte der stellvertretende Kirchenvorstandsvorsitzende Hermann Reinhold, „aber mit ihm können wir unsere Gemeinde nicht einen.“ Die Wochen nach dem Gemeindebrief-Artikel und die öffentliche Resonanz darauf hätten den Kirchenvorstand und viele Mitglieder der St.-Johannis-Gemeinde getroffen „wie kaum etwas zuvor“.

Mit Blick auf den Antrag eines Gemeindemitgliedes, der Kirchenvorstand möge sich für die „christliche Tugend der Vergebung“ entscheiden und seinen Beschluss zurückziehen, äußerte der im Frühjahr in den Ruhestand getretene Hildesheimer Regionalbischof Eckhard Gorka Bedenken: „Ein Pastor kann nicht nur der Pastor seiner Freunde sein. Würden wir den Riss nicht nur vertiefen, wenn wir über diesen Antrag abstimmen würden?“. Gorka, der dem Klärungsprozess in der St.-Johannis-Gemeinde beratend zur Seite steht, betonte, dass ein Pastor das Gegenüber möglichst aller Gemeindemitglieder sein müsse. Er zollte Piehl Anerkennung, kritisierte aber zugleich dessen Gemeindebrief-Artikel: „Pastor Piehls Artikel war schlecht. Aber Marcus Piehl ist kein schlechter Mensch.“

epd/Niedersachsen-Bremen