Startseite Archiv Nachricht vom 25. März 2020

Ein Anruf zu Corona bei... Stephan Achtermann, Pastor in Berumerfehn

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Was hat sich bei Ihnen in der Gemeinde seit Beginn der Pandemie verändert?
Der Ort ist wie ausgestorben. In der Nähe vom Pfarrhaus ist eine beliebte Gaststätte, daneben der Fußballplatz - normalerweise ist da am Wochenende immer etwas los. Wenn ich jetzt abends auf unsere Terrasse trete, um frische Luft zu schnappen, ist es ungewohnt ruhig. Beinahe gespenstisch. Auch unser Gemeindehaus gegenüber ist verwaist. Immerhin: Unsere Reinigungskraft kann dort tagsüber in aller Ruhe Frühjahrsputz machen - und wir sparen Heizkosten, weil im Moment keine Veranstaltungen stattfinden. Aber das sind natürlich Vorteile, auf die ich gut verzichten könnte.

Sie bieten Gottesdienste nun online an - wie wird das angenommen?
Unseren Online-Gottesdienst von letzter Woche haben 62 Menschen abgerufen, das ist eine gute Zahl. Ich weiß auch konkret von Familien, die ihn zusammen angeschaut und auch die Lieder mitgesungen haben. Aber das ist schon etwas anderes als das Erlebnis, gemeinsam in der Kirche Gottesdienst zu feiern. Menschen sehen, Gemeinschaft erleben - das kannst Du digital nicht nachbauen. Und ich bin wahrlich ein Fan von vielen digitalen Angeboten.

Wie funktioniert das Gemeindeleben ohne Sitzungen?
Es muss weiter Absprachen und Sitzungen geben. Das ergibt neue, praktische Probleme: Ich selbst habe eine 35 MBit-Leitung. Aber es gibt Gemeindemitglieder auf entlegeneren Dörfern, die sind digital abgehängt. Das Tool „konferenz-e“ der Landeskirche finde ich persönlich super. Aber eine Kirchenvorstandssitzung könnte ich damit trotzdem nicht machen, weil einige das mit ihrer Bandbreite nicht nutzen könnten. Ich habe das gestern Abend erst mit einem Kirchenvorsteher versucht, es war nicht möglich. Wir werden deshalb die nächste Sitzung aussetzen und bei dringendem Handlungsbedarf mit einem Umlaufbeschluss arbeiten.

Wie sieht es mit Trauungen und Taufen aus?
Trauungen haben wir verschoben. Das ist sehr bedauerlich, wenn Menschen sich zum Teil viele Monate darauf eingestellt und Dinge vorbereitet haben. Aber es geht nicht anders - denn das Standesamt ist ebenfalls geschlossen, und ohne Standesamt kann ich nicht kirchlich trauen. Auch Taufen sind verschoben - da ist die zeitliche Dringlichkeit aber auch nicht gegeben. Die Nottaufe in Lebensgefahr kann zudem jeder Christ durchführen, dafür braucht es keinen Pastor. 

Nicht nachgeholt werden können Beerdigungen. Wie sieht es damit aus?

Immerhin können Urnen-Bestattungen verschoben werden. Die ist hier aber eher die Ausnahme - und ich persönlich bin auch kein Freund davon. Wenn aktuell eine Beerdigung reinkäme, gäbe es eine kleine Trauerfeier mit bis zu zehn Personen auf dem Friedhof. Dort gibt es keine Orgel und es ist bitterkalt - allein das würde zur Kürze drängen. Ein ganz anderes Problem haben wir aber mit den Sargträgern. Die sind überwiegend deutlich fortgeschrittenen Alters und gehören somit zur Risikogruppe, die es zu schützen gilt. Es könnte also gut sein, dass ich als Pastor dann einspringe, den Sarg mittrage und auch mit in das Grab herablasse.

Das wäre dann eine Premiere?
Absolut, das ist eine ganz andere Rolle für den Pastor. Und sicher nicht auf Dauer wünschenswert.

Erleben Sie erhöhten Gesprächsbedarf und mehr seelsorgerliche Anfragen?

Nicht unbedingt. Ich selbst schreibe weiterhin Karten zum Geburtstag oder rufe bei solchen Anlässen auch Menschen an. Aber mehr Anfragen bekomme ich nicht und höre auch nicht davon bei den Kirchenvorstehern. Ich besuche grundsätzlich niemanden zu Hause, um niemanden zu gefährden. Aus dem Stehgreif wüsste ich aber auch niemanden, der stark vereinsamt und hilfebedürftig wäre. Da wüsste ich immer von Menschen, die sich bislang und auch weiterhin kümmern. Jetzt Ehrenamtliche zu mobilisieren, rauszugehen und für Menschen einzukaufen - das ist ja auch durchaus fragwürdig im Moment. Man muss eben sehr gut Nutzen und Risiken abwägen. Wobei es durchaus Ehrenamtliche gibt, die das tun würden.

Wenn Sie ein Zwischenfazit dieser außergewöhnlichen Phase ziehen sollten - wie sähe es aus?
Sie werden staunen: Ich finde Vieles überwiegend positiv, weil Ruhe einkehrt. Ansonsten jagt man Terminen hinterher, wenn man wie wir Kinder hat, umso mehr. Ich finde diese Situation beinahe heilsam. Gerade in der Passionszeit, die ja auch eine Zeit der Buße und Neuausrichtung ist. Ehrlich gesagt wünsche ich mir sogar, dass wir nach Beendigung dieser Krise ein Stück dieser Entschleunigung mitnehmen in den neuen Alltag.

Alexander Nortrup