Startseite Archiv Nachricht vom 01. Februar 2020

Architekten und Theologen planen Kirchenumbau zu Stadtteilzentrum

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Hannover. Anfangs waren die Studenten noch vorsichtig. Doch im Projektverlauf wurden sie mutiger, planten auch schon mal den Abriss des Gemeindehaus-Foyers oder erweiterten einen Kirchenanbau um einen muslimischen Gebetsraum. Drei Monate lang arbeiteten mehrere Studentengruppen an dem Projekt „Kirche von morgen im Dialog planen“. Zu Gast waren sie  in der Dietrich-Bonhoeffer-Kirche in Hannover, die Architekturprofessorin Kerstin Gothe gemeinsam mit der Landeskirche Hannovers als Experimentierfeld für eine visionäre Kirchenplanung der Zukunft ausgesucht hatte.

Das Besondere: Die Studentengruppen aus Karlsruhe, Göttingen, Berlin, Hildesheim und dem belgischen Leuwen waren gemischt, jeweils zur Hälfte Architektur- und Theologiestudenten. Die gemeinsame Koordination lag bei Professorin Gothe aus Karlsruhe, dem Theologieprofessor Jan Hermelink aus Göttingen und dem Architekten Gerald Klahr aus Köln. Wie sich die evangelische Kirche für die Zukunft positioniert und welche architektonischen Lösungen sie dazu braucht, seien die Leitfragen des Projekts gewesen, sagt Gothe.  „Das wollten wir im Dialog zwischen Architekten und Theologen herausfinden.“  

Die Dietrich-Bonhoeffer-Kirche sei dafür ein gutes Beispiel, meinte die Professorin. Sie liegt in dem sozial stark gemischten Stadtteil Roderbruch direkt am belebten Markt, Stadtbahn, Einkaufszentren und eine Gesamtschule mit Kulturzentrum sind in unmittelbarer Nähe. Rund 60 Prozent der Bewohner haben einen Migrationshintergrund, schon jetzt arbeite die Gemeinde projektweise mit aufgeschlossenen Muslimen zusammen, betonte Pastor Thomas Holzvoigt. Auch zeichne die Gemeinde ein stark diakonisches Profil aus.

Außer zum Dialog trafen sich die Studentengruppen auch bei zwei Workshops in der Gemeinde, wohnten bei Gemeindegliedern, besichtigten den Stadtteil, sprachen mit Kommunalpolitikern und besuchten die Gottesdienste. So unterschiedlich die drei jetzt bei einer Präsentation in Hannover vorgestellten Hauptentwürfe auch waren, einig sind sich die Studenten darin, dass sich die Gemeinde weiter für den Stadtteil mit ihren Bewohnern öffnen soll und künftig zu einem integrierenden Zentrum für Religion, Kultur, Bildung und Begegnung werden könnte.

Ideen dazu lieferte beispielsweise der Entwurf der Architekturstudenten der HAWK Hildesheim. Der „Bonhoeffer.Culture.Campus“ sieht einen auch vom Roderbruch-Markt aus zugänglichen Raum der Stille vor, einen „Glaubens-Gastraum“ für andere Religionen und die Umwandlung von Gemeindehaus-Räumen in ein Café oder einen „Maker-Space“ beispielsweise für eine Selbsthilfe-Reparaturwerkstatt. Als „Marktplatz der Zukunft“ wollen zwei Berliner Architektinnen die Dietrich-Bonhoeffer-Kirche mit einem großen Anbau versehen. Darin könnten Kinder- und Jugendräume liegen, ein muslimischer Gebetsraum mit Waschmöglichkeiten, ein zusätzlicher kleiner christlicher Kirchenraum, auch eine gemeinsame Religionsschule halten die Berlinerinnen für denkbar. Der bisherige große Kirchenraum soll mit neuen großzügigen Fenstern mehr optische Präsenz zum Markt hin zeigen. Um eine öffentliche Passage quer durch das Kirchengelände zu schaffen, würden die angehenden Architektinnen aus Leuwen Teile des Gemeindehaus-Foyers einreißen und einen frei zugänglichen Garten einrichten, Gewächshäuser darin könnten zu schulischen Bildungszwecken genutzt werden.

Die teilweise herausfordernden Entwürfe seien von der Gemeinde mit großer Offenheit aufgenommen worden, lobte Architekturstudent Patrick Kellner aus Hildesheim. Der Dialog mit den Theologiestudenten und deren „Nutzerperspektive“ habe manche hochfliegenden Pläne „geerdet“,  blickt er zurück. Dass Architekten bei Kirchenumbauten sehr sensibel vorgehen sollten, wurde für die Berliner Planerinnen Linda Wirth und Clara Blum im Austausch deutlich, ähnliche Erfahrungen verbuchte Theologiestudent Sascha Maskow aus Göttingen: „Wir können zwar bei Kirchenumnutzungen ruhig mutig vorgehen, Wände einreißen oder die Küsterwohnung verplanen, aber wir müssen dabei unbedingt die Gemeinde mitnehmen.“  

Die Entwürfe der Studenten werden bei dem internationalen Symposium „Kirchenumnutzung – neue  Perspektiven im europäischen Vergleich“ vom 23. bis 25. März im Schloss Herrenhausen in Hannover präsentiert. Dabei diskutieren Experten aus Deutschland, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und Großbritannien über das Thema Kirchenumnutzung erstmals im europäischen Vergleich. Das Symposium wird von der Volkswagenstiftung finanziert, die Hanns-Lilje-Stiftung unterstützte das Workshop-Projekt in der Dietrich-Bonhoeffer-Kirche.

„Wie es mit dieser Fülle von spannenden Ideen jetzt für uns im Roderbruch weitergeht, beraten wir im Kirchenvorstand“, sagt Pastor Holzvoigt. Erste Wünsche hat er schon: das Café mit Zugang vom Markt im Gemeindehaus einrichten und das Kreuz auf dem Kirchendach anstrahlen, ebenfalls ein studentischer Vorschlag. Vielleicht sei es ja möglich, wie auch eine Vertreterin der Stadt Hannover bei der Präsentation angeregt hatte, die weitere Projektentwicklung in den Rahmen der Bewerbung Hannovers als Europäische Kulturhauptstadt 2025 zu stellen.

Sabine Dörfel/ Öffentlichkeitsarbeit im Stadtkirchenverband Hannover