Startseite Archiv Nachricht vom 31. Oktober 2019

"Angriff auf Juden ist Angriff auf Gesamtgesellschaft"

Die vollständige Darstellung von Archivmeldungen befindet sich noch im Aufbau. Schauen Sie in Kürze noch mal vorbei!

Hannover/Berlin. Der Angriff auf jüdische Synagogenbesucher in Halle an der Saale war dem Berliner Rabbiner Andreas Nachama zufolge ein Angriff auf die gesamte deutsche Gesellschaft. "Die Geschichte zeigt: Wenn eine Minderheit angegriffen wird, geht es bald darauf auch anderen Minoritäten an den Kragen", sagte der jüdische Theologe und Historiker am Mittwochabend in Hannover. Am Ende leide auch die gesellschaftliche Mehrheit unter solchen Zuständen. Die Opfer in Halle seien Passanten gewesen. Bei dem Anschlag am 9. Oktober erschoss ein Rechtsextremist zwei Menschen, nachdem es ihm nicht gelungen war, in die verbarrikadierte Synagoge einzudringen.

Nachama, der seit 32 Jahren die Ausstellung "Topographie des Terrors" in Berlin leitet, sprach in der hannoverschen Marktkirche am Vorabend des Reformationstages über jüdische Perspektiven auf Martin Luther. Der evangelische Reformator sei "einer der konsequentesten Anti-Judaisten" der Geschichte gewesen, betonte der Historiker. Luther habe seinen Hauptfeind - die katholische Kirche - "judaisiert". Die Kirche sei in seinen Augen "des Teufels Synagoge" gewesen. "Luther ging damit weiter als andere Anti-Judaisten." Es sei jedoch unangemessen, Luther als Antisemiten zu bezeichnen, unterstrich Nachama. Denn der Begriff und die dahinterstehende rassistische Ideologie seien erst 250 Jahre später aufgekommen.

Trotz Luthers anti-jüdischen Positionen habe der Reformator unter jüdischen Gelehrten im 19. Jahrhundert teilweise großes Ansehen genossen. Gerade in der jüdischen Reformbewegung sei sein Grundsatz "sola scriptura" ("Allein durch die Schrift") auf Zustimmung gestoßen. Zudem habe sich Luthers Bibelübersetzung stark an der Hebräischen Bibel orientiert, erläuterte Nachama.

Während des Faschismus sei Luther von den Nazis und rechtsextremen Christen politisch vereinnahmt worden. Der evangelische Landesbischof Thüringens, Martin Sasse, habe die brennenden Synagogen der Reichpogromnacht 1938 als eine Art Geschenk zu Luthers 450. Geburtstag dargestellt. Doch es habe auch evangelische Theologen gegeben, die Juden im Dritten Reich geholfen hätten, sagte Nachama. Diese Pastoren hätten nach dem Krieg den bis heute gut funktionierenden christlich-jüdischen Dialog in Deutschland entwickelt.

Nachama sprach in der Reihe "Was gesagt werden muss. Judentum und Reformation". Landesbischof Ralf Meister hatte die Veranstaltungsreihe im letzten Jahr initiiert, die immer am Vorabend das Verhältnis von Reformation und Judentum reflektiert.

 

epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen