Startseite Archiv Nachricht vom 02. Mai 2019

Kirchen stellen Projektion der Mitgliederzahlen bis 2060 vor

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Hannover/Bremen. Die Kirchen in Bremen und Niedersachsen müssen sich für die kommenden Jahrzehnte auf deutliche Mitgliederverluste und eine geringere Finanzkraft einstellen. Nach einer langfristig angelegten Studie von Freiburger Forschern wird sich die Mitgliederzahl der hannoverschen Landeskirche bis 2060 von derzeit 2,6 Millionen auf 1,2 Millionen mehr als halbieren, wie leitende Kirchenvertreter am Donnerstag in Hannover erläuterten. Im selben Zeitraum werde auch die Finanzkraft um über 50 Prozent sinken. Ähnliche Zahlen legten auch die Kirchen von Braunschweig, Bremen und Oldenburg vor.

Die Zahl der Mitglieder der Bremischen Evangelischen Kirche werde sich bis 2060 mindestens halbieren und dann zwischen 80.000 und 100.000 liegen, sagte Verwaltungschef Johann Daniel Noltenius dem epd. Derzeit hat die Kirche knapp 190.000 Mitgliedern. Auch die Finanzkraft werde etwa um die Hälfte zurückgehen: "Konkrete Einsparungen werden bei uns zurzeit nicht geplant, da wir mit diesen langfristigen Prognosen schon seit längerem gerechnet haben."

Auch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg rechnet damit, in den nächsten 40 Jahren die Hälfte ihrer derzeit knapp 411.600 Mitglieder und die Hälfte ihrer Finanzkraft zu verlieren. "Das Ergebnis ist nicht überraschend", sagte Oberkirchenrätin Susanne Teichmanis dem epd: "Aber es ist ein Weckruf und zeigt uns wichtige Stellschrauben, an denen wir etwas verändern können." Etwa 50 Prozent der zu erwartenden Verluste seien dem demografischen Wandel geschuldet.

Für die braunschweigische Landeskirche sagte Kirchensprecher Michael Strauß, das Kirchensteueraufkommen werde sich gemessen an der Kaufkraft in etwa halbieren. Die Zahlen entsprächen den eigenen Vorausberechnungen: "Vor diesem Hintergrund ist die Landeskirche bereits seit vielen Jahren dabei, Reformen zu entwickeln und umzusetzen." Die Landeskirche hatte danach im Jahr 2017 noch gut 334.900 Mitglieder. Die Studie prognostiziert für 2060 eine Mitgliederzahl von rund 154.900.

Hannovers Landesbischof Ralf Meister sagte, die Kirche werde trotzdem auch 2060 einer der "nichtkommerziellen Hauptakteure" bleiben, die sich für den sozialen Zusammenhalt der Menschen einsetzten. "Da sind wir noch in den letzten Dörfern aktiv."

Neben der demografischen Entwicklung gibt es nach Angaben der Kirchen auch kirchenspezifische Gründe. Damit sind beispielsweise ein Rückgang der Taufen und eine Zunahme der Austritte gemeint. Beide Faktoren - Demografie und kirchliche Gründe - verstärkten sich gegenseitig, heißt es seitens der Bremischen Kirche.

Eine zentrale Botschaft der Studie ist, dass die Kirchen noch gegensteuern können. "Die Forscher betonen, dass wir zwar den Faktor Bevölkerungsentwicklung nicht beeinflussen können, wohl aber das Tauf-, Austritts- und Eintrittsverhalten der Kirchenmitglieder", sagte Noltenius. Taufe, Konfirmation, die aktive Mitwirkung an der Gestaltung der Kirche sowie spirituelle, soziale und kulturelle Angebote müssten attraktiver gestaltet werden, beispielsweise durch Tauffeste, Konfi-Camps und mobile Jugendarbeit.

Ralf Meister hob ebenfalls die Kinder- und Jugendarbeit hervor und nannte als Beispiel die Einschulungsgottesdienste. Hier knüpften junge Familien neue Kontakte zur Kirche. "In dem Augenblick, wo es Kinder gibt, taucht die Kirche sofort wieder auf."

Einig sind sich alle Kirchen, dass sie an der Kirchensteuer als Finanzierungsinstrument nicht rütteln wollen. Einer ihrer Vorteile sei, dass die so erzielten Einnahmen durch Kirchenparlamente demokratisch kontrolliert würden, hieß es aus Hannover. Außerdem sei sie sozial gerecht, da gut verdienende Menschen mehr zahlten als Mitglieder mit wenig Geld.

Die Kirchen von Braunschweig, Bremen und Oldenburg betonten, dass sie weiterhin auf ihre Unabhängigkeit setzten. Die Oldenburger Oberkirchenrätin Teichmanis unterstrich, dass Größe allein noch keine relevante Kostenersparnis bringe. Sinnvoll sei dagegen der Ausbau von Kooperationen mit den Nachbarkirchen, wie etwa bei der bereits praktizierten gemeinsamen Ausbildung des theologischen Nachwuchses.

Für die Landeskirche Schaumburg-Lippe an der Grenze von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei den Nachbarkirchen: Hier wird die Mitgliederzahl von derzeit rund 51.000 der Studie zufolge bis 2060 auf etwa 26.000 sinken. Auch die Finanzkraft wird sich halbieren.

Im katholischen Bistum Hildesheim wird sich die Zahl der Kirchenmitglieder von derzeit rund 600.000 auf etwa 319.000 verringern, die Finanzkraft sinkt ebenfalls um knapp die Hälfte. Aus dem katholischen Bistum Osnabrück und aus der Evangelisch-reformierten Kirche mit Sitz in Leer gab es keine konkreten Zahlen.

epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen

„Wir stellen uns auf Veränderungen ein“

Das Forschungszentrum Generationenverträge (FZG) der Albert-Ludwig-Universität Freiburg hat erstmals eine koordinierte Mitglieder- und Kirchensteuervorausberechnung für die katholische und evangelische Kirche in Deutschland erstellt. Für die 20 evangelischen Landeskirchen und die 27 (Erz-)Bistümer der katholischen Kirche wurde ermittelt, wie sich Kirchenmitgliederzahlen und Kirchensteueraufkommen langfristig bis zum Jahr 2060 entwickeln werden – wenn das Tauf-, Austritts- und Aufnahmeverhalten der vergangenen Jahre auch für die Zukunft repräsentativ ist. Diese Studie ist heute (2. Mai 2019) vom FZG, der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlicht worden.

Für die beiden großen Kirchen ist klar, dass man sich den in der Projektion berechneten Entwicklungen frühzeitig stellen will: „Die Kirchen wollen die Erkenntnisse der Studie nutzen, um sich langfristig auf Veränderungen einzustellen. Diese Veränderungen werden kommen und es ist gut, in einer heute wirtschaftlich guten Lage die Fragen von morgen in den Blick zu nehmen“, erklären der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx.

„Die Projektion 2060 beschreibt die Auswirkungen eines Trends, der schon vor Jahren von der Sozialforschung festgestellt worden ist. Manches am Rückgang an Kirchenmitgliedern werden wir nicht ändern können. Anderes aber schon“, betonte der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm. „Überall in Deutschland haben sich Christinnen und Christen auf den Weg gemacht, die Ausstrahlungskraft unserer Kirche für die Zukunft so nachhaltig wie möglich zu stärken. Und das ist keine Frage der Mitgliedschaftszahlen. Die vielen Millionen Menschen, die sich in unseren Gemeinden und diakonischen Einrichtungen aus Freiheit und nicht aus gesellschaftlicher Konvention engagieren, sind schon heute die besten Botschafter der Kirche von morgen. Deutschland wäre ärmer ohne die vielen Christinnen und Christen, die sich aus der Kraft ihres Glaubens heraus für das Gemeinwesen einsetzen“, so Landesbischof Bedford-Strohm.

Kardinal Marx betont: „Die Verantwortung für die mittel- bis langfristige Planung der kirchlichen Haushalte – auch im Sinne einer Verantwortung für nachfolgende Generationen und angesichts des seelsorgerischen und sozialen Engagements der Kirche in vielfältigen Tätigkeitsfeldern – hat uns zu diesem Projekt veranlasst.“ Jetzt sei man dankbar, mit der aktuellen Langfristprojektion ein tiefergehendes Know-how über die wichtigste Einnahmequelle der Diözesen zu erlangen, um die kirchlichen Haushalte auch mittel- und langfristig an die erwartete Entwicklung anpassen zu können. „Wir geraten angesichts der Projektion nicht in Panik, sondern werden unsere Arbeit entsprechend ausrichten. Das gilt in diesem Zusammenhang auch für Fragen der künftigen Bedingungen in Bezug auf die Anzahl der Kirchenmitglieder und die daraus resultierenden pastoralen Erfordernisse. In der Kirche geht es immer darum, das Evangelium weiter zu sagen, auch unter veränderten Bedingungen. Für mich ist die Studie auch ein Aufruf zur Mission“, so Kardinal Marx.

Das Projekt steht unter der Leitung von Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen. Die wissenschaftliche Mitarbeit liegt bei David Gutmann und Fabian Peters. Den Berechnungen der Freiburger Wissenschaftler zufolge werden die Mitgliederzahlen beider Kirchen bis 2060 um ca. die Hälfte zurückgehen. Aufgrund stärkerer Zuwanderungsströme aus dem Ausland verliert die katholische Kirche geringfügig weniger Mitglieder als die evangelische. „Die Ergebnisse haben wir dem Grunde nach so erwartet“, erklärt Bernd Raffelhüschen. „Neu ist allerdings die Erkenntnis, dass sich weniger als die Hälfte des Rückgangs mit dem demografischen Wandel erklären lässt. Einen größeren Einfluss auf die Mitgliederentwicklung hat das Tauf-, Austritts- und Aufnahmeverhalten von Kirchenmitgliedern.“ Für den Finanzwissenschaftler ist damit klar, dass sich ein differenzierter Blick auf die Gründe des Mitgliederrückgangs lohnt: „Die Kirchen sollten ihre Anstrengungen bei der Suche nach Zusammenhängen, die sie beeinflussen können, intensivieren.“ Mit dem Rückgang der Mitgliederzahlen werden sich auch die finanziellen Möglichkeiten der beiden Kirchen bis 2060 in etwa halbieren. Die sinkende Zahl an Kirchensteuerzahlern wird dazu führen, dass die Einnahmen nicht im gleichen Maße wachsen wie die Ausgaben, sodass einem tendenziell stagnierenden Kirchensteueraufkommen steigende Preise für kirchliche Ausgaben – vor allem im Personalbereich – gegenüberstehen. „Unsere Analyse macht aber auch deutlich, dass die Kirchen gerade in den kommenden zwei Jahrzehnten weiterhin über Ressourcen zur Umgestaltung verfügen. Diese gilt es klug einzusetzen“, so Bernd Raffelhüschen.
 

Pressemitteilung der Evangelischen Kirche in Deutschland PM-Nr. 39/2019