Startseite Archiv Nachricht vom 21. März 2019

Zwei Ausstellungen dokumentieren den Protest-Treck der Gorlebener Bauern vor 40 Jahren

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Hannover/Lüchow. "Hopp, hopp, hopp - Gorleben stopp!" Laut schallen Sprechchöre und Lieder am 31. März 1979 über den Klagesmarkt in Hannover. Rund 100.000 Menschen haben sich bei Dauerregen versammelt - es ist die bis dahin größte Anti-Atomkraft-Demonstration der Bundesrepublik. Auch die umliegenden Straßen sind verstopft, Straßenbahnen kommen nicht mehr durch. An den Lichtmasten hängen klatschnasse Transparente mit Parolen gegen Atomkraft, aus vielen Fenstern wehen Fahnen mit der gelben Sonne.

Die Demonstranten warten auf die Lüchow-Dannenberger Bauern, die sechs Tage zuvor mit ihren Traktoren im Dörfchen Gedelitz bei Gorleben aufgebrochen sind, um gegen die dort geplanten Atomanlagen zu protestieren. An diesem Tag werden sie in der Landeshauptstadt eintreffen. 40 Jahre nach dem schon fast legendären Treck thematisieren zwei Ausstellungen die Aktion und ihre politischen Folgen. Die Sonderausstellung "Trecker nach Hannover" ist ab dem 27. März im Historischen Museum Hannover zu besichtigen, die Schau "Der Gorleben Treck - 40 Jahre danach" läuft am 31. März im Kreishaus Lüchow an.

Bereits seit 1977 hat die niedersächsische Landesregierung unter Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) das Ziel verfolgt, im schwach besiedelten Wendland - unmittelbar an der Grenze zur DDR - eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage, ein Endlager und weitere Atomanlagen zu errichten. In der strukturschwachen Region, so das Kalkül, würden die Leute schon nichts dagegen haben, und erst recht nichts gegen die versprochenen Arbeitsplätze. Die Rechnung geht aber nicht auf: Viele Lüchow-Dannenberger lehnen die Atomanlagen strikt ab.

Um die Unbedenklichkeit seiner Pläne nachzuweisen, hat Albrecht für Ende März 1979 Fachleute zu einem Hearing nach Hannover eingeladen. Das ist der Anlass für den Protestzug der Landwirte. "Albrecht, wir kommen", lautet ihr Schlachtruf. Viele haben ihre Traktoren mit Spruchbändern geschmückt. "Wi wullt den Schiet nich hebben", steht auf Plattdeutsch da ("Wir wollen den Scheiß nicht haben"), "Gorleben soll leben" oder: "Geht uns vom Acker, Strahlenkacker".

"Uns hat es damals überrascht, wie viele Trecker und Leute kamen, um den Treck zu begleiten", erinnert sich Landwirt Hans-Werner Zachow, der vor 40 Jahren dabei war. Alleine in der Kreisstadt Lüchow seien 350 Schlepper und 5.000 Menschen aus allen Bevölkerungsschichten gestartet: "Das war der Erfolg unseres langen Einsatzes, von Haus zu Haus zu gehen und Berufskollegen und Freunde zum Mitfahren aufzufordern."

Die mehrtägige Fahrt, erzählt Zachow, sei sehr mühsam gewesen: Das Wetter war schlecht, die Traktoren viel unkomfortabler als heute. Doch die Strapazen waren vergessen, als der Treck sein Ziel erreichte: "Es war toll, durch die eng stehende und jubelnde Menschenmenge zu fahren. Wir hatten das Gefühl, das Richtige zu tun. Und das Selbstbewusstsein, dem Ministerpräsidenten Albrecht unsere Forderungen persönlich auf den Tisch zu knallen."

Mit teilweisem Erfolg: Unter dem Eindruck der Proteste erklärt Albrecht wenig später, eine Wiederaufarbeitungsanlage sei im Wendland politisch nicht durchzusetzen. Gorleben wird aber Standort für zwei nukleare Zwischenlager und die sogenannte Pilotkonditionierungsanlage für abgebrannte Brennelemente aus Kernkraftwerken. Der unterirdische Gorlebener Salzstock wird über Jahrzehnte auf seine Eignung als atomares Endlager geprüft. Zurzeit ist die Untersuchung zwar unterbrochen, Gorleben ist als möglicher Standort aber weiter im Rennen.

Der Protestzug der Lüchow-Dannenberger gilt auch als wichtiger Impulsgeber für die bundesweite Anti-AKW-Bewegung: Er schweißt ein Bündnis aus Bauern und Bürgerlichen, linken Studenten und konservativen Umweltschützern zusammen, die sich bis dahin eher kritisch gegenüber standen.

Unzählige Fotos, Flugblätter und Zeitungsartikel von der Demonstration sind erhalten. Die Ausstellung in Hannover dokumentiert die Protestaktion vor allem anhand von Bildern und Texten. Protagonisten aus dem Wendland und aus Hannover kommen zu Wort, mehrere Akteure und Initiativen werden vorgestellt. Beleuchtet wird auch der politische Protest seither - und wie sich das Wendland als Kulturregion etabliert hat.

In der anderen, als Wanderausstellung konzipierten Schau in Lüchow stehen persönliche Erinnerungen, Erfahrungen und Sichtweisen im Mittelpunkt. Die Ausstellung zeigt, so beschreiben es die Organisatoren vom "Gorleben-Archiv", die Entwicklung des Wendlands aus der Perspektive von Menschen, "die entweder schon damals dabei waren oder heute das fortsetzen, was die Alten begonnen haben".

Der Karikaturist Wolf-Rüdiger Marunde ist einer von jenen, die im Zuge des Atomkonflikts in die Region zugezogen sind. "Heute ist Lüchow-Dannenberg eine Hochburg für ökologische Landwirtschaft und erneuerbare Energien", sagt er. Künstler und Intellektuelle aus den Städten hätten sich hier angesiedelt, die Akteure der Protestbewegung für frischen Wind in der Kommunalpolitik gesorgt. Sein Haus, sein Hof und sein Atelier stehen in Gedelitz - kurz hinter der Kreuzung, wo vor 40 Jahren der Gorleben-Treck seinen Anfang nahm.

epd