Startseite Archiv Nachricht vom 13. Februar 2019

Ärmel hochkrempeln für Europa: Sigmar Gabriel sprach in der Burg Seevetal über die Zukunft Europas

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Hittfeld. Ein klares Votum für Europa gab der langjährige SPD-Parteichef und ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel am Montagabend in der Burg Seevetal. „Wir müssen entscheiden, ob wir Europäer in der Zukunft noch mitreden wollen oder nicht“, sagte Gabriel und plädierte dafür, die Ärmel hochzukrempeln. Zuvor traf Superintendent Dirk Jäger Sigmar Gabriel beim Pressegespräch in der Superintendentur und beim Kamingespräch mit weiteren geladenen Gästen in der Burg. Sigmar Gabriel war acht Jahre lang SPD-Vorsitzender, Umwelt-, Wirtschafts- und Außenminister. Er kam auf Einladung der Bundestagsabgeordneten Svenja Stadler (SPD) nach Hittfeld.

Da der SPD ein geeignetes Büro für ein Pressegespräch in Hittfeld fehlte, bat Svenja Stadler Superintendent Dirk Jäger, das Gespräch in seinem Büro stattfinden zu lassen. „Wir Harzer müssen uns ja gegenseitig Räume verschaffen“, scherzte Jäger. Er selbst war Pastor in Bad Lauterberg, Gabriel wohnt in Goslar. Beide haben in Göttingen studiert und tauschten zu Beginn Erinnerungen aus Studentenzeiten aus: „Den besten Kaffee gab es bei euch in der theologischen Fakultät“, sagte Gabriel, der sich als bekennender Lutheraner bezeichnete.

Auf die Frage eines Journalisten, ob er wegen der Beschlüsse der SPD-Parteispitze vom Wochenende geistlichen Beistand bräuchte, antwortete Gabriel, dass er das von der SPD-Parteispitze beschlossene Sozialstaatskonzept 2025 richtig finde, er lobte ausdrücklich die Arbeit von Parteichefin Andrea Nahles. „Die Medien deuten dies gleich als Vorbereitung zum Ausstieg aus der Koalition und als Linksruck. Das ist Quatsch. Das sind Antworten der SPD auf gesellschaftliche Realitäten.“ Ebenso richtig sei die Revisionsklausel, die zum Jahresende ausstehende Bewertung, ob die Koalition fortgesetzt wird. Die SPD-Pläne, wie etwa ein längeres Arbeitslosengeld oder eine Grundrente seien richtig, so Gabriel. 

Gabriel wurde gefragt, warum die SPD ihre Stammwähler nicht mehr erreiche. „Das sind mehrere Gründe, diese Entwicklung fand nicht von heute auf morgen statt. Innerparteiliche Streitigkeiten sind ein Grund. Eine Partei, die auf Solidarität, Gemeinschaft und Gemeinsinn setzt, hat es in einer Gesellschaft, die immer individueller wird, schwerer. Das merken auch Kirchen, Parteien, Gewerkschaften.“ Als weitere Gründe sieht er die Einführung von Hartz IV, die Rente mit 67, die Finanzkrise und auch die Flüchtlingspolitik. „Das erschüttert das Urvertrauen der Wähler. Ich höre oft, „die kriegen alles, für meine Rente tut ihr nichts.“

Superintendent Dirk Jäger sagte, es sei wichtig, Menschen in die Lage zu versetzen, ihr Leben eigenständig führen zu können. Investitionen in Bildung und Chancengleichheit seien besser als nachträglich ausgleichende Sozialtransfers. Er wünsche sich eine SPD, die auf Symbolpolitik verzichtet, sich stattdessen konsequent den wirklichen Herausforderungen stellt und dem ausufernden Lobbyismus klare Grenzen setzt. Politisch intelligente Rede, Abkehr von Schwarz-weiß-Malerei und eine gepflegte Fehlerkultur könnten die Sozialdemokratie wieder attraktiver machen für Menschen, die sie derzeit als angestaubt und rituell empfinden. Dem stimmte Gabriel zu und daher sei es auch richtig, Dinge in Frage zu stellen und den Mut zu haben, neu zu denken. Die Frage, wie Deutschland den Wohlstand und den wirtschaftlichen Erfolg für die Zukunft sichern kann, sei einer der größten Herausforderungen, so Gabriel.

Die Burg Seevetal war bis auf den letzten Platz voll besetzt. Gabriel plädierte für ein starkes Eintreten für Europa. „Die Welt hat sich in den letzten 70 Jahren verändert. Die Digitalisierung führt dazu, dass Daten wichtiger sind als Produkte. Wir müssen uns fragen, was mit den sozialen Sicherungssystemen passiert, wenn immer weniger Arbeitnehmer Sozialabgaben zahlen. Wir sehen, dass sich die Sicherheitslage verändert, die USA wenden sich immer mehr von Europa ab, sehen sich als pazifische Nation, nicht mehr als transatlantische Nation.“ So konzentrieren sich die USA auf China als größtem Konkurrenten: „US-Präsident Donald Trump ist nicht mehr an Bündnissen wie der NATO interessiert. Er sieht die Welt als Arena, in der nur der Starke das Recht hat, sich durchzusetzen und bilaterale Abkommen trifft.“ In dieser Liga würde im übrigen Russland nicht mitspielen, es sei eine G-2-Welt: USA und China.

„Wir müssen entscheiden, ob wir in Europa Schachbrettfiguren von Trump werden wollen oder ob wir Einfluss auf das Spiel haben wollen, damit auch unsere Kinder und Enkelkinder in der Welt von morgen noch etwas zu sagen haben. Das geht nur, wenn wir als Europäer zusammenbleiben. Nach dem Brexit ist die Frage entscheidend, wie wir den Laden Europa noch zusammenhalten.“

Es gäbe viel an Europa zu kritisieren, so Gabriel. „Dennoch ist es unser Auftrag, die Leistungen unserer Eltern und Großeltern nicht untergehen lassen. Innerhalb von nur einer Generation sind Länder von erbitterter Feindschaft zu Freundschaft gekommen, wir haben es von Auschwitz nach Maastricht geschafft.“ Und Deutschland profitiere von Europa, da 60 Prozent der Exporte nach Europa gehen. „Die transatlantische Achse wird schwächer, die pazifische Achse stärker. Wir müssen selbstbewusst gegenüber den USA auftreten, Antworten auf große Herausforderungen der Zeit geben, dies ist das beste Deutschland, das wir je hatten. Wir sollten die Ärmel hochkrempeln.“ Gabriel erhielt immer wieder Applaus und beantwortete im Anschluss die Fragen der Zuschauer.

Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis Hittfeld