Startseite Archiv Nachricht vom 09. August 2018

Udo Groenewold erhält den Blickwechselpreis

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Reformierter Theologe wirkt Jahrzehnte für einen christlich-jüdischen Dialog auf Augenhöhe

Hannover/Leer. Christin oder Christ zu sein, das erfordert auch den Austausch mit dem Judentum. Diese Einsicht des christlich-jüdischen Dialoges ist heute für die evangelisch-reformierte Kirche in Deutschland und andere reformatorische Kirchen selbstverständlich. Ein Wegbereiter für einen respektvollen Dialog mit dem Judentum auf Augenhöhe ist der heute 82-jährige Udo Groenewold aus Leer in Ostfriesland. Für sein langjähriges und innovatives Engagement erhält der profilierte Theologe und reformierte Pastor im Ruhestand am Sonntag, 12. August, den Blickwechselpreis des Vereins Begegnung – Christen und Juden. Niedersachsen e.V. Die Verleihung steht unter der Schirmherrschaft des Landesbischofs Ralf Meister der Landeskirche Hannovers. Der Laudator ist Dr. Martin Heimbucher, Kirchenpräsident der Evangelisch-reformierten Kirche in Deutschland.

Als Groenewold Mitte der sechziger Jahre in Emden ins Pfarramt startete, da dachte der Theologe noch ganz anders. „Pastoren sollen nur über neutestamentliche Texte predigen“, lautete seine Auffassung. Das Alte Testament, die hebräische Bibel, verstand er eher als Vorgeschichte des Neuen Testaments. Davon hat ihn seine kürzlich verstorbene Frau Martha „gründlich kuriert“, sagt Groenewold rückblickend. Die Theologin und Ehefrau eröffnete ihm durch ihre hebräischen Sprachkenntnisse und ihre Wertschätzung der hebräischen Bibel die Einsicht in die Bedeutung dieses Buches für den christlichen Glauben.

Bald darauf reisten beide nach Israel und erlebten nach dem Holocaust und kurz vor dem Sechstagekrieg erstmals jüdisches Leben im Neuaufbau, ein Meilenstein für das spätere Engagement Groenewolds. Ein weiteres prägendes Ereignis war für den Pastor die Beteiligung an der Tagung der Synode der evangelisch-reformierten Kirche mit einer Hauptversammlung des reformierten Bundes 1982 in Aurich. Beides öffnete nach der Evangelischen Kirche im Rheinland auch in der reformierten Kirche den Weg zum Dialog, zum Sprechen „mit den Juden statt über die Juden“, so Groenewold. Im gleichen Jahr noch wurden 60 Überlebende des Holocausts nach Emden eingeladen, ein wegweisendes Ereignis auch für den inzwischen Leeraner Pastor Groenewold. Gleich mehrmals wurde in den folgenden rund 20 Jahren solche Treffen auch in Leer durchgeführt.

Neben den Meilensteinen waren es Begegnungen und Kontakte mit besonderen Persönlichkeiten, die Groenewold in seinem Engagement vorangebracht haben. Die Rabbiner Nathan Peter Levinson, Dr. Henry Brandt oder Dr. Joel Berger und Dr. Benjamin Barsilay sind einige Beispiele dafür, aber auch Bremens Bürgermeister Hans Koschnick. Es sind auch solche Beziehungen aus denen heraus sich Groenewolds Engagement im Vorstand der Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit – zeitweilig als Vorsitzender –, in der Deutsch-israelischen Gesellschaft Ostfriesland und in Ausschüssen des reformierten Bundes zum christlich-jüdischen Dialog erklärt.

Das derzeit in Deutschland und Europa obenauf liegende Thema „Flucht“ hat der Pfarrerssohn Groenewold als Kind am eigenen Leibe erlebt. Ende April 1945 floh seine Mutter Charlotte mit ihm und seinen drei Geschwistern aus Groenewolds Geburtsort, dem Hugenottendorf Battin im Kreis Prenzlau, via Mecklenburg nach Flensburg. Dort wurden die Flüchtlinge aufgrund ihrer großen Zahl in der Nacht zum 8. Mai über die Grenze nach Dänemark gebracht. Der Pastor, Soldat und Vater Claus Groenewold brachte seine Familie danach illegal auf einem Minensuchbot nach Sylt, von wo aus die Familie nach Leer gelangte.

In seinem Theologiestudium in Göttingen wurde Groenewold noch mit dem ehemaligen Wortführer der Deutschen Christen Emanuel Hirsch konfrontiert, in Basel aber auch mit dem gern als „Kirchenvater des 20. Jahrhunderts“ bezeichneten, Schweizer reformierten Theologen Karl Barth.

Zu Groenewolds Verdiensten gehört schließlich auch sein Einsatz für eine würdige Gedenkstätte für die aus Leer vertriebenen und im Holocaust ermordeten Jüdinnen und Juden.

Stefan Heinze/Arbeitsfeld Kirche und Judentum

Begegnung ist das Wichtigste

Mit Udo Groenewold ehrt der Verein Begegnung – Christen und Juden. Niedersachsen e.V. einen profilierten Theologen und Wegbereiter des christlich-jüdischen Dialoges. Der Journalist Stefan Heinze sprach mit Groenewold über den christlich-jüdischen Dialog aus evangelisch-reformierter Perspektive.

Was hat der christlich-jüdische Dialog der vergangenen Jahrzehnte bewirkt?

Groenewold: Wir haben erlebt, dass die Arbeit in diesem Bereich uns tiefe Einblicke in den eigenen Glauben und in die Bibel gegeben hat.

Welche besondere Perspektive bringt die evangelisch-reformierte Kirche in den christlich-jüdischen Dialog ein?

Sie hat immer die Aussagen und Traditionen des Alten Testaments für sehr wichtig gehalten und sich deshalb einen besonderen Zugang zum Verhältnis des Judentums zur Tora bewahrt. Der Reformator Johannes Calvin hat sich bei seinen Schriftauslegungen in Genf – wenn ich es richtig weiß – mit Rabbinern beraten im Unterschied zu Luther. Das ist eine Tradition, die weiter geht bis heute und die sicherlich manche Zugänge erleichtert hat für uns.

Wie erleben Sie den Antisemitismus in Deutschland aktuell?

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Deutschen, nicht nur die Christen, nach wie vor zu 30 Prozent bis zu den Knien im Antisemitismus steckengeblieben sind und sich von dieser Seuche nicht befreit haben, aber es unbedingt müssen, je eher, je besser.

Wie lässt sich das erreichen?

Das Einzige ist, dass man Menschen begegnet in Israel oder hier in Deutschland, die jüdischen Glaubens sind, und sie als Christ erlebt und dabei umlernt.

Frieden für Israel würde ich erst einmal nennen. Für den Dialog wünsche ich mir eine schrankenlose Offenheit, zu hören auf die Menschen, die wie wir mit den biblischen Texten umgehen und zum Teil andere Einsichten haben und von ihnen zu lernen. Wenn sie wollen, dürfen sie natürlich auch von uns etwas aufnehmen.

Stefan Heinze

Die Preisverleihung

Der Blickwechselpreis wird verliehen im Rahmen des Sommerfestes des Vereins Begegnung – Christen und Juden. Niedersachsen e.V. (BCJ) am Sonntag, 12. August 2018, in der St.-Petri-Gemeinde, Dörriesplatz (Nähe Kantplatz/Pferdeturm), 30625 Hannover (Kleefeld). Beginn ist um 15 Uhr. Der offizielle Teil mit Preisverleihung dauert bis etwa 16.15 Uhr.