Startseite Archiv Nachricht vom 22. Januar 2018

Kopfstand des Wirtschaftssystems

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Hildesheim. Christian Felber steht Kopf. Mit der Leichtigkeit häufiger Übung macht der Referent während seines Vortrags mal eben einen Kopfstand vor dem Publikum. So macht er anschaulich, wie verdreht seiner Ansicht nach das derzeitige Wirtschaftsprinzip in Deutschland und der Welt funktioniert. In der Ökonomie, so der Politikwissenschaftler, sollte das Geld das Mittel sein, das Wohl aller zu mehren. Stattdessen werde die Geldvermehrung zum Zweck erhoben. Anstatt die anerkannten Werte der Gesellschaft zu wahren, drücke die Wirtschaftswissenschaft der Gesellschaft eigene Werte auf: Egoismus, Wettbewerb, Konkurrenzdenken.

In der Reihe „Wo Gerechtigkeit strömt“, veranstaltet von der Evangelischen Bildung Hildesheim-Sarstedt, der Evangelischen Erwachsenenbildung Region Hildesheim und der Diakonie Leine-Innerste, bildet der Vortrag von Christian Felber den Auftakt. Der Österreicher hat dem Sturmtief Friederike ein Schnippchen geschlagen, indem er schon einen Tag früher angereist ist, und viele Interessierte haben ebenfalls dem Wetter getrotzt und sich auf den Weg zum Andreanum gemacht.

Ein Wirtschaftssystem, das nicht Lohndumping und rücksichtslose Ausbeutung der Ressourcen belohnt, sondern Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit, faire Bezahlung von Lieferanten und Mitarbeitenden – das macht neugierig. Ihn interessiere besonders das Menschenbild hinter Felbers Vision, erklärt Landessuperintendent Eckhard Gorka, der die Veranstaltung mit einem Grußwort eröffnet.

Sein Menschenbild, beantwortet Christian Felber die Frage, gehe davon aus, dass Menschen zum Guten wie zum Bösen fähig seien: „Die Spielregeln müssen das Gute belohnen.“ Geringere Steuern, weniger Zölle, günstigere Kredite für Unternehmen mit guter Gemeinwohl-Bilanz, so könnte das nach seiner Vorstellung aussehen. Dazu mehr Mitbestimmung der Bürger und Bürgerinnen durch Volksentscheide in besonders wichtigen Fragen. Das übt er gleich mal mit dem Publikum an einer Frage zur Einkommensschere. Ergebnis: Nicht mehr als sechs Mal so hoch wie ein Mindesteinkommen sollte der Spitzenverdienst nach Ansicht der Teilnehmenden sein.

2010 hat Christian Felber seine Idee der Gemeinwohl-Ökonomie in die Welt gesetzt und zu einer Bewegung gemacht, die sich inzwischen in 26 Ländern verbreitet hat. 40 Regionalgruppen von Aktiven haben sich in Deutschland gegründet, die nächste gibt es in Hannover. Einige Unternehmen haben bereits freiwillig ihre Gemeinwohl-Bilanz erstellt, auch Gemeinden oder Landkreise zeigen Interesse.

Bei der Diskussion im Plenum wird deutlich: Die Idee kommt beim Publikum sehr gut an, aber an der Umsetzbarkeit bestehen Zweifel. Würden nicht Unternehmen in Nachbarkommunen, Nachbarländer abwandern, um der verpflichtenden Gemeinwohl-Ökonomie zu entgehen? Die Umsetzung sei schwierig, räumt Christian Felber ein.  Aber das Interesse nehme zu. Denn Umfragen hätten ergeben, dass die Mehrheit der Menschen ihre Werte im derzeitigen System nicht verwirklicht sähen.  Weil sie merken, dass dadurch die gesellschaftlichen und globalen Krisen nicht gelöst, sondern verschärft werden.  Und: „Wir werden eines Tages der ökologischen Kostenwahrheit ins Auge blicken müssen.“ Der Sturm draußen sei dafür bereits ein Vorbote.

Kultur und Kommunikation, Hildesheim

Veranstaltungshinweis: „Wo Gerechtigkeit strömt“

Die Reihe „Wo Gerechtigkeit strömt“ wird fortgesetzt am Dienstag, 6. Februar, von 19 bis 21.30 Uhr im St.-Andreas-Gemeindehaus mit dem Thema „Alles so gemütlich hier. Wir und die gerechte Welt“. Zu Gast ist unter anderem Christoph Bals von Germanwatch e.V.