Startseite Archiv Nachricht vom 16. März 2015

Bremer Palliativmediziner Willenbrink fordert mehr Verständnis für die Versorgung Sterbenskranker

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epd-Gespräch: Dieter Sell

Bremen (epd). Der Bremer Palliativmediziner Hans-Joachim Willenbrink fordert mehr Verständnis für die Versorgung Sterbenskranker in Medizin, Pflege und Gesellschaft. Krankenhäuser beispielsweise seien "kein guter Ort zum Sterben", kritisierte Willenbrink im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dort fehlten Zeit, Geld und Personal, "sprich Raum zum Sterben". Zum ärztlich assistierten Suizid sagte der Experte, eine gesetzliche Regelung sei nicht nötig. Willenbrink leitet einen zweitägigen Kongress zur Palliativmedizin, der an diesem Freitag in Bremen beginnt.

epd: Herr Willenbrink, brauchen wir für den ärztlich assistierten Suizid eine gesetzliche Grundlage?

Hans-Joachim Willenbrink: Ich denke, wenn es um den ärztlich assistierten Suizid geht, ist es Sache des betreuenden Arztes, dem Patienten und dessen Angehörigen ein würdevolles Sterben zu gewährleisten. Wir sollten es jedem Arzt selber überlassen, ob er einen Menschen in dieser Art und Weise begleiten möchte oder nicht.

Es ist nicht Aufgabe des Arztes, einem Patienten beim Suizid zu helfen. Punkt. Bei diesem Satz sollte es bleiben. Dem geschäftsmäßig betriebenen assistierten Suizid, und den gibt es, aber auch den sogenannten Sterbehelfern mit der Gasflasche erteile ich eine klare Absage. Ich persönlich empfinde es entwürdigend, einen Menschen in die Schweiz fahren zu lassen.

epd: Müssen wir in diesem Zusammenhang mehr über die Grenzen therapeutischer Möglichkeiten reden?

Hans-Joachim Willenbrink: Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Da machen sich im Augenblick viele Leute Gedanken darüber, dass ältere Menschen in Pflegeeinrichtungen unterernährt sind. Es ist einfach so, dass einige Menschen am Ende ihres Lebens nicht mehr essen wollen und können. Die kann ich nicht wie eine polnische Mastgans zustopfen. Da braucht mir keiner mit dem Body-Mass-Index und der Magensonde zu kommen. Da geht mir die Hutschnur hoch. So geht es auch Pflegenden und betreuenden Ärzten, wenn kritisiert wird, die Betroffenen haben nicht genügend zu essen bekommen. Die Diskussion muss eine andere sein: Die deutsche Bevölkerung muss endlich aufwachen und sich Gedanken machen, wie sie am Lebensende betreut werden will.

epd: Jeder wünscht sich ein langes Leben...

Hans-Joachim Willenbrink: Sicher. Doch wenn es jemandem schlechtgeht, glaube ich, ändern sich die Perspektiven. Aber das wird verschwiegen. Nun sei doch froh, dass wir noch etwas für dich tun können, wird dann gesagt. Aber die Versorgung ist zum Teil grottenschlecht, weil beispielsweise in Krankenhäusern und in Heimen nicht genügend Personal da ist, weil das Geld nicht bereitgestellt wird, hoch engagierte Pflegende wertzuschätzen, um sie auch nach diesen Kriterien zu belohnen. Das ist eine gesellschaftspolitische Frage: Wie viel wollen wir investieren in die Versorgung Schwerstkranker? Können wir alles ermöglichen? Und vor allem: Unter welchen Bedingungen?

Ich bin übrigens davon überzeugt, dass sich da nicht nur die Politik bekennen muss. Darüber müssen wir in der ganzen Gesellschaft reden. Beispielsweise auch in den Schulen, im Ethikunterricht. Und genau deswegen ist in Deutschland die Charta zur Betreuung Schwerstkranker und Sterbender entstanden, die in fünf Leitsätzen zusammenfasst, was nötig ist, um die Versorgung zu verbessern. Sie wurde 2010 veröffentlicht und muss nun mit Leben gefüllt werden.

epd: Aber der Ruf nach einer guten palliativen Versorgung ist in den zurückliegenden Jahren doch schon viel lauter geworden?

Hans-Joachim Willenbrink: Stimmt. Auch das Interesse unter den Ärzten und den Pflegenden ist gestiegen, entsprechende Fort- und Weiterbildungen sind voll. Aber trotzdem ist beispielsweise die Rekrutierung von Fachpersonal noch ein großes Problem, bundesweit. Und gerade in den Kliniken muss noch viel passieren. Die Krankenhäuser sind, ich sag das mal provozierend, kein guter Ort zum Sterben. Jeder Patient wünscht sich doch, dass er auch dort in einem geschützten Rahmen unter Berücksichtigung psychosozialer Aspekte begleitet wird. Aber da fehlen Zeit, Geld und Personal, sprich es fehlt Raum zum Sterben.

epd: Gibt es Modelle, wie man dieses Problem angehen könnte?

Hans-Joachim Willenbrink: Wir versuchen das hier in Bremen im Klinikum Links der Weser mit palliativmedizinisch ausgebildeten Liaison-Schwestern voranzutreiben. Bei Bedarf besuchen sie alle Stationen im Krankenhaus und begleiten dort Patienten. Aber klar ist: Es muss ein inneres Bedürfnis aller Akteure sein, die Palliativmedizin in ihr Fachgebiet mit hineinzunehmen. Krankenhäuser sind dazu verdammt, Gewinnmaximierung zu betreiben. Da bleibt keine Zeit für einen Liaison-Dienst, der Geld kostet, für den Schwerstkranken aber ein unendlicher Gewinn ist. Gäbe es mehr Ressourcen, könnte auch sterbenskranken Menschen mit Suizid-Gedanken geholfen werden.

epd: Der Blick auf die Palliativmedizin ist also noch nicht Allgemeingut?

Hans-Joachim Willenbrink: Das passiert zu zögerlich. Der Druck muss steigen, den palliativen Gedanken in die Gesellschaft zu tragen. So, als ob jemand immerzu in eine Wunde tippt, ganz leicht. Irgendwann erträgt derjenige diesen Schmerz nicht mehr, dann wird auch die leichte Berührung zu einem Dauerschmerz und er ist bereit, das Problem grundlegend anzugehen. Ich will den Finger in die Wunde legen, das ist es, was ich mir zum Ziel gesetzt habe.

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