Startseite Archiv Tagesthema vom 02. März 2023

Zärtlich im Umgang mit Worten

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Die Frau im grünen Shirt hat lockiges, blondes Haar. Ihren Kaffee trinkt sie mit Hafermilch, die Lippen leuchten in einem dezenten, edlen Rot. Manchmal blitzt das Schwäbische durch, dann rutscht ein kleines „net“ durch. Es ist hörbar, dass Hildesheim, wo die evangelische Pastorin Birgit Mattausch lebt und arbeitet, 480 Kilometer von ihrer Heimat in der Nähe von Stuttgart entfernt ist. „Ist das verständlich?“, fragt sie immer wieder. Womöglich auch sich selbst. Denn sie geht mit Worten sehr vorsichtig, geradezu zärtlich um.

Mattausch, die kreatives Schreiben studiert hat und gern Texte zusammen mit anderen Kreativ-Absolventen verfasst, ist gewiss keine typische Theologin. „Ich bin net die Pastorin, die am Ende einen Segen spricht. Ich lerne eher“, sagt sie. In der hannoverschen Landeskirche übt sie ihren Beruf auf ungewöhnliche Weise aus und spricht genau damit Menschen an. Sie arbeitet als Referentin in der Literaturkirche St. Jakobi in Hildesheim, coacht dazu für die Landeskirche Predigerinnen und Prediger. Die gebürtige Schwäbin möchte vor allem „Botschafterin sein zwischen der kirchlichen Welt und der jungen, studentischen Literaturszene“.

Im Herbst 2023 erscheint im Klett Cotta Verlag ihr erster Roman. In dem Buch geht es um das Leben in einer Hochhaussiedlung, um Verzweiflung und Hoffnung. Es hat viel mit Erfahrungen zu tun, die Mattausch auf ihrer ersten Pfarrstelle gemacht hat. „Aber die Figuren darin sind fiktional“, sagt sie. Pastorin - das meint ursprünglich Hirtin, oft auch Leiterin einer Ortsgemeinde, nicht selten Fachkraft im Lebensberatungs-Business. Für die Romanautorin sind das schwer einzulösende Ansprüche. „Sakramentsverwaltung auf Lebenszeit“, zitiert sie den offiziellen Duktus ihrer Kirche und schluckt. „Das klingt schon krass.“

Wie soll eine Pastorin eigentlich sein? Was macht sie, was lässt sie? Und für wen ist sie da? Wer Birgit Mattausch trifft, wer sie hört und liest, bekommt eine Ahnung davon, dass all das keinesfalls endgültig definiert ist. Als sie ein Kind war, in einem kleinen Ort im Stuttgarter Speckgürtel, hat sie gelernt: Frauen studieren doch nicht Theologie! Und erst recht predigen sie nicht.

Inzwischen hat Mattauschs Stimme als @frauauge längst Gewicht bei Tausenden Menschen auf Instagram und vor ihrem Weggang von dort auch auf Twitter. Ihre Follower bekommen „Predigthilfe to go“, feministische User ergötzen sich an bissigen Kommentaren zu reinen Männerrunden. In einem Kalender zum Advent erschien Anfang Januar ein Text von ihr - prompt dankten ihr Dutzende User auf Twitter.

Über ihren Blog und Instagram, auf Seminaren und im Coaching steht sie im engen Austausch mit Menschen. Den Bezug zur Lebenswelt vieler Menschen herzustellen, fällt ihr überhaupt nicht schwer. Darüber, welche Netflix-Serien sehenswert sind, könnte Birgit Mattausch lange reden - und auch, wer beim Dschungelcamp auf dem Thron gelandet ist, interessiert sie brennend und ist Gegenstand einer Online-Andacht. „In einer Predigt habe ich relativ ausführlich über eine Depressionserkrankung gesprochen“, sagt sie. Hinterher seien sieben Menschen auf sie zugekommen. Alle hätten den Eindruck gehabt, sie habe ihnen aus der Seele gesprochen.

Aus ihrer Sicht müssten nicht alle Pastorinnen und Pastoren auf Social Media aktiv sein - und auch nicht alle vor Ort eine Gemeinde betreuen. „Nicht alle müssen diesen Beruf gleich ausfüllen“, sagt Mattausch. Sie selbst neige dazu, sich immer zuständig zu fühlen, sagt sie. Die Arbeit als Gemeindepastorin mit einer stets offenen Tür habe sie geradezu aufgefressen.

Alexander Nortrup (epd)

Erzählungen im Blog

Mattauschs Erzählungen handeln nicht selten vom Scheitern, von Verletzlichkeit und Ungewissheit. „Für das Christentum finde ich das massiv angemessen“, sagt sie. „Die Bibel ist schließlich voll von einem Gott, der kaputt und beschädigt ist. Die Bibel erzählt, dass selbst nach seiner Auferstehung seine Wunden nicht verschwunden waren.“

Auf Mattauschs Blog ist eine Weihnachtspredigt zu lesen. Sie erzählt darin eine überaus persönlich anmutende Geschichte von Engelsbesuchern, die in ihre Wohnung kommen und sie in ihrer ganzen Unzulänglichkeit antreffen. Es wird Rotz und Wasser geweint, gelacht und sich umarmt. Am Ende hält einer der Engel eine Art Ansprache: „Anscheinend hat irgendjemand zu dir gesagt, dass du nicht so wichtig bist. Und dass du alles alleine schaffen musst. Und siehe, ich verkündige dir große Freude: Das ist absoluter Bullshit. Du musst gar nichts alleine schaffen. Und du bist alle Liebe wert.“

Alexander Nortrup (epd)