Startseite Archiv Tagesthema vom 21. Dezember 2022

„Wenn ihr Lust habt, können wir jetzt den Salat anrichten“

Wie ein vegetarisches Weihnachtsmenü entsteht

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Ein Weihnachtsessen ganz ohne Fleisch – das ist der Plan bei einem Kochkurs in Hannover. Aus einem Nuss-Mix entsteht der pflanzliche Braten, aus einer Cashewkern-Basis die vegane Mousse au chocolat. Die Frage, wer tatsächlich so feiert, bleibt.

Hannover. Der erlösende Satz zum Weihnachtsmenü fällt um kurz nach 20 Uhr. „Wenn ihr Lust habt, können wir jetzt den Salat anrichten“, sagt Kursleiterin Cornelia Ermes, und alle Kochwütigen um sie herum atmen spürbar auf. Elf Frauen und ein Mann dürfen nun gleich essen, was sie in den vergangenen zwei Stunden in der Evangelischen Familien-Bildungsstätte Hannover mit viel Liebe und Mühe zubereitet haben. Sie haben gemeinsam Pilze geschnitten, Orangen filetiert und Nüsse aller Art zerkleinert. Sie haben geschmort, glasiert und gebacken. Ihr Ziel an diesem Abend im Advent mit Ökotrophologin Ermes: ein vegetarisches Weihnachtsmenü.

„Gutes Essen kann alles besser machen“, sagt die Frau, die seit 30 Jahren Kochkurse und Ernährungsberatung anbietet. Klappt das auch an Weihnachten mit vegetarischen und veganen Zutaten? „Ich war gerade mit meinem Mann in einem richtig guten Restaurant“, sagt Ermes. „Aber es hat mich enttäuscht, wie wenig kreativ da ein Gericht ohne Fleisch angeboten wurde.“

Kaum kreativ sind beim Weihnachtsessen laut einer repräsentativen Befragung für den Lebensmittelverband Deutschland auch die meisten Deutschen: Wie in den Vorjahren bleibt auch 2022 der Kartoffelsalat mit Würstchen an Heiligabend bei 29 Prozent der Befragten der Favorit. Es folgen Geflügel und Raclette mit jeweils 13 Prozent.

„Einfache Gerichte erlauben es eben, zwei schöne Dinge miteinander zu verbinden: Essen und Geschenke auspacken“, erläutert Professor Guido Fuchs, Leiter des Instituts für Liturgie- und Alltagskultur in Hildesheim. An den Feiertagen, an denen viele Familien gemeinsam festlich essen, wollen in diesem Jahr 41 Prozent der Befragten Geflügel zubereiten. 16 Prozent bevorzugen Rinder- oder Schweinebraten und zwölf Prozent Wild.

Alternativen zum traditionellen Weihnachtsessen wollen die zwölf Lernwilligen in der geräumigen Küche der Bildungsstätte entdecken. Auf den Arbeitsflächen liegen schon Rezeptzettel und Zutaten bereit – und dann geht es los: Es werden Messer geschwungen, Pfannen geschwenkt und Avocados fachgerecht zerlegt. Bald schon riecht es verlockend nach gerösteten Cashew-Kernen. Ein Duft, der den Abend nachhaltig prägen wird. Denn Nüsse sind eine wesentliche Zutat des vegetarischen Weihnachtsmenüs: Pinienkerne im Salat, Cashew-Kerne in der rein pflanzlichen Mousse au chocolat. Und auch die Hauptspeise beim vegetarischen Festtagsmenü, der Braten, besteht aus einem Nuss-Mix.

Beim Kneten des pflanzlichen Hauptgangs muss sich Uwe Voigt ordentlich ins Zeug legen. „Das ist echt harte Arbeit“, stöhnt der einzige Mann im Kurs. „Frikadellenteig ist dagegen leicht gemacht.“ Kursleiterin Cornelia Ermes schaut in die Kastenform, runzelt die Stirn und nimmt eine Schale Wasser zur Hilfe: „Schau mal, Uwe“, sagt sie. „Wenn Du es mit Wasser bestreichst und dann mit den Fingen ganz glatt drückst, kannst Du es hinterher wie einen Braten schneiden.“

Ganz ohne Fleisch leben – das könnte sich der Hobbybäcker (Lieblingsbrot: Walnuss) nicht vorstellen: „Ein Schnitzel schmeckt eben schon wie ein Schnitzel. Das kann man nicht ganz ersetzen.“ Seine Frau und er äßen schon deutlich weniger Fleisch als früher, sagt der 58-Jährige. Gemüse spiele immer mehr eine Hauptrolle auf ihrem Speiseplan. „Ich merke bloß: Dafür fehlen mir die Ideen. Die erhoffe ich mir von diesem Kurs.“

Die Erkenntnisse starten beim Salat, einer Kombination aus Radicchio und Chicorée, ergänzt durch ein cremiges „Käse-Nockerl“ aus Camembert und Sahne. Ergänzend bereiten Voigt und seine Mitköchinnen die Vorspeise auch in der rein pflanzlichen Variante mit Soja-Sahne und veganem Camembert zu. Nebenan bei Jessica Heilemann und Bettina Nebe entstehen in ausgelassener Stimmungslage Kürbis-Rosenkohl-Spieße.

Die Freude am vegetarischen Kochen ist spürbar in der Kochgruppe auf Zeit – aber die Statistik gibt den Trend zum pflanzlichen Menü nicht her: Laut Umfrage des Lebensmittelverbandes kochen 2022 nur vier Prozent der Befragten ein vegetarisches und nur ein Prozent ein veganes Hauptgericht zum Fest – jeweils ein Prozent weniger als 2020. Im Aufwind ist fleischfreie Ernährung damit zumindest an Weihnachten offenbar nicht.

„Ich koche zu Hause auch bislang schon viel mit Gemüse“, sagt Bettina Nebe, während sie abwechselnd Kürbis- und Rosenkohl-Stücke aufspießt. „Aber mein Sohn und mein Mann essen einfach gern Fleisch.“ Immerhin: Die 58-Jährige und ihr Mann werden in diesem Jahr am ersten Weihnachtsfeiertag die heimische Essenstradition – Wildschwein mit Rotkohl und Klößen – durchbrechen. Stattdessen brunchen die Nebes mit Obstsalat, Antipasti und einer Rote-Bete-Suppe.

Von kreativ angerichteten Tellern verputzen die Teilnehmenden am Ende des Abends in geselliger Runde das fleischfreie Menü. Und wieviel nimmt die ambitionierte Hobbyköchin Bettina Nebe für die Festtage mit? „Ich war schon mehrfach bei Kursen und kann einiges davon im Alltag umsetzen“, sagt sie. „Man kocht ja schließlich nicht nur an Weihnachten.“

Alexander Nortrup (epd)