Startseite Archiv Tagesthema vom 20. November 2022

Ein kleiner Funken der Ewigkeit

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Das neue Kirchenjahr wird in einer Woche am ersten Advent beginnen. Ewigkeitssonntag heißt der letzte Sonntag im alten Kirchenjahr. Am 1. und am 2. November sind viele auf den Friedhof gegangen, den einst nahen und immer noch geliebten Verstorbenen einen Besuch abzustatten. Viele haben ein Licht dort aufgestellt.

Wie eine Mahnung zur Wachsamkeit will es scheinen: Vergesst nicht die, die gegangen sind. Vergesst nicht, dass auch eure Lebenszeit nur geliehen ist. Es kommt auf das Heute an, auf eure Entscheidungen im Jetzt und Hier. Besonders in Krisenzeiten bestimmen sie, ob es ein gutes Ende nehmen wird mit der Welt und uns.

Erfinden wir uns also neu. Beginnen wir im Heute zu leben, Lebende mit den Toten.

Ziehen wir aus bis zum Horizont. Erwarten wir alles, erwarten wir Gott.

Das ist die Bedeutung jüdischer Grabsteine: dass die Verstorbenen nun mit Gott unter einem Dach leben. Das ist wohl Seligkeit, den letzten Horizont noch zu überschreiten.

Himmel und Erde werden vergehen, heißt es im Predigttext, aber nicht diese liebe- und gnadenvolle Zusage Gottes.

Wir wollen wachsam sein und keine Chance verpassen auf ein besseres Leben, auf eine bessere Welt. Ausschau halten danach, wie wir miteinander gerechter umgehen und friedlich leben können. Wie wir die Schöpfung als Gottes Abbilder nutzen und pflegen und nicht vor lauter Gier zu Grunde richten.

Wir wollen wachsam sein und unsere Lieben weiter lieben und mehr. Wir wollen Lust haben aufeinander und auf das Leben. Ein kleiner Funken der Ewigkeit und Seligkeit soll unsere Sehnsucht stillen.

Diese Sehnsucht, diese durch keinen Zweifel zu besiegende Hoffnung – wer nicht an ihre Erfüllung glauben kann und mag, dem bleibt doch, sie zu verdichten.

So hat es Friedrich Nietzsche gemacht unter dem Titel ALLE LUST WILL EWIGKEIT:

O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
"Ich schlief, ich schlief –,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh –,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit –,
– will tiefe, tiefe Ewigkeit!"


Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra (1883-1891)

Wäre das nicht wundervoll, wenn wir das neue Kirchenjahr damit beginnen, diese Sehnsucht wachzuhalten, ihrer Spur zu folgen bis zum Ende des Horizonts. Wo wir die Liebe treffen und einander, Tote und Lebende unter Gottes Dach. Wäre das nicht wundervoll, eine Ahnung dieser Schönheit und Wahrheit schon in diese Welt zutragen – dann wird es ein gutes Ende nehmen mit ihr und mit uns.

Amen – das sei gewisslich wahr.

Sybille C. Fritsch-Oppermann

Predigttext

An dem Feigenbaum aber lernt ein Gleichnis: Wenn seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, so wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Ebenso auch, wenn ihr seht, dass dies geschieht, so wisst, dass er nahe vor der Tür ist. Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht. Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.

Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Es ist wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er sollte wachen: So wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!

Markus 13, 28–37

Die Autorin