Startseite Archiv Tagesthema vom 27. Juni 2022

Kultur und Kirchen

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Wenn wir uns die Kultur in den Kirchengemeinden – in der Stadt und auf dem Land – wegdenken würden, wäre das eigentlich ein Verlust für die Menschen, die dort leben? Ja, sagt Pastor Thies Jarecki. Denn die Eystruper Kirche in der Samtgemeinde Nienburg ist ein gutes Beispiel dafür, was Kirche ohne Kultur für ländliche Ecken wie Eystrup bedeuten würde: Totenstille auf dem Friedhof des 3500-Seelen-Dorfs. 
Es gäbe weder Kunstausstellungen in dem beeindruckenden Mausoleum im Garten Gethsemane, noch Musikabende, bei denen Künstler ihr Publikum in der Kulturkirche mit außergewöhnlichen Klängen in ihren Bann ziehen. 
Aber könnten die Kommunen diese kulturellen Angebote, die Kirche in der ländlichen Idylle macht, nicht einfach ersetzen? „Nein, denn hier in auf dem Land gibt es zwar ambitionierte Heimatvereine, die spannende Veranstaltungen auf die Beine stellen, aber ohne lebendige Kunst auf unserem Friedhof und im Mausoleum würde den Menschen hier in der Umgebung definitiv etwas fehlen“, sagt Thies Jarecki, seit zehn Jahren Pastor in Eystrup, ganz selbstbewusst. Er sieht es als Aufgabe seiner Gemeinde, den Friedhof in Zeiten einer veränderten Friedhofskultur als öffentlichen Raum lebens- und liebenswert zu bespielen.

Auch in diesem Jahr fördert die Hanns-Lilje-Stiftung in Zusammenarbeit mit der hannoverschen Landeskirche aus dem „Fond Kulturarbeit in Kirchen – Kulturkirchen“ wieder bis zu zwölf Projekte von Kirchengemeinden, Kirchenkreisen und kirchlichen Einrichtungen.  Jeweils bis zu 8.000 Euro stehen für jedes Projekt, in dem zeitgenössische Kunst und Kultur mit Kirche und Theologie in einen Dialog tritt und dadurch in die Gesellschaft ausstrahlt, zur Verfügung.

„Kultur kann Kirche nicht ersetzen, aber Kirche kommt nicht ohne Kultur aus“, sagt Prof. Dr. Christoph Dahling-Sander, Geschäftsführer der Hanns-Lilje-Stiftung. Beim Kirchenvorstand habe die Idee, die Eystruper Kirche als Ort der Kultur zu etablieren, nicht nur zu Begeisterungstürmen geführt. Wohl auch, weil buntes Leben auf dem Friedhof für viele Dorfbewohner noch immer mit einer gewissen Provokation verbunden ist. „Doch ein Friedhof ist nicht nur ein Ort, an dem die Menschen trauern und eine Grabstelle haken, sondern öffentlicher Raum, der sich mit dem nötigen Feingefühl für die Gemeinschaft öffnen lässt.“

Thies Jarecki hat sich nicht beirren lassen und sorgt mit seinen Veranstaltungen mittlerweile dafür, dass Eystrup mit seinem Kulturangebot weit über den Ort und die Gemeinde hinaus strahlt. „So viele Menschen haben unsere Kirche für sich als Kulturort entdeckt, ebenso die Künstler, die hier ganz neue Erfahrungen machen und sich ein Netzwerk aufgebaut haben“, sagt Thies Jarecki. 
Angefangen hat alles mit dem Kulturkirchenprojekt Wachstum. Mit goldgelbem Wachs, das sich von den Innenwänden des achteckigen Turms bis in die Zwickel der Bögen zieht, hat der Künstler Henning Diers 2020 Licht und Wärme in den einst trostlosen Raum des Eystruper Mausoleums gebracht. Dort versammeln sich nach wie vor Trauergesellschaften, um sich von ihren aufgebahrten Verstorbenen zu verabschieden. Aber in einer besonderen Atmosphäre, die auch ganz wunderbar als Kulisse für Lesungen und Musikveranstaltungen funktioniert. 

Im vergangenen Jahr hat die Bildhauerin Ulrike Gölner auf dem Friedhof mit der Kettensäge Holzskulpturen erschaffen. Sechs Monate hatte die Ausstellung geöffnet und viele hundert Besucher angelockt. Und begeistert, denn eine der Eichenstelen konnte die Gemeinde aus Spendengeldern anschaffen, sie soll den Platz vor dem Mausoleum schmücken. 
Ohne finanzielle Unterstützung der Kulturkirchenförderung der Hanns-Lilje-Stiftung und der Evangelischen Landeskirche Hannovers hätte sich das Projekt nicht umsetzen lassen. „Wenn die Kirche für Kunst kein Geld zur Verfügung stellen könnte, würde unserer Gemeinde, unserem Friedhof, etwas ganz Wesentliches fehlen: die lebendigen Irritationen.“ Und nicht zuletzt die Motivation, immer wieder Neues anzuschieben. Für die Menschen, die in und um Eystrup leben.

Auch die Ev.-luth. Pauluskirche Bremerhaven ist Kulturkirche, für die Silke Mohrhoff als Leiterin ganz individuelle Veranstaltungen entwickelt. Die Bandbreite ist so vielseitig wie Kunst und Kirche selbst: Es gibt Tango-Tanz-Konzert-Gottesdienste, Poetry Slam zu Bibeltexten, Installationen im Kirchturm und Impro-Gottesdienste. Mit der Kulturkirche Bremerhaven öffnet „Kirche“ also eine Tür nach außen, die noch ungewöhnlich ist, in der Seestadt aber zu manchen Veranstaltungen bis zu 600 Besucher anzieht. 
„Unser Ziel ist ja, mit Ausstellungen, Kulturgottesdiensten und Konzerten möglichst viele Menschen zu inspirieren, in die Kirche zu kommen“, sagt Silke Mohrhoff. „Wir wollen, dass Kirche wie selbstverständlich zum Alltag dazugehört.“ 

Die St. Johannis-Gemeinde in Buchholz erreicht mit ihren Veranstaltungen und Projekten, die an fast jedem Wochenende stattfinden, ebenfalls immer mehr Menschen aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Neben der unmittelbaren Gemeinde und Buchholz selbst auch den Kirchenkreis Hitfeld an der Grenze nach Hamburg. Und nicht zuletzt Touristen, die die Lüneburger Heide erkunden. Aber was macht Musik, Kunst und Kultur hier so besonders? In der Kulturkirche Buchholz ist es die hervorragende Akustik des Kirchenraumes, der bei Kulturveranstaltungen anders wahrgenommen wird als bei Gottesdiensten. Die Menschen kommen miteinander ins Gespräch und oftmals sind es erste oder aber ganz neue Berührungspunkte mit Kirche. Ein weiteres Beispiel dafür, dass Kirche mehr als nur Gottesdienste zu bieten hat, liefert St. Jakobi in Hildesheim. Die Kirche, die seit 2014 als Kulturkirche ausgezeichnet wurde, sieht sich selbst als Zwischenraum und Impulsort sowie eine Stätte, in der Alltagsreisende, Heimatlose, Kreative und Geschichtenliebhaber Rast machen. Im Literaturhaus der mehr als 500 Jahre alten Pilgerkirche mitten in der Hildesheimer Fußgängerzone sprechen geschichtsreiche Buchkunst und Neue Medien miteinander. Eine Vielzahl von Schriftstellern und Künstlern haben hier Station gemacht, darunter Doris Dörrie, Navis Kermani, Cornelia Funke, Ulrich Noethen oder Peter Lohmeyer. 

Tanja Niestroj / EMA