Startseite Archiv Tagesthema vom 19. Juni 2022

Das Weite suchen

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Jona und der Wal. Das kennt fast jedes Kind.

Jona ist aber nicht nur der mit dem Wal, er ist auch der Prophet, der das Weite sucht. Als Gott ihm den Auftrag gibt, nach Ninive zu gehen, macht Jona sich aus dem Staub. Rennt zum Hafen, steigt auf ein Schiff. Nur weg von hier, von Gott und seinem Auftrag. Jona sucht das Weite – und Gott hält an ihm fest.

Das Weite suchen. Abtauchen, nicht Augen zu und durch, sondern am liebsten so wie Jona Augen zu und alles verschlafen. Hoffen, dass es vorbeigeht: Der Streit oder die Durststrecke, die lähmende Einsamkeit oder Überforderung. Aber das Weite ist selten weit genug: Jona sucht das Weite in der Tiefe des Meeres und lässt sich lieber ins brausende Meer werfen als den Auftrag anzunehmen. Aber Gott hält an ihm fest.

Ausgerechnet in der tiefsten Tiefe des Meeres, im stinkenden, finsteren, lärmenden Bauch des Wals fängt Jona an hinzuhören. Im Ringen mit sich selbst und Gott öffnet sich ein neuer Weg und Jona schlägt eine andere Richtung ein. Gott ist dabei.

Also: Alles auf Anfang. Der Fisch spuckt Jona an Land. Noch mal der Auftrag: Geh nach Ninive. Gott bleibt an Jona dran. Diesmal geht Jona los.

Ich kann mir das vorstellen: dieses Gefühl, vom Wal ausgekotzt zu sein. Nass und dreckig im Sand zu liegen. Wenn ich das Weite gesucht und nicht gefunden habe.

Weil das Weite selten weit genug ist. Ans Land, ins Leben gespuckt, muss ich mich aufrütteln, den Sand von den Kleidern schütteln und wieder losgehen. So ausgespuckt am Strand muss ich mich erstmal neu orientieren. Langsam einen Schritt vor den nächsten setzen. Es ist nicht alles anders und wunderbar. Ich bin ja auch nicht neu. Aber ich drehe mich um und schlage eine andere Richtung ein. Hinkend, humpelnd, manchmal zögerlich. Suche nicht das Weite, sondern finde neue Nähe: Im Hinhören und hinsehen – auf andere, auf Gott und mich selber.

Gott bleibt dran an Jona, später auch an Ninive. Und ich vertraue darauf: Gott bleibt auch an mir dran. Geht mir hinterher, wenn ich das Weite suche und in die falsche Richtung renne. Lässt mich nicht los, wenn ich in die Tiefe stürze. Gott bleibt dran an mir und all den anderen, mit denen er auf dem Weg war und ist und von denen fast nie einer den direkten Weg genommen haben. Gott hält uns fest – auch in der weitesten und tiefsten Weite. Gott sei Dank!

Amen.

Dr. Dorothea Noordveld-Lorenz

Der Text zur Andacht

Es geschah das Wort des HERRN zu Jona, dem Sohn Amittais: Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen. Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem HERRN nach Tarsis fliehen und kam hinab nach Jafo. Und als er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat hinein, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren, weit weg vom HERRN. Da ließ der HERR einen großen Wind aufs Meer kommen, und es erhob sich ein großes Ungewitter auf dem Meer, dass man meinte, das Schiff würde zerbrechen. Und die Schiffsleute fürchteten sich und schrien, ein jeder zu seinem Gott, und warfen die Ladung, die im Schiff war, ins Meer, dass es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief. Da trat zu ihm der Schiffsherr und sprach zu ihm: Was schläfst du? Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird dieser Gott an uns gedenken, dass wir nicht verderben. Und einer sprach zum andern: Kommt, wir wollen losen, dass wir erfahren, um wessentwillen es uns so übel geht. Und als sie losten, traf's Jona. Da sprachen sie zu ihm: Sage uns, um wessentwillen es uns so übel geht? Was ist dein Gewerbe, und wo kommst du her? Aus welchem Lande bist du, und von welchem Volk bist du? Er sprach zu ihnen: Ich bin ein Hebräer und fürchte den HERRN, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat. Da fürchteten sich die Leute sehr und sprachen zu ihm: Was hast du da getan? Denn sie wussten, dass er vor dem HERRN floh; denn er hatte es ihnen gesagt. Da sprachen sie zu ihm: Was sollen wir denn mit dir tun, dass das Meer stille werde und von uns ablasse? Denn das Meer ging immer ungestümer. Er sprach zu ihnen: Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass um meinetwillen dies große Ungewitter über euch gekommen ist. Doch die Leute ruderten, dass sie wieder ans Land kämen; aber sie konnten nicht, denn das Meer ging immer ungestümer gegen sie an. Da riefen sie zu dem HERRN und sprachen: Ach, HERR, lass uns nicht verderben um des Lebens dieses Mannes willen und rechne uns nicht unschuldiges Blut zu; denn du, HERR, tust, wie dir's gefällt. Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer. Da wurde das Meer still und ließ ab von seinem Wüten. Und die Leute fürchteten den HERRN sehr und brachten dem HERRN Opfer dar und taten Gelübde. Aber der HERR ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. Und Jona betete zu dem HERRN, seinem Gott, im Leibe des Fisches und sprach: Ich rief zu dem HERRN in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme. Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen. Wasser umgaben mich bis an die Kehle, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt. Ich sank hinunter zu der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich. Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, HERR, mein Gott! Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den HERRN, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel. Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade. Ich aber will mit Dank dir Opfer bringen. Meine Gelübde will ich erfüllen. Hilfe ist bei dem HERRN. Und der HERR sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.

Jona 1-2

Dr. Dorothea Noordveld-Lorenz ist Pastorin der Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Johannis in Lüneburg.