Startseite Archiv Tagesthema vom 26. Mai 2022

„Väter wollen mehr Verantwortung tragen“

Interview mit dem Sozialpsychologen und Psychotherapeuten Axel Gerland

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Spätestens seit der Einführung von Elternzeit und -geld wird über die neuen Väter diskutiert. Anders als vor einigen Jahrzehnten wickeln und füttern sie ihre Kinder, tragen das Baby vor dem Bauch und sitzen auf dem Spielplatz. Trotzdem richten sich Hilfsangebote zur Unterstützung der Kindererziehung vor allem an Mütter. Dabei beobachten Lebensberatungsstellen längst, dass es viel häufiger die Väter sind, die Antworten von Experten suchen, wie Axel Gerland im Interview berichtet. Der Sozialpsychologe und Psychotherapeut hat viele Jahre das Evangelische Beratungszentrum in der Oskar-Winter-Straße in Hannover geleitet.

Herr Gerland, Sie haben in Hannover 28 Jahre lang Paare und Eltern beraten. Was macht die neuen Väter eigentlich aus?

Axel Gerland: Es gibt heute nicht mehr „den Vater“, genauso wie es nicht mehr „die Mutter“ gibt.  Insbesondere seit den 70er Jahren verändert die Pluralität der Lebensstile mit den unterschiedlichen Familienformen das traditionelle Vaterbild. Der befehlende Vater weicht dem mehr verhandelnden Vater, der seinen Kindern mehr Zugeständnisse und Freiheiten gewährt und weniger Unterordnung und Anpassung fordert. Gleichzeitig verändert sich der Selbstanspruch der Väter. Nach der Einschätzung von Professor Johannes Huber von der Uni Rosenheim, einem wichtigen Experten im Bereich der Väterforschung, gibt es eine stärkere Kind-Zentrierung im Selbstbild der Väter. Sie haben den Wunsch, möglichst viel Zeit mit ihrem Kind zu verbringen, mehr in der Erziehung beteiligt zu sein und auch mehr Verantwortung zu tragen.

Wie wichtig ist den jungen Vätern die Gleichberechtigung in der Partnerschaft? Machen ein paar Monate Elternzeit einen „neuen“ Vater aus?

Gerland: Moderne Partnerschaften sind Beziehungen, in denen sich beide Partner als gleichrangig fühlen. In der heutigen Zeit sind oft beide für das Familieneinkommen zuständig und teilen, wenn auch in unterschiedlichen Quoten, Hausarbeit und Erziehungszeiten. Es gibt mittlerweile viele Väter, die Elternzeit nehmen. Auch wenn es nur ein paar Monate sind, verändern diese Erfahrungen die Wahrnehmungen und Haltungen der Väter ihren Kindern gegenüber. Laut dem Väterreport des Familienministeriums 2021 möchten 55 Prozent der Väter die Hälfte der Kinderbetreuung übernehmen. Allerdings gibt es zwischen Wunsch und Wirklichkeit eine Diskrepanz. So übernehmen nur 17 Prozent etwa den gleichen Anteil an der Kinderbetreuung. Das liegt auch an strukturellen Arbeitsbedingungen – und aus Beratungsgesprächen wissen wir, dass auch der Unterschied im Verdienst zwischen Mann und Frau eine Rolle spielt.

Hilfsangebote bei Problemen in der Familie sind vorrangig auf die primäre Bezugsperson zugeschnitten, in der Regel die Mutter. Warum geraten die Väter so leicht aus dem Blickfeld?

Gerland: Das sind oft auch gewohnte Perspektiven, die Mütter bei den Erziehungsaufgaben im Vordergrund sehen. Auch in den Gruppen der sozialen Unterstützungssysteme, wie etwa im „Verband alleinerziehender Mütter und Väter“ (VAMV), sind fast ausschließlich Mütter präsent. Die gesuchte Solidarität untereinander spielt dabei eine Rolle und auch, dass Väter als Männer generell weniger Hilfe in Anspruch nehmen. Allerdings zeigt sich ein deutlicher Trend in den Beratungsstellen, dass vermehrt Männer auch die Erziehungsberatung in Anspruch nehmen. Oft ist das nach einer Trennung oder Scheidung oder wenn es die Empfehlung von Seiten der Kita oder Schule gibt. Diejenigen, die dann die professionelle Hilfe bekommen, haben das auch als eine gute Unterstützung wahrgenommen.

Wo ergeben sich bei Ihnen Ansatzpunkte für Väterarbeit? Gibt es Beispiele aus der Praxis?

Gerland: Es beginnt schon mit dem gemeinsamen Besuch eines Geburtsvorbereitungskurses und der Begleitung der Frau bei der Geburt. Über die Schwangerenberatungen erreichen wir manches Mal auch die werdenden Väter und bieten ihnen nach der Geburt ihres Kindes Unterstützung in Form von Beratung an. Durch Ratgeberliteratur und Angebote spezieller Familienfreizeiten für Väter können wir die Vater-Kind Beziehung stärken. Die Familienbildungsstätten leisten hier gute Arbeit und kooperieren mit den Beratungsstellen bei der Entwicklung gemeinsamer Angebote. Ein weiterer Ansatzpunkt ist, nach einer Trennung Väter dabei zu unterstützen, ihre elterliche Verantwortung weiterhin wahrzunehmen, sie dafür zu sensibilisieren, wie wichtig eine Kontinuität in der Beziehung zum Kind, zu den Kindern ist.

In der Beratungsstelle hatten Sie viel mit dem Thema Trennung und Scheidung zu tun. Mit welchen Fragen kommen die Väter zu Ihnen?

Gerland: Viele Väter haben die Befürchtung, den Kontakt zu ihrem Kind zu verlieren. Gerade wenn es ums Sorgerecht, Umgangsregelungen oder auch Unterhaltsfragen geht, wird manchmal ein Kampf ums Kind geführt. Ein wichtiger Schritt ist zunächst zu akzeptieren, dass die Ehe- oder Paarbeziehung definitiv beendet ist. Das ist mit Trauer, Wut, aber auch Hoffnung verbunden. In der psychologischen Beratung helfen wir dem Einzelnem, sich mit den Folgen auseinanderzusetzen. Die Elternschaft hingegen besteht ein Leben lang und hier gilt es weiterhin ein Bewusstsein dafür zu erhalten, die Verantwortung möglichst gemeinsam zu tragen. Entsprechend bieten wir in den Beratungsstellen Trennungs- und Scheidungsmediation an, um Eltern darin zu unterstützen, einvernehmliche Regelungen zu finden: Wo hat das Kind seinen Lebensmittelpunkt und wie wird der Kontakt zum anderen Elternteil geregelt? Kindliche Bedürfnisse nach möglichst viel Zeit mit beiden Elternteilen müssen mit den elterlichen Möglichkeiten abgestimmt werden.

Wie unterstützen Sie Männer dabei, die Kinder im Fall einer Trennung nicht aus dem Blick zu verlieren und ihre Rolle weiterhin verantwortungsbewusst auszufüllen?

Gerland: Meistens besteht der Wunsch, die Beziehung zum Kind, den Kindern, möglichst unverändert zu erhalten. Das ist natürlich bei getrennten Wohnungen schwer möglich und Kinder pendeln dann oft zwischen den Haushalten, was auch für sie anstrengend sein kann. Wir fragen etwa in den Beratungen die Väter: „Was braucht ihr Kind von Ihnen als Vater jetzt in dieser Zeit besonders?“, und bitten sie zur Beantwortung nach Möglichkeit die Perspektive des Kindes einzunehmen. Auch Fragen wie: „Woran könnte Ihr Kind merken, dass Sie ein guter Vater sind?“, tragen dazu bei, kindliche Wünsche und Bedürfnisse zu erkunden. Für Kinder ist es weiterhin wichtig, auch die väterliche Liebe, die Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren. Väter, die als Kind selbst eine Trennung erlebt haben, können sich oft noch daran erinnern, was sie gebraucht hätten an Unterstützung und Zuwendung. Auch das kann helfen: in der Beratung den Blick auf die eigenen Erfahrungen, die eigene Biographie zu richten.

Tanja Niestroj / EMA

Zur Person

Axel Gerland ist Sozialpsychologe M.A., Psychologischer Psychotherapeut, Systemischer Therapeut, Fachberatung und Fortbildungsreferent in der Hauptstelle für Lebensberatung der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers sowie langjähriger Mitarbeiter und Leiter des Evangelischen Beratungszentrums in der Oskar-Winter-Straße in Hannover.