Startseite Archiv Tagesthema vom 01. Mai 2022

Tafeln am Limit: Ein Besuch zum 1. Mai

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Wieviel bleibt für die, die nicht einmal das Nötigste haben? Der Andrang an den Lebensmittelausgaben der Tafeln wird durch die Zuwanderung ukrainischer Geflüchteter immer größer, gleichzeitig werden durch steigende Kosten die Lieferungen von Supermärkten und Discountern immer kleiner. Auch kirchliche Träger vermitteln Bedürftigen vielerorts bei Tafeln kostenlose Nahrung - wir haben zum Maifeiertag, an dem es auch um das solidarische Miteinander gehen soll, einmal genauer hingeschaut.

"Wir verzeichnen in den vergangenen drei Wochen einen Zuwachs von rund 200 Kunden pro Woche", rechnet etwa Jutta Holtmann, Vorsitzende der Langenhagener Tafel e.V., vor. Statt bislang 650 Tüten befüllen die ehrenamtlichen Helfer derzeit 850 Einkaufstaschen mit Obst und Gemüse, Milchprodukten, Brot und Konserven. Das Quartier- und Gemeinwesenzentrum in den Räumen der Kirchengemeinde "Zum guten Hirten" im Langenhagener Ortsteil Godshorn ist nur eine von 15 Ausgabestellen. 

Auch die Langenhagener Tafel steckt in einem Dilemma, denn sie hat sich auf die Fahnen geschrieben, allen bedürftigen Menschen zu helfen. Das wird allerdings von Tag zu Tag schwieriger.

Einen Euro zahlen "Bedarfsgemeinschaften" pro Besuch bei der Tafel. Um den Bedürftigen, davon zahlreiche aus der Ukraine stammende Frauen mit Kindern, möglichst viele Lebensmittel mitgeben zu können, zeigen die rund 100 ehrenamtlichen Helfer noch mehr Einsatz als ohnehin schon. Und gehen mit ihrem ehrenamtlichen Engagement bis an ihre Grenzen.

"Die Lebensmittellieferungen werden kleiner und als Tafel stehen wir ganz am Ende der Kette", sagt Jutta Holtmann. Um die steigende Nachfrage dennoch befriedigen zu können, fahren die Helfer mehr Supermärkte und Discounter als bislang an. "Dennoch: Die Grundversorgung der bedürftigen Menschen können wir nicht leisten, wir unterstützen nur", erklärt Holtmann.

Vom Staat und den Kommunen könne man als Tafel keine Unterstützung erwarten, sagt sie: "Wir sind auf private Spenden angewiesen und sehr glücklich, dass Supermärkte aus der Umgebung für uns Konserven sammeln oder wir von Serviceorganisationen wie Rotary und Inner Wheel unterstützt werden."

Dass die Anzahl der Tafelbesucher in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen ist, bestätigt auch Michael Glawion, Pastor der Ev.-luth. St. Petri-Kirchengemeinde Buxtehude. Konkrete Zahlen liegen ihm nicht vor, denn viele Geflüchtete, so der Pastor, kämen ohne Meldebescheid, würden aber dennoch mit Lebensmitteln versorgt - so gut es eben geht.

"Unser Dilemma ist, dass die meisten Supermärkte Kunden aufrufen, Waren in eine Transportkiste zu spenden und bringen die Lebensmittel dann direkt in die Ukraine – und diese Nahrungsmittel fehlen jetzt natürlich den Tafeln vor Ort", sagt der Pastor. In den Märkten selbst sei vor allem der "Überschuss" an Obst und Gemüse deutlich geschrumpft. "Die Märkte kalkulieren knapper, weil mit der wachsenden Inflation nicht nur die Verkaufspreise, sondern auch die Einkaufspreise gewaltig steigen."
 

Umso glücklicher macht Michael Glawion, dass Landwirte aus der Region immer wieder eigene Erzeugnisse an die Buxtehuder Tafel spenden. Auch finanzielle Unterstützung erfährt die Gemeinde gelegentlich. "Das Geld hilft zwar auch, entspricht aber nicht dem Tafelgedanken", so der Pastor. Damit könne die Tafel aber zumindest die steigenden Kosten, die durch den großen Ansturm entstehen - höhere Spritpreise, größerer Reinigungsaufwand und Absperrbänder, um die Wartenden zu organisieren - auffangen.

"Die ehrenamtlichen Mitarbeiter kommunizieren deutlich, dass sie einer größeren Belastung ausgesetzt sind", sagt Michael Glawion. "Wenn sie bis vor zwei Monaten täglich zehn bis 15 Kisten gepackt haben, sind es jetzt zwischen 30 und 40. Auch die Fahrer versuchen, mehr Supermärkte als bislang anzusteuern, um an Lebensmittel zu kommen."

Hinzu kämen Sprachbarrieren, die sich vor allem in den Ausgabestellen bemerkbar machen: "Die Flüchtlinge werden oftmals von den Kommunen zu uns geschickt. Aber wir sind keine Armenversorgung. Und die Tafel kann nur geben, was da ist." So entstehe häufig Missmut und bei den Menschen aus der Ukraine Unverständnis, weil sie annähmen, bei der Tafel handele es sich um eine staatliche Ausgabestelle. "Das ist für alle Beteiligten eine Belastung", sagt Glawion.

Nun blicke man "ein bisschen ängstlich" in die Sommerzeit, sagt der Pastor: "Viele unserer Helfer sind bereits im Rentenalter. Diese Altersgruppe setzt sich zwischen Mai und September auch gern in den Camper und ist einige Monate auf Achse."

Am Ende ist in Langenhagen, Buxtehude und anderswo den Beteiligten aber jeder Aufwand recht, solange damit Bedürftigen geholfen wird. Und das zumindest ist angesichts so vieler Herausforderungen doch eine gute Nachricht.

Tanja Niestroj / Themenraum

Der Tag der Arbeit - auch ein Tag der sozialen Not?

Die Landesarmutskonferenz Niedersachsen weist zum 1. Mai darauf hin, dass der klassische "Tag der Arbeit" auch zu einem "Tag von Armut trotz Arbeit" geworden ist. Viele Bereiche des Lebens hätten sich durch Krisen wie Corona, Krieg, Flucht, Klimawandel, Inflation in kurzer Zeit tiefgreifend verändert, sagte Sprecher Lars Niggemeyer. Der sozialökologische Umbau von Arbeitswelt und Gesellschaft könne nur gelingen, wenn auch Verlierer dieses Wandels mitgenommen werden.

Deutschland habe einen der größten Niedriglohnsektoren Europas, betonte Niggemeyer. Rund 20 Prozent der Beschäftigten seien in diesem Bereich tätig und könnten auch nach jahrelangem wirtschaftlichem Aufschwung nicht von ihrer Arbeit leben. Daher sei eine Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro dringend nötig.
Zudem habe sich die Lage im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit weiter zugespitzt. Im Jahresdurchschnitt 2021 seien 1,03 Millionen Menschen langzeitarbeitslos gewesen. Das seien 210.000 mehr als im Jahr 2020 und sogar 300.000 mehr als im Jahresdurchschnitt 2019 gewesen. Auf der anderen Seite stünden Milliarden-Gewinne multinationaler Konzerne, die sich zunehmend ihrem Anteil an einer gerechten Finanzierung des Gemeinwohls entzögen.

Der Reichtum der Profiteure sei die Armut ihrer Beschäftigten, betonte Niggemeyer. „Der Satz 'Sozial ist, was Arbeit schafft' ist falsch. Richtig ist 'Sozial ist, was menschenwürdige und existenzsichernde Arbeit schafft'. Das wirkt auch der wachsenden Spaltung unserer Gesellschaft entgegen."

epd