Startseite Archiv Nachricht vom 01. September 2021

"Weil ich ganz viele positive Gefühle zurückbekomme"

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Manchmal fragt sich Marion Bernstorf, seit neun Jahren Vorsitzende des Kirchenvorstandes in Brelingen, schon, warum sie das eigentlich alles macht. Die ganze Schreibtischarbeit: Kostenvoranschläge einholen, über Finanzplänen brüten, in unzähligen Online-Sitzungen mit den anderen Kirchenvorstehenden diskutieren. Und das alles ehrenamtlich. Aber: Da ist andererseits auch das Glück, wenn etwas geklappt hat: die Pfarrsekretärinnen-Stelle neu besetzt ist, eine Baumaßnahme abgeschlossen oder Verträge von Mitarbeitenden verlängert sind. „Und natürlich die Seeligkeit der Menschen, die ich treffe, ihre Erlebnisse und die guten Gespräche mit ihnen“, ergänzt die 62-Jährige. „Das sind Augenblicke, in denen ich merke: Das tut mir gut. Ich nehme das Glück, das ich sehe und höre, mit und dann komme ich nach Hause und sage zu meinem Mann: Das ist das Schöne am Kirchenvorstand und in der Gemeinde.“ Und ihr Lächeln, als sie das sagt, ist selbst ein seeliges.
Seit 15 Jahren ist Marion Bernstorf im Vorstand der St. Martini-Gemeinde in Brelingen, ein Stück nördlich von Hannover in der Wedemark. Eigentlich hatte die gelernte Erzieherin nach der Geburt ihres ersten Sohnes nur einen Spielkreis gründen wollen. Doch aus einer Gruppe wurden drei und irgendwann fragte der damalige Pastor: „Sie machen hier so viel – wollen Sie nicht in den Kirchenvorstand kommen?“ Heute kann sie sich kaum ein schöneres Ehrenamt vorstellen – trotz oder auch wegen der vielen Verantwortung.


„Man muss sich vor Augen führen: Der Kirchenvorstand leitet gemeinsam mit den Pastoren die Gemeinde. Alle Anschaffungen, Reparaturen, Personalfragen entscheidet der Kirchenvorstand. Pastor oder Pastorin haben dabei ein Stimmrecht, aber nicht mehr.“ In Brelingen läuft das Zusammenspiel zwischen Vorstand und Pastorin sehr harmonisch – Marion Bernstorf hat „ihre“ Pastorin Debora Becker zum Interview mit eingeladen. „Wir haben nicht immer die gleiche Meinung, aber wir haben ein sehr vertrauensvolles Verhältnis“, sagt Bernstorf. Die Pastorin nickt: „Gerade, als ich hier anfing, war sie eine große Hilfe – Marion wusste einfach alles und kannte viele Leute. Es ist beeindruckend, was sie ehrenamtlich leistet. Das ist viel Arbeit, die der Gemeinde zugutekommt. Das wird im Dorf auch so wahrgenommen, es gibt immer wieder positive Reaktionen auf das, was wir tun. Den Weihnachtsmarkt zum Beispiel.“ 

Der ist Marion und Friedrich Bernstorfs Herzenssache: „Angefangen haben mein Mann und ich mit dem Team der Kita hier vor 37 Jahren mit vier Buden und manche haben gesagt: Das lohnt sich doch nicht. Aber es kamen Besucher und nach und nach wurden es immer mehr Stände – zuletzt waren wir bei 46 Stück und bis zu 2.000 Besuchenden – das ist doch klasse!“
Ein anderes Beispiel: der Bouleplatz neben der Kirche. „Den haben wir zusammen mit der Dorfgemeinschaft, also den Vereinen hier im Ort, gebaut; ein richtiges Gemeinschaftsding.“ Projekte wie das auf den ersten Blick unscheinbare Schotter-Rechteck neben der Kirche ist auch ihre Antwort auf den Rückgang der Kirchenmitgliedszahlen. „Wenn ich die Austrittszahlen sehe, wird mir manchmal angst und bange. Dann denke ich manchmal, wie es weitergehen soll. Es gibt keine Lösung, die man einfach aus der Schublade ziehen kann. Wir hier versuchen es, indem wir uns gut vernetzt mit der Dorfgemeinschaft halten. Wir erleben, dass der Bouleplatz ein Ort ist, wo auch Menschen zusammenkommen, die nichts mit Kirche zu tun haben und immer öfter kommt dann die Frage: ,Was macht ihr da gerade?‘. Das ist gut, so kommt man ins Gespräch.“

Und manchmal haben schwierige Situationen auch ihr Gutes. „Die Erfahrung aus der Pandemie lässt mich mit gestärktem Rücken vorwärts schauen: Wir müssen neue Ideen entwickeln.“ Neue Ideen, wie etwa den „Gottesdienst to go“ von Debora Becker: Tüten, die sich jede*r Interessierte abholen konnte, mit einem ausgearbeiteten Gottesdienst, den man zu Hause feiern konnte. „Das haben viele gern angenommen – auch Leute, die sonst nicht in den Gottesdienst gehen“, sagt Pastorin Debora Becker. „Und auch die Familien der Konfirmand*innen waren plötzlich eingebunden, sie haben gemeinsam am Tisch gesessen und mir Selfies davon geschickt.“

Für Marion Bernstorf bleibt auch noch etwas anderes aus der Pandemie-Zeit: „Es gab vieles, wo der letzte Funke Mut fehlte, um mal etwas anzugehen. Diesen Mut, mal neu zu denken, neu zu planen, nehmen wir mit. Und auch der Umgang miteinander im Vorstand ist gestärkt: Ein Jahr Zoom hat uns an unsere Grenzen gebracht – aber wir haben das überstanden und machen mit einem gutem Team weiter.“

Christine Warnecke/Wiebke Lampe

Biographie von Marion Bernstorff

Marion Bernstorf wurde 1959 in Leipzig geboren und wuchs mit ihren beiden Geschwistern glücklich auf. Sie besuchten keinen staatlichen Kindergarten, sondern gingen einmal in der Woche in eine kirchliche Spielgruppe. Als ihre Mutter erkrankte, wohnte sie eine Zeit lang beim Pastor und seiner Familie. Später ging sie zur Christenlehre. Der Glaube und die Gemeinschaft waren fortan sehr wichtig für sie. Obwohl die Zugehörigkeit zur Kirche in der DDR nicht erwünscht war, besuchte Marion Bernstorf den Konfirmandenunterricht, unterstützt von ihrer Familie: „Jede Einschränkung, die durch unseren Glauben in der DDR entstehen sollte, wollten wir gemeinsam tragen“.
Erst als die Kinder älter wurden und die Großeltern im Westen auch, wurde der Wunsch nach einer Familienzusammenführung größer. Drei Jahre, verhältnismäßig kurz, wartete die Familie auf die Genehmigung des Ausreiseantrags. Im Dezember 1987 wurden Vater, Mutter und die drei Kinder schließlich zur Grenze eskortiert. 
In Brelingen suchte sich die gelernte Erzieherin gezielt einen kirchlichen Kindergarten für die Arbeit und war erstaunt, als die Mauer fiel – „das konnten wir gar nicht glauben.“ Sie fühlt sich sehr wohl in der Wedemark, aber jedes Mal, wenn Marion Bernstorf Freunde in Leipzig besucht, sei es wie nach Hause zu kommen.