Startseite Archiv Tagesthema vom 10. Juni 2021

Gegen die Gesetze zum Traumberuf

Ulrike Denecke (82) war schon Pastorin, als es per Gesetz noch gar keine Pastorinnen gab. Warum Frauen nicht dieselben Wege offenstehen können wie Männern, hat die Theologin noch niemals eingesehen.

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Als Ulrike Denecke heiratete, hatte sie ihr Theologiestudium bereits beendet. Auch mit dem Vikariat war sie fertig. Jetzt wollte sie Pastorin werden. Voller Vorfreude wandte sie sich mit der Frage nach offenen Stellen an das Personalamt der Landeskirche – und dort hieß es, sie solle ihren Berufsweg nun lieber beenden. Das sei besser für die Ehe. 

1967 war das. Wenn Ulrike Denecke heute erzählt, was sie damals erlebte, dann weiß sie noch genau, was ihr durch Kopf und Herz ging. „Ich ging raus, setzte mich vor die Tür und weinte. Nur zu Hause und Hausfrau zu sein, bloß weil ich eine Frau bin: Das wollte ich nicht.“ 

Ulrike Denecke ist 82 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann in einem Reihenhaus mit Garten in der Nähe von Hannover. Ihr Mann ist pensionierter Pastor. Genau wie sie. Denn Pastorin war sie wirklich noch geworden, der Absage des Personalchefs vor mehr als 50 Jahren zum Trotz. 

Beendet hat Ulrike Denecke ihren Berufsweg bei der Landeskirche Hannovers als Leiterin des Frauenwerks. Dass dieser Weg für die damalige Zeit etwas Besonderes war, hat die Mutter von zwei Kindern allerdings nie so richtig wahrhaben wollen. Zu klar ist für sie, sich als Frau dieselben Ideen und Vorstellungen von einem Leben machen zu können wie ein Mann. 

„Ich habe in Göttingen, Tübingen, Basel und Berlin studiert, das fühlte sich für mich ganz unspektakulär und selbstverständlich an“, erzählt sie. „Dass ich danach eventuell nicht als Pastorin würde arbeiten können, darüber habe ich mir gar keine Gedanken gemacht.“ Doch da war die Tochter einer aus Pommern mit ihren drei Kindern geflüchteten Frau mit Abitur weiter als die Gesellschaft es war. Und fortschrittlicher als das Pfarrdienstgesetz war die Vikarin allemal.

Erst seit 1964 ordiniert die Landeskirche Hannovers Frauen ins Pfarramt. Bis dahin wurden sie lediglich eingesegnet. „Frauen haben zwar studiert, sollten aber nicht gleichgestellt werden“, sagt Dr. Heike Köhler, die als Referentin im Landeskirchenamt im Jahr 2014 die Geschichte der Frauen in der Landeskirche aufarbeitete. „Sie blieben ein Leben lang Vikarin.“ Völlig gleichgestellt wurden Frauen und Männer sogar erst mit dem Pfarrdienstgesetz von 1978, ist in dem Buch „Angekommen! Der lange Weg der Frauen ins Pfarramt“ zu lesen.

Neben Fakten haben etliche Protagonistinnen Platz in der Broschüre gefunden, die darin von ihrem individuellen, aber immer langen Weg ins Pfarramt berichten. Auch Ulrike Denecke. Von der verbalen Ohrfeige zu Beginn hat sich die junge Frau nämlich nicht lange von ihrem Berufswunsch abhalten lassen. Und der Mahner vom Anfang blieb glücklicherweise eine Ausnahme: Schon kurze Zeit später fand sich nämlich ein Mann, der die Theologin sehr wohl anstellte, und zwar als Prädikantin in der Gemeindearbeit. Auch in den Jahren danach fanden sich immer wieder Menschen in der Landeskirche, die ihre Wahl von Beruf und Familie unterstützten – sogar der Mahner vom Anfang.

Als Mutter eines Kleinkinds absolvierte Ulrike Denecke das zweite Examen, natürlich ohne Kita und Krippe. Ordiniert wurde sie danach allerdings nicht, denn nach dem Examen pausierte sie für die Familie einige Jahre im Beruf. Bis der Wunsch, neben der Familienarbeit auch in einer Gemeinde zu arbeiten, wieder so groß war, dass sie ihn nicht länger unterdrücken wollte. „Ich hatte ein schlechtes Gewissen, fühlte mich als Rabenmutter“, erzählt sie von der Zeit, als sie zum ersten Mal eine halbe Pfarrstelle annahm und ihre Kinder vier und sechs Jahre alt waren. „Und doch habe ich es gemacht. Es war eine wunderbare Zeit.“

Später besuchte sie die Evangelische Akademie Bad Boll, und als sie das Buch „Freiheit Gleichheit Schwesterlichkeit“ las, öffnete ihr das die Augen für das Thema Feminismus. „Mir wurde klar: Mein Mann durfte in seinem Beruf machen, was er wollte. Ich nicht. Das machte mich wütend.“ Sie wurde Feministin. „Für mich heißt Feminismus unter anderem, dass Frauen auch alles dürfen, auch alles sagen können.“ Denecke begann, Geschichten aus der Bibel aus der Sicht der Frauen zu interpretieren und darüber mit Frauen zu sprechen. „Ich las im hebräischen Original und kam oft zu ganz anderen Auslegungen, als es die vorherrschende Sicht war.“ 

Auch in der praktischen Arbeit machte sie vieles neu und vieles anders. Sie führte Gemeindefeste ein und Gottesdienste, die ehrenamtlich tätige Frauen gestalten durften, gründete die erste Mutter-Kind-Gruppe der Landeskirche. „Die Frauen kamen in Scharen.“ 

Und 1988 bekam sie das Angebot, das Frauenwerk in Hannover zu leiten. Sie nahm es an. Es war die Zeit des ersten feministischen Reformationstages und der Forderung nach einer Bischöfin, die Zeit vor Margot Käßmann. 

„Meine Arbeit hat mich selbstbewusst gemacht“, sagt Ulrike Denecke heute. „Ich glaube, wenn ich nicht erwerbstätig gewesen wäre, wäre ich keine gute Mutter gewesen. Ich wäre unglücklich geworden. Und meine Kinder haben mir zum Glück nie Vorwürfe gemacht.“ 

Welche Rolle Frauen in den Geschichten der Bibel spielen, wie Jesus die Frauen anerkannte und sich seinen Mitmenschen gegenüber verhielt, hat Ulrike Denecke nie losgelassen. „Die Bibel erzählt Geschichten aus dem Leben. Sie zu lesen, kann unglaublich helfen.“ Ihre letzten Bibelseminare gab sie mit Ende 70. 

Wenn sie heute hört, dass sich verheiratete Paare ganz selbstverständlich Pfarrstellen teilen, sagt sie: „Ich bin stolz auf unsere Kirche, die sich so verändert hat. Eine Kirche, in der die Vielfalt von Menschen ein Geschenk Gottes ist.“

Carolin George

Talk zu Gleichberechtigung

Kann man Gott auch weiblich denken? Sollten Frauen Bäffchen tragen? Über Gender- und Gleichberechtigungsfragen haben die Gleichstellungsbeauftragte der Landeskirche, Hella Mahler, und die Vikarin Mona Bürger in einem Instagram-Live diskutiert. Die Aufzeichnung ist hier jederzeit nachzusehen.