Andreas Chrzanowski streicht über die Seite in einem Ringbuch. Das Ungeheuer «Grüffelo» aus dem Kinderbuchklassiker ist zu sehen, aber auch zu ertasten. Wie kleine Plastikwülste heben sich die Eckzähne hervor. Sie sind glatt, ganz anders als die Tatzen aus rauem Schleifpapier, an denen die Fingerkuppe kurz hängen bleibt. "Blinde Kinder erfassen ihre Umwelt vornehmlich über das Fühlen", erklärt der Blindenseelsorger der hannoverschen Landeskirche.
Was beim «Grüffelo» geht, soll jetzt auch bei Bibelgeschichten möglich werden: Gemeinsam mit anderen will Chrzanowski erstmals eine biblische Erzählung als Fühlbuch herausgeben. Einen Prototypen hat der Pastor gemeinsam mit Rainer Delgado vom Deutschen Blinden- und
Sehbehindertenverband sowie dem Dachverband der evangelischen
Blinden- und Sehbehindertenseelsorge schon erarbeitet: Es geht um die
Geschichte vom Propheten Jona, den ein Wal verschluckt.
Die Jona-Figur lässt sich herausnehmen und in einen aus Stoff genähten Wal stopfen. Wenn im Buch der Wal den Propheten wieder an Land speit, können die Kinder ihn herausziehen. Die Walhaut fühlt sich kühl an. Das Meer besteht aus einer Latexbahn, mit der sich sogar Wellen schlagen lassen. Andere Elemente sollen mit UV-Lack gedruckt werden, in mehreren Schichten, damit sich die Punktschrift gut abhebt und Strukturen fühlbar werden.
Es sei geplant, eine ganze Bibelbuch-Reihe für Kinder zu entwickeln, sagt Barbara Brusius vom Dachverband der evangelischen Blinden- und Sehbehindertenseelsorge in Kassel: "Aus unserer Sicht sind biblische Geschichten elementar für die Entwicklung eines Menschen.
Delgado hat schon mehrere Fühlbücher konzipiert. "Es ist schwierig, ein tastbares Bild zu machen, das ein blindes Kind auch versteht", sagt er. Er selbst ist seit 20 Jahren blind und hat erfahren, dass etwa manch gut gemeintes Tast-Modell einer Sehenswürdigkeit auch für Erwachsene kaum zu entschlüsseln ist. Wenn ein Baum direkt hinter einem Auto steht, sei das für Sehende klar abgrenzbar. "Aber diese Art von Eindruck von der Welt haben blinde Kinder nicht." Die Fühlelemente sollten sich außerdem möglichst genau so anfühlen, wie das, was dargestellt ist.